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Der Komponist – das subjektive Wesen

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Wie steht es um die Subjektivität im zeitgenössischen Komponieren?
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Ein Besuch der Donaueschinger Musiktage, der Darmstädter Ferienkurse, der Wittener Tage für neue Kammermusik, der Dresdner Tage der Zeitgenössischen Musik oder des Musikprotokolls des Steirischen Herbstes garantiert zwar einen Einblick in die Szene und je nach Programmdramaturgie lassen sich auch Trends erkennen – oder es werden bestimmte Werke zu Trends zusammengefasst. Indes währt die Aktualität des Trends immer nur bis zum nächsten Uraufführungstermin. Das ist kein Nachteil, denn wenn alles in Bewegung bleibt, gibt es so schnell auch keine Erstarrung: „Toll, wie die Dinge sich drehen.“

Es ist schwer, wenn nicht gar unmöglich, eine umfassende und allgemeingültige Standortbestimmung des zeitgenössischen Komponierens abzugeben. Dafür läuft die Produktion ganz unterschiedlicher neuer Werke zu sehr auf Hochtouren. Einerseits werden Zeitgenossen bereits zu – nicht unbedingt dadurch öfters gespielten – Klassikern verklärt. Helmut Lachenmann beispielsweise, aber auch der noch nicht 50-jährige Wolfgang Rihm, dessen bisheriges Vermächtnis in der Basler Sacher-Stiftung gegenwärtig Archiv-Signaturen erhält. Andererseits gibt es eine Vielzahl von Komponisten und Komponistinnen, die für jedes ihrer Werke den wie auch immer definierten Kunstwerkbegriff beanspruchen. Ein Besuch der Donaueschinger Musiktage, der Darmstädter Ferienkurse, der Wittener Tage für neue Kammermusik, der Dresdner Tage der Zeitgenössischen Musik oder des Musikprotokolls des Steirischen Herbstes garantiert zwar einen Einblick in die Szene und je nach Programmdramaturgie lassen sich auch Trends erkennen – oder es werden bestimmte Werke zu Trends zusammengefasst. Indes währt die Aktualität des Trends immer nur bis zum nächsten Uraufführungstermin. Das ist kein Nachteil, denn wenn alles in Bewegung bleibt, gibt es so schnell auch keine Erstarrung: „Toll, wie die Dinge sich drehen.“ Je schwerer sich Kategorien bilden lassen, desto weniger können vorgefertigte Meinungen als Vorurteile greifen. Eine Antwort auf die Frage nach der Subjektivität in der zeitgenössischen Musik gibt es daher immer nur für das spezielle Werk und das ist seine Chance: Jede neue Komposition fordert vom Hörer, sich selbst zu relativieren, um mit der Musik in eine offene Dialogsituation treten zu können, in der die bisherige Hörerfahrung mit dem neu Gehörten korrespondiert: Werkerfahrung gleich Selbsterfahrung.

Deshalb ist es ist kein Defizit, dass es für die zeitgenössische Musik der abgelaufenen 90er-Jahre kein griffiges Schlagwort gibt, mit dem ein kompositorischer Ist-Zustand etikettiert werden könnte. Avancierte Komponisten des 20. Jahrhunderts haben sich ohnehin vehement gegen schubladengerechtes Zurechtstutzen ihrer Ästhetiken gewehrt. Arnold Schönbergs Skepsis gegen den Anfang der 20er-Jahre etablierten Begriff Neue Musik ist exemplarisch. Schönberg argwöhnte, dass mit der Anwendung des Begriffs Neue Musik eine Bevormundung der Komponisten durch inkompetente Musikhistoriker einhergehe.

Der im 20. Jahrhundert letzte Versuch, einen stilistischen Begriff – nämlich „Neue Komplexität“ – in Deutschland wenigstens ein bisschen Epoche machen zu lassen, war vor zehn Jahren mehr auf die Initiative von einigen wenigen Komponisten vornehmlich aus England zurückzuführen, die im Darmstadt der 80er-Jahre sehr präsent, wenn nicht sogar ästhetisch prägend gewesen waren. Mit der Forderung nach kompositorischer „Komplexität“, gemeint war vor allem die Musik Brian Ferneyhoughs, sollte an die als verloren empfundene materiale Verbindlichkeit der Darmstädter Hochzeit des seriellen Komponierens Mitte der 50er-Jahre angeknüpft werden. Der Versuch misslang.

Die Forderung nach einer umfassenden kompositorischen Verbindlichkeit um 1990 mag hingegen eine Reaktion auf die seit Mitte der 70er-Jahre wieder ins Blickfeld gelangte Subjektivität des Komponisten gewesen sein. Damals gelang unter dem Etikett „Neue Einfachheit“ letztmals eine Schlagwortbildung – allerdings gegen den Widerspruch der damit belegten Komponisten. Die „Neue Einfachheit“ mit ihrer, wie es Hans-Jürgen von Bose einmal formulierte, Suche nach einem neuen Schönheitsideal, unterschied sich jedoch sehr von der „New Simplicity“ der amerikanischen Minimalisten, von denen das Schlagwort üernommen wurde. Beim Kölner „Neue Einfachheit“-Konzert im Jahr 1977 wurden Werke von Hans Zender, Ulrich Stranz und Walter Zimmermann mit Musik von Eric Satie, Steve Reich und Morton Feldman konfrontiert.

