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Prüfender Blick nach vorn: Armin Köhler bei einem Interview. Foto: Charlotte Oswald
Prüfender Blick nach vorn: Armin Köhler bei einem Interview. Foto: Charlotte Oswald
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Der gute Geist von Donaueschingen

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Zum Tod von Armin Köhler: Ein etwas anderer Nachruf auf einen etwas anderen Musikermöglicher
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Szene eins: Ein Doktor und ein Hauptmann geistern über die düstere nächtliche Szene. Sie hören vom nahen Teich ein glucksendes Geräusch: Da stirbt ein Mensch, sagt einer. Sie eilen durch das rote Mondlicht davon. So in Alban Bergs „Wozzeck“, nachdem der arme Soldat gleichen Namens noch einmal an den Ort seiner tödlichen Tat an der geliebten Marie zurückgekehrt war. Szene zwei: In einem Spital im deutschen Südwesten hört ein Musikredakteur im Rundfunk einem Konzert zu, das er selbst sozusagen komponiert hat – für die Donaueschinger Musiktage, mit Werken avancierter und junger Komponisten. Und das gerade in diesem Augenblick „live“ aus Donaueschingen übertragen wird.

Was bedeutet in diesem Augenblick schon das Wort „live“? Denn es wird danach nicht nur der Schwerkranke sterben, sondern auch das Orchester, das er, wie von fern und doch emotional so nah, hört: das Symphonieorchester des Südwestrundfunks Baden-Baden und Freiburg. Szene drei: Zynismus mit Variationen: „Er war ein leidenschaftlicher Kämpfer, und Kompromisse waren seine Sache nicht“, sagte SWR-Intendant Peter Boudgoust in seiner Würdigung auf den Tod Armin Köhlers. Köhler hat sich von Anfang an gegen die Fusion der beiden SWR-Klangkörper in Stuttgart und Baden-Baden/Freiburg gewandt, weil er wusste, was die Kompetenz speziell des Baden-Baden/Freiburg-Orches-ters für das Niveau der Donaueschinger Musiktage bedeutet.

Köhlers Einstellung dem Sender gegenüber, der ihn beauftragt hatte, die Interessen der Neuen Musik wahrzunehmen, verhinderte aus Loyalität den offenen Kommentar. Aber im vertrauten Gespräch, auf das er sich verlassen durfte, machte er, wie man sagt, aus seinem Herzen keine Mördergruft. Und was hat das mit Bergs „Wozzeck“ zu tun? Man höre sich dazu nur die Musik an. Sie liefert den anderen Kommentar zur dunklen Tat. Sogar der rote Mond verfinstert sich. Da stirbt nicht nur einer.

Zurück in die offizielle Sachlichkeit: Nachdem Armin Köhler mit seinem Eintritt als Redaktionsleiter für die Neue Musik 1992 beim damaligen Südwestfunk die Arbeit von seinem Vorgänger Josef Häusler übernommen hatte, haben sich auch in der Entwicklung der Neuen Musik wichtige Veränderungen vollzogen. Die Konzentration auf einen strengen, autonomen Werkbegriff wurde abgelöst und erweitert durch die Hereinnahme inzwischen erweiterter Kunstformen. Installationen, Performances, Bildende Kunst korrespondierten mit den freien Kreationen der Neuen Musik, die Hinwendung zu musikalischen Initiativen in der Stadt Donaueschingen selbst sollte die Verbindung zwischen dem autonomen, gleichsam elitär-abstrakten Festival und der Stadt herstellen. Da gab es etliche vielversprechende Versuche, die allerdings auch oft mehr auf die Schwierigkeiten solcher Kooperationen als auf ideale konstruktive Lösungen verwiesen.

Für Armin Köhler aber bedeuteten solche Erfahrungen keine Niederlagen. Er konnte über alles diskutieren, die Gegenargumente anhören und akzeptieren oder lebhaft widersprechen, für Humor, Ironie, halbwegs intelligente Einwendungen oder Pointierungen hatte er ein wunderbares Gespür. Vor allem, nachdem er DDR-geprägt, in den frühen 90er-Jahren in den Westen gekommen war. Das Studium der Posaune in Dresden, ein Orchesterengagement, musikwissenschaftliche Studien, die Tätigkeit als Lektor für Neue Musik bei der renommierten Edition Peters bildeten das solide Fundament, um von dort auf den zentralen Ort der Neuen Musik im Südwestfunk sowie in Donaueschingen zu wechseln. Mehr als zwei Jahrzehnte hat Armin Köhler die Profile der Neuen Musik beim Südwestfunk, jetzt Südwestrundfunk, und den damit verbundenen Donaueschinger Musiktagen geprägt, auch aktuell geschärft, weil er stets aufmerksam verfolgte, was international an Entwicklungen geschah.

Es war immer spannend, selbst in  Jahren, in denen man, wie im Weinbau, von einem nicht so ertragreichen  Jahrgang sprach. Armin Köhler hatte, was leider sehr selten geworden ist, ein sehr genaues Gespür für die Gesetze der Kunst-Herstellung: Auch das intelligenteste Konzept für ein Werk muss nicht funktionieren, wenn nicht etwas Übergreifendes, Überbordendes hinzutritt: Phantasie eben. Oder auch, wie es einmal Michael Gielen als Frage an den jüngeren Lachenmann richtete, der ihm weitschweifig eine neue Komposition für Donau-eschingen erklärte: Und wo bleibt die Transzendenz?

Das ist eine fortwährende Frage. Armin Köhler nahm sie immer aufmerksam zur Kenntnis, wohl wissend, dass Transzendenz nicht einfach nur abgerufen zu werden braucht, sondern, dass sie sich bei jedem neuen Werk stellt. Insofern war Armin Köhler der ideale, man könnte auch sagen: perfekte Partner der Komponisten. Seine Intuition, sein Wissen um die Schwierigkeiten mit der Neuen Musik und ihren neuen Sinngebungen, waren einmalig. Sie zu ersetzen und in seinem Sinne weiterzuführen, dürfte nicht einfach sein. Es gibt zu viele Blindflecken in der Sendeanstalt, die das Erbe Armin Köhlers verdunkeln könnten.

Filmberichte über die Donaueschinger Musiktage auf
www.nmzmedia.de

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