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Bizarr und doch vertraut – Exotica

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Jazzneuheiten, vorgestellt von Hans-Dieter Grünefeld
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Einige Phänomene im Jazz können als Exotica beschrieben werden. Unmittelbar evident, wenn geografisch voneinander weit entfernte Musikkulturen sich wie bei den Ensembles Quadro Nuevo (Deutschland) und Cairo Steps (Ägypten) begegnen, um auf einem „Flying Carpet“ Serail-Ambiente mit geschmeidig swingenden Tänzen, seduktive Timbres oder latin-aromatisierten Jazzstil in opulenten Arrangements einzufangen: Orient-Perkussion und Streichersounds hüllen galante Melodien und Improvisationen an Sopransax, Nay-Flöte und Oud in spirituelle Sphären gemeinsamer Ambitionen, nämlich in Klangreibungen menschliche Kontakte zu finden. (Fine Music/GLM)

Eine andere Perspektive hat das New Meeting Quartet, indem der Radius von „Lusitania“ unter die Lupe genommen wird. Splittrige Akkordeon-Riffs zu schnellem Boogiedrive des Titelsongs sind da mit trägem Musette-Walzer durch klapprigen Klavieranschlag und schrägen Akkordeon-Sounds (vielleicht aus dem Spelunken-Milieu) und mit hitzigem Brasil-Samba konfrontiert. Eine von kundiger Neugier geprägte Trouvaille des (auch transatlantischen) portugiesischen Genre-Erbes. (Warner)

Auch gewisse Besonderheiten der Klangästhetik per se können legitim als Exotica bezeichnet werden. So die Songs des Tenorsaxophonisten Tobias Meinhart, die nicht schematisch konfiguriert sind, sondern in wechselnden Konstellationen mal im ungeraden Metrum „Fighting Your Fears“ fordert, indem das in Skalenstaffeln präsentierte Thema zum Jazzrockknaller mutiert oder mal polyphone Strukturen in unerwarteten Rhythmusakzenten vorantreibt. Er ist ein „Silent Dreamer“, der Verschlingungen in einem scheinbar diffusen Kontinuum nachspürt und originell profiliert. (Enja)

Eine geradezu radikale Umorientierung im Jazz wagt die Vokalistin Erika Stucky. Ihr Projekt zu Vater-Tochter-Beziehungen „Papito“ hat sie für sich als Solistin, die FM Einheit (Electronics) und La Cetra Barockorchester (ein Septett mit historischen Instrumenten) komponiert. Bizarr und doch vertraut wirkt ihr rauer Jazzgesang in der Umgebung nicht-temperierter Blues-Seufzer, gar wie ein Operndrama im elektronisch verfremdeten und sich überlappenden Duett mit Countertenor Andreas Scholl, wenn sie eine Caruso-Arie und „I Want You“ von den Beatles kombinieren. Ein großartig gelungenes Experiment. (Traumton/Indigo)

Mindestens genau so aufregend wie die notierten Dialoge „Schwebende Riefen/Bebende Tiefen“, die Uli Johannes Kieckbusch und Schlagzeuger Günter Baby Sommer gestalten, als ob sie spontan entstanden wären. Allerdings mit orchestralem Klavierklang und flexibler Perkussion, die spähende oder klassisch inspirierte Variationen stets intuitiv atemgenau geleitet. Das ist pure Poesie aus vollkommenen Augenblicken künstlerischer Kommunikation. (HGBS Blue)

 

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