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Hammerklaviersonate von und mit Stephan Froleyks (siehe obigen Bericht). Foto: Charlotte Oswald
Hammerklaviersonate von und mit Stephan Froleyks (siehe obigen Bericht). Foto: Charlotte Oswald
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Blick hinter die Kulissen

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Das Vermittlungsprojekt „Labor Witten“ in seinem dritten Jahr
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„Labor Witten“ – bereits die Namensgebung verrät, dass es hier um eine Art Versuchsanordnung geht: um ein Begleitprogramm der Wittener Tage für neue Kammermusik, das sich speziell an Studierende richtet und den Blick hinter die Kulissen erlauben soll. Damit verknüpft ist der Anspruch, durch Veranstaltungen wie Vorträge, Komponistengespräche und Probenbesuche einen inhaltlich attraktiven Rahmen zum offiziellen Festivalprogramm zu schaffen, der nicht nur unterschiedliche Anstrengungen auf dem Gebiet der Vermittlungsarbeit bündeln, sondern zugleich auch als Begegnungs- und Diskussionsforum zwischen Teilnehmern, Interpreten und Komponisten fungieren soll.

Primäres Ziel dieses im Jahr 2007 ins Leben gerufenen Projekts ist es, dem Nachwuchspublikum Zugänge zur zeitgenössischen Musik zu eröffnen. Mit dieser Ausrichtung reagieren die Veranstalter auf ein großes Defizit der Ausbildung an deutschen Hochschulen und Universitäten, wo das gegenwärtige Musikschaffen mitsamt seiner Chancen und Probleme nur selten oder höchstens am Rande thematisiert wird. Entsprechend möchte man vor allem den Nachwuchs an das Festival heranführen, um eine nachhaltige Publikumsbindung zu erreichen und die Wittener Tage zudem als einen Ort lebendiger Debatten über zeitgenössische Musik zu etablieren. Das Labor-Angebot besitzt insofern eine gewisse Attraktivität, als hier für Studierende tatsächlich die wertvolle Gelegenheit besteht, sich intensiv und aus verschiedenen Perspektiven mit der aktuellen Musikproduktion auseinanderzusetzen.

Dass sich eine solch anspruchsvolle Aufgabenstellung nicht von Anfang an reibungslos durchführen lässt, braucht kaum betont zu werden; Fehleinschätzungen sind vielmehr vorprogrammiert, schon weil es an den nötigen Erfahrungen mit dem Format mangelt und die konkret aus den jeweiligen Situationen entstehenden Probleme – etwa verschobene Proben und daraus resultierende terminliche Überschneidungen mit anderen Veranstaltungen – im Voraus nicht kalkulierbar sind und immer wieder eine flexible Reaktion während der Festivaltage erfordern. Veränderungen in der Konzeption verdeutlichen jedoch, dass man aus diesen Umständen gelernt hat und kontinuierlich am Profil des Labors feilt: Während man etwa 2008 ein – durchaus begrüßenswertes – Symposium mit zahlreichen auf das Festivalprogramm bezogenen Vorträgen organisierte, es aber an die für die Teilnehmer relativ schwer zu erreichende Universität Witten-Herdecke verlagerte, hatte man für den aktuellen Jahrgang aus diesem problematischen Umgang mit den Örtlichkeiten gelernt und die gesamten Labor-Veranstaltungen an die zentral gelegenen Spielstätten – das Haus Witten, den Saalbau, die Rudolph-Steiner-Schule und das Parkareal Hohenstein – gebunden.

Rund fünfzig Studentinnen und Studenten aus den Bereichen Komposition, Musikwissenschaft und Kulturwissenschaft waren teils gemeinsam mit ihren Dozenten aus Städten wie Stuttgart, Hannover, Essen, Oldenburg, Berlin und Lüneburg angereist und konnten sich am Freitag zunächst mit einem wichtigen Schwerpunkt des Festivals, nämlich mit dem Komponisten Hugues Dufourt, vertraut machen. Martin Kaltenecker nahm sich dieses Themas an, führte mit einem Vortrag kenntnisreich und lebendig in die Grundprinzipien von Dufourts künstlerischer Arbeit ein und ließ dieser allgemeinen Betrachtung einen vertiefenden analytischen Blick auf die Details einzelner Kompositionen folgen, bevor sich schließlich der Komponist selbst in einer Podiumsdiskussion den Fragen der Teilnehmer stellte. Der weitere Verlauf der Labor-Veranstaltungen war hingegen, als Kontrapunkt zu dieser theoriebetonten Einführung, von einer ganzen Reihe teils dicht gedrängter Probenbesuche und Komponistengespräche geprägt. Hierdurch war es den Teilnehmern nicht nur möglich, kurze Einblicke in die Erarbeitungs- und Realisierungsprobleme zu nehmen, die sich beim Umgang mit neuer Musik stellen; sie konnten die Begegnungen auch nutzen, um sich mit Interpreten wie dem amerikanischen JACK Quartet und Komponisten unterschiedlichster Provenienz wie Johannes Schöllhorn, Matthias Kaul, Stefan Froleyks, François Sarhan, George Aperghis oder Bernhard Gander auszutauschen und gegebenenfalls auch kritische Fragen zu formulieren.

Die begrüßenswerte Unternehmung aus dem Vorjahr, das Rahmenprogramm bereits am Donnerstagabend mit einem Newcomer-Konzert mit Werken der am Labor beteiligten Komponistinnen und Komponisten beginnen zu lassen, wurde diesmal allerdings nicht wieder aufgegriffen. Vor allem fehlende künstlerische Ressourcen dürften dabei eine Rolle gespielt haben, müssen doch auch für solche Veranstaltungen Musikerinnen und Musiker bereit gestellt und finanziert werden. In dieser Angelegenheit wären nun, so scheint es auf längere Sicht durchaus gerechtfertigt, die Musikhochschulen der Region gefordert, denn eine Kooperation mit den Wittener Tagen für neue Kammermusik könnte sich für alle Seiten als außerordentlich fruchtbar erweisen: Warum also nicht etwa das Ensemble „folkwang modern“ aus Essen oder auch die Studierenden vom Orchesterzentrum NRW in Dortmund heranziehen, um so nicht nur die personelle Infrastruktur für Aufführungen bereitzustellen, sondern auch um zu gewährleisten, dass die institutionelle Ausbildung tatsächlich etwas mit Praxis im Sinne der Auseinandersetzung mit heute entstehender Musik zu tun hat, was die Konfrontation mit der Wiedergabe des vorher noch nie Erklungenen ganz selbstverständlich einschließt? Dies alles ließe sich in den Rahmen einer praxisnahen differenzierten Musikerausbildung integrieren, würde die lobenswerten Bemühungen der Wittener Veranstalter unterstützen – und könnte schließlich sogar zu einem gelungenen Beispiel für ein tatsächlich funktionierendes Netzwerk werden, das für alle Beteiligten profitabel wäre.

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