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Konzentration auf das Wesentliche: Nikolaus Brass. Foto: Astrid Ackermann
Konzentration auf das Wesentliche: Nikolaus Brass. Foto: Astrid Ackermann
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Der abhängige Unabhängige

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Nikolaus Brass zum Siebzigsten – der Komponist als soziales Wesen
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Es ist ein fließender Prozess, befeuert von Zahlen. Denn mit einem Mal fangen Journalisten, Kollegen aber auch die Künstler selbst an, die eigene Arbeit als Lebenswerk zu reflektieren. Auch für Nikolaus Brass hat dieser Prozess im Vorfeld seines 70. Geburtstags eingesetzt: „Ich bin schon beim Aufräumen. Das ist neu, merke ich. Und es hängt durchaus mit dieser magischen Zahl zusammen, dass ich mir alte Stücke noch einmal vornehme, Überarbeitungen oder zweite Fassungen schreibe, vor denen ich früher zurückgeschreckt bin. Ich fange an, in die Vergangenheit zu blicken, überlege, manche Sachen durchzustreichen oder einfach wegzuschmeißen. Denn es ist schon ein wenig die Frage, was ich unter meinem Namen eigentlich hinterlassen will.“

Für den Lindauer Komponisten, der seit zwei Jahren wieder in seiner Heimatstadt lebt, ist das in mehrfacher Hinsicht ein spannender Prozess. Denn einerseits geht es um die Musik als solche, ihre Strahlkraft, Kontextualität oder eben Zeitlosigkeit. Darüber hinaus aber lässt Brass auch die Kulturszene als solche Revue passieren, um deren strukturelle Eigenheiten er sich als Komponist wenig hat kümmern wollen: „Ich habe mir im Laufe der Jahre ein kleines Eigentor geschossen. Denn ich habe nie die typischen Neue-Musik-Ensemblebesetzungen bedient, sondern immer gerne für etwas unübliche oder ein wenig ‚altmodische‘ Formationen wie Kammerorchester geschrieben. Hätte ich beispielsweise für die Besetzung des Ensemble Modern komponiert, fänden sich bestimmt einige andere, die die Musik auch spielen würden, weil das gängig ist. Traditionelle Formen wie Streichquartett, Streichtrio, das wird in der Neuen Musik jedoch kaum eingesetzt, mit Konsequenzen. Das Nischendasein der Neuen Musik jedenfalls gefällt mir gar nicht. Ich will nicht für eine Nische komponieren. Wenn wir etwas heute schreiben, das neben Stücken der Tradition in Programmen stehen kann, dann zeigt sich, dass es eine Überlebenschance hat. Ich will mich dem aussetzen, dem Maß der Tradition, ohne ein Traditionalist zu sein. Denn unsere Musik beweist sich im Verhältnis zur Tradition.“

Damit besteht Nikolaus Brass auf einer Form von Unabhängigkeit in der Abhängigkeit. Das hängt auch damit zusammen, dass er über Jahrzehnte hinweg als praktizierender Arzt Musik als Passion hat verstehen können. Der sich daraus ergebende lange künstlerische Atem ermöglichte es  ihm, sich nicht an die Moden der Szene anpassen zu müssen und zugleich einen eigenen Zugang zur Moderne und dem eigenen Schaffen zu entwickeln. Als Jugendlicher fasziniert von der Zweiten Wiener Schule, vor allem vom Reduktionismus Anton Weberns, später geprägt von vielen Gesprächen mit Helmut Lachenmann („der mir manchmal ordentlich den Kopf gewaschen, aber auch das Denken in der Musik und über Musik beigebracht hat“), wurde er schließlich neu gepolt durch Morton Feldman, der ihm bei den Darmstädter Ferienkursen Mitte der Achtziger klar gemacht hat, als Komponist nicht zu viel zu wollen.

Seitdem konzentriert sich Brass auf das Wesentliche, das Grundlegende, das Menschliche: „Mich interessiert der singende, der spielende Mensch. Einer der sich äußert, unter Umständen an mir vorbeigeht, das sind ganz archaische Momente des Musikmachens und Musikhörens. Musik ist neben dem ästhetischen ja ein soziales Ereignis. Menschen treffen aufeinander, Publikum und Spieler, Spieler untereinander. Wie gehen wir in dem Moment, wenn wir Musik hören oder machen, miteinander um? Ich höre ja nicht nur Schwingungen, Tonhöhen, Akkorde, sondern eine ständige Kommunikation, ein miteinander Agieren, aufeinander Reagieren, ohne dass ich das ausformuliere. Es ist als Hintergrund wichtig.“ Und als Basis. Vor diesem Wirkungsgeflecht konnte sich Nikolaus Brass zu einem der grundlegenden Komponisten einer Neuen Musik entwickeln, die Innovation nicht absolut, sondern immer im Rekurs auf das Vorhandene versteht. So kommt es auch, dass rund um seinen 70. Geburtstag am 25. Oktober einerseits Aufnahmen erscheinen, die das Orchesterwerk „Similar sounds“, „facilities of hope – deutsches requiem für 32 stimmen“ oder auch Werke für mitteltöniges Akkordeon in den Mittelpunkt stellen, auf der anderen Seite in Bregenz die „2. Strophe für Viola Solo“ durch das Ensemble plus (27.10.) uraufgeführt wird oder sich Mitte November das Ensemble „Zeitsprung“ in Bamberg (17.11.) und München (18.11.) Werken vom Bläsertrio bis zum Streichquartett widmet. Lebenswerk heißt nicht nur Rückblick, sondern auch Ausblick in Vielfalt. Und Nikolaus Brass macht den Eindruck, sich mehr denn je von seiner künstlerischen Leidenschaft leiten zu lassen.

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