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Neue Musik in der Dresdner Frauenkirche. Foto: Matthias Creutziger
Neue Musik in der Dresdner Frauenkirche. Foto: Matthias Creutziger
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Das Dresdner Amen ins Heute transportiert

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Gedenken in Dresden: Uraufführung von Lera Auerbachs „Ode an den Frieden“
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Seit 1951 gibt es in Dresden Gedenkkonzerte an die Zerstörung der Stadt am 13. Februar 1945. In diesem Jahr erklang in der Frauenkirche als symbolischem Ort eine Uraufführung: Lera Auerbachs „Ode an den Frieden“. Auch dieses Dresden-Requiem steckt voller Symbole.

Der 13. Februar in Dresden, das ist nicht nur das Gedenken an 1945, als just zum späten Faschingsdienstag alle Verkleidung von der Narrenkappe bis hin zur „unschuldigen Barockstadt“ demaskiert und die Stadt weitflächig zerbombt worden ist. Der 13. Februar ist nicht nur heutiges Händchenhalten in Menschenketten, nicht nur juristischer und polizeilicher Staatsschutz für Europas größte Treffen von Neonazis. Der 13. Februar ist in dieser Stadt auch eine besondere Form der Kultur. In aller Regel wird da ein Requiem von Mozart, Verdi oder Brahms aufgeführt; etwas moderner und bezogener auf den Ort auch Rudolf Mauersbergers Trauermotette „Wie liegt die Stadt so wüst“ von 1945. Im Februar 2012 schien da einiges anders zu sein. Couragierter Ungehorsam stellte sich den Richterentscheiden und Polizeiplänen entgegen und rief offen zur Blockade der Rechtslasten auf. Auch die beiden größten Orchester der Stadt wagten Ungewohntes: Die Dresdner Philharmonie führte unter ihrem neuen Chefdirigenten Michael Sanderling Dmitri Schostakowitschs 7. Sinfonie auf, die dieser 1941/42 unter dem Eindruck der deutschen Blockade seiner Heimatstadt schrieb („Leningrader“ Sinfonie); die Sächsische Staatskapelle brachte in der wiedererrichten Frauenkirche sogar eine Uraufführung ihrer diesjährigen Capell-Compositrice Lera Auerbach heraus.

Die 1973 in Tscheljabinsk geborene und seit zwanzig Jahren in New York lebende Komponistin schrieb im Auftrag von Kapelle und Stiftung Frauenkirche ein „Dresden-Requiem“, das sie im Untertitel „Ode an den Frieden“ nannte. Der Anspruch war immens.

Nach Rudolf Mauersberger schuf lediglich der damalige Kapellmeister Kurt Striegler ein Requiem im Gedenken an den 13. Februar. Es wurde 1956 unter Leitung des Komponisten uraufgeführt und ist seitdem wohl kaum mehr erklungen. Ansonsten stehen überwiegend „klassische“ Totenmessen auf dem Programm.

Die Uraufführung von Auerbachs „Dresden-Requiem“ leitete der Dirigent Vladimir Jurowski. Der hospitierte bereits im Februar 1990 seinem Vater Michail Jurowski (damals Ständiger Gastdirigent an der Semperoper) bei der Einstudierung des Verdi-Requiems. Damals sei der 1972 in Moskau geborene Vladimir Jurowski zum ersten Mal mit dem Gedanken konfrontiert worden, dass auch die Deutschen unter dem Krieg gelitten hätten, sagte er vor dem Konzert. Jurowski hält dieses Gedenken für wichtig, „und zwar nicht nur in Erinnerung an die vielen 1.000 Menschen, die damals in Dresden ums Leben kamen, sondern im Gedenken an alle Opfer von rassistischer und nationalistischer Gewalt.“ Das Requiem von Lera Auerbach ist durchaus in dieser Weite zu verstehen und ausdrücklich allen Opfern nationalistischer Bewegung gewidmet. Noch bevor die ersten Noten zum Requiem geschrieben wurden, besprachen sich Auerbach und Jurowski vor Ort, um auf den Klangraum Frauenkirche mit ihrem überreichen Nachhall schon in der Besetzung eingehen zu können.

Das abendfüllende Werk von Lera Auerbach basiert auf der lateinischen Liturgie, variiert deren „Kyrie“ zu einem himmelschreienden Ruf nach Erbarmen in 40 Sprachen und fokussiert musikalisch auf die Gebete der heute noch verbreitetsten Weltreligionen. Mit einem Brückenschlag in die Gegenwart wurden zudem das Gebet eines New Yorker Feuerwehrmanns, der als erstes Opfer des 11. September 2001 protokolliert wurde sowie Gedichtzeilen des aus Dresden stammenden Pfarrers Christian Lehnert vertont. Die Musik zu diesem Part soll ausdrücklich in der Stimmung 528 Hertz aufgeführt werden, weil – so die Komponistin – damit heilende Schwingungen verbunden seien.

