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Das Konzept heißt Bob Dylan und es trägt: Das Quartett „Absolutely Sweet Marie“ live im Regensburger Jazzclub Leerer Beutel. Foto: Michael Scheiner
Das Konzept heißt Bob Dylan und es trägt: Das Quartett „Absolutely Sweet Marie“ live im Regensburger Jazzclub Leerer Beutel. Foto: Michael Scheiner
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Bob Dylan ohne Text – total schlüssig

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Das Berliner Quartett „Absolutely Sweet Marie“ im Porträt
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„Eigentlich“, skizziert Bandgründer Alexander Beierbach Vorüberlegungen zum dritten Album mit Dylan-Songs, „hätte es eine Liveaufnahme werden sollen“. „Wherever You Roam“ ist dann doch ein Studioalbum geworden. Am 22. Mai erschienen, rundet es eine Trilogie mit Songs des großen amerikanischen Barden Bob Dylan aufs Trefflichste ab. Aufgenommen wurde es allerdings, darauf legt der Berliner Saxophonist Wert, „praktisch unter Livebedingungen“.

Gefördert durch den Senat waren „wir in einem Studio unserer Wahl, in den zwei wohl heißesten Tagen in Berlin. Dort haben wir ein kompaktes Live-Set zweimal komplett durchgespielt“. Das passierte vormittags und noch einmal am Nachmittag ohne Pause zwischen den Stücken oder Unterbrechungen, um etwa „eine nicht so gelungene Passage zu wiederholen.“

Dabei seien ganz unterschiedliche Arrangements herausgekommen, erzählt Breitenbach, „wenn plötzlich der Trompeter deinen Solopart zu spielen beginnt“ und man blitzschnell entscheiden müsse, „wie reagiere ich darauf“. Wie bei Liveauftritten sei die Band – neben Beierbach (sax) gehören die Blechbläser Steffen Faul (tp) und Matthias Müller (tb) sowie Schlagzeuger Max Andrzejewski zu „Absolutely Sweet Marie“ (ASM) – sehr offen mit den Stücken umgegangen. Lediglich wenige Arrangements, wie das vielfach gecoverte „The Times They Are A-Changin“ von 1964 oder die düs­tere Ballade von „Hollis Brown“ vom gleichen Dylan-Album seien weitgehend ausgeschrieben.

Die Offenheit drückt sich so aus, dass es einmal schnell und groovy wirkt, beim nächsten Mal aber soft daherkommt und die Musiker „nur noch die Hälfte der Noten“ spielen. Diese Herangehensweise entspricht ihrem ästhetischen Verständnis als Jazzmusiker und „ist auch für uns am Spannendsten“, meint Beierbach. Der gebürtige Stuttgarter hat das ohne Harmonieinstrument besetzte Quartett 2012 mit dem Ziel gegründet, sich mit der Musik „dieses Meisters“ auseinanderzusetzen und sie zu verar­beiten. Die bislang daraus ent­stan­­denen Alben sind auf dem musiker­eigenen Label Tiger Moon Records veröffentlicht worden, das Beierbach zusammen mit der Musikerin Almut Schlichting betreibt, mit der er ver­heiratet ist.

Da sie auch den Vertrieb in der Hand haben und bewusst Amazon, iTunes und Spotify außen vor lassen, sehen sie auch, woher Bestellungen kommen. Bei jeder Neuerscheinung von ASM komme eine von einer Adresse in Manhattan, von der Beierbach vermutet, dass es ein Büro Bob Dylans ist. Dylan selbst wird die freien Bearbeitungen, die oft einem re-composing entsprechen, „kaum gehört haben“, ist sich Beierbach sicher: „Das ist nicht sein Ding“.

Als einschneidend erlebt die ganze Band die Absage aller geplanten Releasekonzerte. Das „ist ziemlich doof“, wird Beierbach deutlich, auch wenn es „dennoch ein schöner Moment gewesen ist“, die CD mit insgesamt 13 Titeln endlich in Händen zu halten. „Im Moment“, bemüht sich Beierbach ziemlich erfolglos Auftritte im Herbst/Winter zu buchen, „gibt es nur ein Nachholtermine-Booking, eine echt schräge Situation!“, die den Optimisten doch gelegentlich frustriert. Er setzt darauf, im kommenden Jahr „möglichst viele Auftritte an Land ziehen zu können“, um „den runden Geburtstag des genialen Song-Poeten“ feiern und ihm mit seiner Musik gratulieren zu können. Der Literaturnobelpreisträger Dylan wird im Mai kommenden Jahres 80 Jahre alt.

Auf die Musik des kreativen Folk-Rock-Poeten ist Beierbach „vor über zehn Jahren in Norwegen gekommen“. Er wohnte dort einige Tage bei einem Kollegen, dessen Vater Dylanologe ist und bereits ein Buch über Bob Dylan veröffentlicht hat. Tagelang mit dessen Musik konfrontiert, stellte Beierbach erstaunt fest: „Boah, das hat mir die ganze Zeit gefehlt“. Er entdeckte „eine Wärme und Stimmung“, die ihm im Studium abhanden gekommen war. Also hörte er sich durch den Dylan-Kosmos, suchte Mitstreiter und begann Stücke des Genies zu erkunden und zu transformieren. Anstoß für eine solche musikalische Erkundung kann auch ein kurzer Ausschnitt sein. Wie das „…behind“ am Ende des Refrains von „One Too Many Mornings“, das Bassist Rick Danko auf der berühmten 1966er-Tour durch England in unnachahmlicher Weise gespielt hat. Dylans Songs sind für Beierbach auch ohne Text „total schlüssig“, weil es ihm und der Band darum gehe „zu erkunden, was es mit unserer Musik macht“. Er kann sich aber auch vorstellen „auf einem abstrakteren Level die Textebene mit hereinzunehmen“. Reich genug ist das Werk Dylans, dass die vier Berliner Jazzmusiker noch tiefer einsteigen und wie auf vorliegendem „Streuner“-Album neue Facetten entdecken und mal pastoral, mal frech und frisch wie eine Second-Line-Band klingen können. „Vielleicht haben wir in Zukunft noch mehr Überraschungen“, lacht Beierbach verschmitzt im Skype-Interview, für Dylan- und ASM-Fans.

CD-Tipp

  • Absolutely Sweet Marie: Wherever You Roam – The Music of Bob Dylan Vol. 3, 2020, Tiger Moon Records 008, Order: www.tigermoonrecords.de

Besetzung ABSOLUTELY SWEET MARIE

  • Steffen Faul – Trompete
  • Matthias Müller – Posaune
  • Alexander Beierbach – Tenorsaxophon
  • Max Andrzejewski – Schlagzeug

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