Gallionsfigur einer „Neuen Einfachheit“ sollte jedoch ein ganz anderer werden – ob er es wollte oder nicht. Aus Wolfgangs Rihms Kompositionen der 70er-Jahre wurde alles herausgehört, was die um 1950 geborene Komponistengeneration als neu-einfache kennzeichnen sollte: ein subjektiv motivierter, auf klangliche Identifikation hin angelegter musikalischer Ausdruck. Der sah aber bei jedem der Komponisten natürlich anders aus. Für Jens-Peter Ostendorf, Manfred Trojahn, Hans Christian von Dadelsen, Peter Michael Hamel oder Wolfgang von Schweinitz war die „Neue Einfachheit“ weniger „eine genaue Bezeichnung als vielmehr Ausdruck eines allgemeinen Unbehagens an der Situation der Avantgarde, an ihrer Befangenheit in der eigenen, mitunter selbstzweckhaften Komplexität und ihrer sozialen Isoliertheit“, wie Gerhard R. Koch von der FAZ damals treffend ausführte.

Es gab aber auch sehr viel weniger vermittelnde Meinungen zu den Komponisten der „Neuen Einfachheit“: Deren Subjektivität sei „eine Anpassung an die Bastionen bürgerlicher Musikkultur“ und führe „in die Sackgasse“, kritisierte der Musikwissenschaftler und Publizist Hanns-Werner Heister. Gänzlich fassungslos reagierte man in der Wochenzeitung „Die Zeit“ auf Wolfgang Rihms breitwandiges und unverholen an Mahlers Adagio-Gestus anknüpfendes Orchesterstück „sub-kontur“. Diese Musik sei „Jenseits von Null“, insgesamt ein „Fäkalienstück“, nach dem anschließend „nur ein Schnaps“ helfe.

Mitte der 70er-Jahre hatte in der Tat eine harsche Zäsur im zeitgenössischen Komponieren stattgefunden. Die damals jungen Komponisten machten mit ihrer zunächst sehr radikalen „Abkehr vom Materialdenken“, wie es der Musikwissenschaftler Carl Dahlhaus formulierte, den Weg frei für eine sehr pluralistische Musik, wovon die heute jüngeren Komponisten allesamt profitieren. Aus heutiger Sicht war die „Neue Einfachheit“ weniger eine Wiederbelebung romantischer Genie- und Inspirationsästhetik, sondern erhob nach langen Jahren der Materialdiskussion die individuelle musikalische Wahrnehmung des Komponisten zu einer zentralen Kompositionskategorie, stellte sie zumindest gleichwertig neben die Auseinandersetzung mit kompositorischen Problemen: Der Komponist definierte sich einerseits wieder als Künster, nicht als Kunstarbeiter, begriff sich andererseits aber durchaus als Medium umweltlich-gesellschaftlicher Bedingtheiten, denen er fraglos ganz persönlich ausgesetzt ist und die durch ihn und seine Musik hindurchgehend gefiltert werden. Diese Subjektivität, begriff sich aber nicht als letzte und schon gar nicht als oberste Wertungsinstanz der Musik.

In der damals zum rein deutschen Phänomen gewordenen „Neuen Einfachheit“ wurde der Grundstein für ein heute international verbreitetes und nicht an Genre- und Stilgrenzen gebundenes Komponieren gelegt. Was sich vor gut einem Vierteljahrhundert als Subjektivität – im Leisen wie im kraftvoll Dynamischen – Gehör verschaffte, war der Beginn einer Rückbesinnung auf die durchaus in avantgardistischer Tradition stehende Wahrnehmung des Komponisten. Heute entstehen die meisten interessanten neuen Werke aus der freilich gebrochenen Wahrnehmung instrumentaler und institutioneller Gegenbenheiten. Die Wahl der musikalischen Mittel ist dabei völlig frei und changiert zwischen traditionellem Instrumentengebrauch, avancierter Spieltechnik und moderner Elektronik.

Und ebenso groß ist der Spielraum, innerhalb dessen sich der Komponist als Subjekt ausdrückt. Das Spektrum reicht von gänzlicher Verflüchtigung persönlicher Färbung innerhalb der Kompositionsstrukturen bis hin zu unmittelbar gestischen Ausdruckswerten. Nicht mehr die Intensität des musikalischen Erregungszustandes ist das Maß der kompositorischen Subjektivität, wie sie in der „Neuen Einfachheit“ noch einmal fröhliche Urstände feierte und wie sie dann in der „Neuen Komplexität “ ins Virtuose getrieben wurde. Heute ist die Subjektivität des Komponisten in der Identität der Komposition selbst aufgehoben: in deren spezifischer zeitlicher Gestaltung, instrumentaler Ausformung und klanglicher Erscheinung. Das sind die drei Pfeiler kompositorischer Individuation, auf denen die heutige Subjektivität im zeitgenössischen Komponieren ruht.

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