Lera Auerbach hat aber auch vielfältige Bezüge zum Ort und zur Geschichte von Dresden gefunden und dazu ein sehr sakral, teils auch schwülstig anmutendes, von formalen Zitaten lebendes und sehr deutlich auch Adaptionen nutzendes Klangmaterial geschaffen. Mal verstört es ein wenig, wirkt eher spröde denn wirklich versöhnlich, mal ist es lautstark voll Anklage, setzt auf Ergriffenheit, tönt schrill aus dem Entsetzen heraus, und mal sorgt es ganz schroff für emotional aufregende Kontraste. Mit vergleichsweise schmalem Orchesterapparat, dem immer wieder Kammerspiel und scharf gestochene Soli beigegeben sind, hat die Komponistin die Gegebenheiten des schwierigen Klangraums eher bedient denn umfahren. Manch scheinbar unendlicher Nachhall, der in die Kuppel aufsteigt, geriet geradezu bezwingend. Für eine durchgehende Textverständlichkeit war aber auch das kein brauchbares Mittel.

Ebenso die das Requiem bestimmenden Chorpassagen – neben Herren des Staatsopernchores wurden zwei Knabenchöre aus London und New York nach Dresden verpflichtet – füllten den Tempel wabernd mit absichtsvoller Weihe, doch nicht immer engelhaft rein. Herausragend war allerdings der Knabensopran von Richard Pittsinger, der mit unglaublich klarer Strahlkraft und beachtlichem Durchhaltevermögen die Herzen besang. Der niederländische Countertenor Maarten Engeltjes eroberte sich mit großer Sicherheit kristallklare Höhen und sorgte gemeinsam mit dem britischen Bariton Mark Stone, der eindringliche Kontraste gesetzt hat, für Emotion.

Wie Vladimir Jurowski mit höchster Umsicht durch das in 18 Teilen gegliederte Requiem steuerte, Chor- und Orchesterparts gegeneinander abwog, miteinander verband, sie mal brachial mit all der Inbrunst solch glaubensvoller Musik und mal geradezu schwebend ganz weltlich in den Raum strömen ließ, das verdient größten Respekt. Der Dirigent hat zwar wiederholt schon sehr erfolgreich mit der Staatskapelle gearbeitet, auch im diffizilen Klangraum dieser Kirche, doch bei aller Kennerschaft gerade in Sachen Neuer Musik dürfte er hier ein Terrain betreten haben, das selbst ihm ungewohnt war. 

Denn Auerbachs Musik wirkt homogen eben dadurch, dass sie – wie einmal mehr im Fall dieses Requiems – nicht homogen ist. Neben der fast sinfonischen Machtfülle von keinerlei Widerspruch zulassenden Gebetsmühlen entfalteten sich Abschnitte voll pastoraler Sanftmut – das wieder und wieder ertönende „Amen“ etwa mochte gar den Glauben an den Sandmann wecken –, als stünde tatsächlich das Elysium bevor. Die durchaus magisch wirkende „Anrufung der Schutzengel“ freilich geriet funktional stark illustrativ.

Eine unbedingte Ergriffenheit war im Publikum angesichts des Wiedererkennens beim „Dresdner Amen“ auszumachen – jener berührenden Tonfolge, die schon Wagner, Mendelssohn, Bruckner und Mahler aufgegriffen hatten –, das die Kapell-Kompositeurin quasi in deren Nachfolge erneut nutzte und mit aller Beseeltheit in ihrer „Ode an den Frieden“ verwob. Etwas so Bekanntes in einer Uraufführung zu hören, ist in der Tat selten.

Außerordentlicher Symbolgehalt war übrigens nicht nur bei Datum und Uraufführungsort dieses Requiems auszumachen, sondern auch in der Wahl der Besetzung. Ganz bewusst sollten die einstigen Kriegsgegner künstlerisch zusammenkommen. Ist das mehr als sechs Jahrzehnte nach 1945 eine Erwähnung wert? Jeder Blick in die gegenwärtigen Nachrichten dürfte als Antwort genügen. Lera Auerbach hat dazu eine persönliche Sicht: „Ich sehe es so: Solange wir kleine Jungs haben, die Requien singen und sich mit solchen Dingen auseinandersetzen, sich um Violinschlüssel statt um Waffen kümmern, sage ich: Ja, da ist Hoffnung. Darum nutze ich Knabenchöre und Knabensoli, darum bin ich auch sehr froh, Knabenchöre aus New York und aus London für die Uraufführung meines Requiems zusammenbringen zu können.“

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