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Der Mailänder und das Meer

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Luca Francesconis neue Oper „Ballata“ am Théâtre de la Monnaie
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Vordem hätte man’s einfach der Weltläufigkeit zugeschlagen, heute interpretiert es sich eindeutig als musterhafte EU-Tugend: Der Internationalismus der Brüsseler La Monnaie-Oper, die als Uraufführung ein italienisches Opus („Ballata“ von Luca Francesconi) präsentiert nach einem 200 Jahre alten klassischen englischen Text („Rime of the Ancient Mariner“ von S. T. Coleridge), selbstverständlich penibel in den zwei belgischen Landessprachen übertitelt und mit einem deutschen Szeniker (Achim Freyer) als Koproduktion mit der Oper Leipzig annonciert.

Coleridges Meeresballade hatte literarische Auswirkung bis zu Edgar Allen Poes „Maelstrom“-Version. Das Meer ist hier nicht (wie etwa im „Fliegenden Holländer“, bei „Peter Grimes“ oder Henzes „Verratenem Meer“) Hintergrund eines dramatischen Geschehens, sondern Medium und Ort einer philosophischen Reflexion über das Leben. Die Theatralisierung kann daher kaum mit Elementen einer „Handlung“ hantieren. Sie macht das Sinnbildhafte auch in Allegorien anschaulich. Seefahrt als Männerwelt (im entgegenständlichten Verständnis: Männer als Subjekt der Geschichte) begegnet dem Weiblichen als imaginärer Verlockung (Sirene) und Friedensengel (Mond). Während der Tod männlich konnotiert ist, weist der Komponist der Mystischen Zwiefachfigur „Leben-im-Tod“ eine Sopranrolle zu. Das romantische Doppelgänger-Ich ist in den „alten“ und den „jungen“ Seemann aufgespalten. Moderne Oper als Folge stationärer lyrischer Bilder ohne narrativen Drive hat inzwischen Tradition. Francesconi handhabt die vom Erzählzwang freie Dramaturgie denn auch so erfahren und sicher, dass die Gefahr eines staubtrockenen Bühnen-Traktats niemals aufkommt. Mit ungemein sinnlichem Impetus, fast möchte man von Gusto sprechen, fängt die Musik das maritime Schillern, Scheppern und Tosen ein (als Professor unter anderem in Rotterdam hat der gebürtige Mailänder offenbar unmittelbare Meerberührung). Dazu versichert er sich einer aktualisiert impressionistischen Palette, geschult an Debussy. Die Klangbilder sind wirkungsvoll, dabei einfach angelegt. Größere formale Einheiten werden durch relativ feste Akkordstrukturen hergestellt, die durch allerlei Farbwerte zum Oszillieren gebracht werden. Die oft pathetische Vokaldiktion ordnet sich diesen harmonischen Feldern gleichsam natürlich zu. Der Gesang mag sich expressiv geben; er bleibt doch Teil der musikalisierten Lebens- und Meeresbrandung. Insgeheim tendiert die harmonische Rezeptur zu tonalen Schwer- oder Bezugspunkten hin, weshalb die Gesangsstimmen intonationstechnisch keine übermäßigen Anforderungen stellen. Ein irisierender, räumlich distanzierter Frauenchor (in den beiden Rängen postiert) hat ebenso suggestiv-illustrative Funktion wie das hinzugefügte elektronische Klangmaterial (IRCAM-Studios Paris). Kazushi Ono, der neue musikalische Chef der Brüsseler Oper, sorgte für eine hingebungsvoll-genaue Realisierung, die auch den Chor und das Orchester fulminant koordinierte.

Das Meer als musikalisches Sujet veranlasst Francesconis musiksprachliche Eloquenz zu überbordender, bisweilen ans Chaotische grenzender Bilderfülle und -überflutung. Hilfreich, dass die Szene dazu eher ein Gegenprinzip der Klarheit und Kargheit verfolgte. Der Theaterzauberer Achim Freyer, mindestens ebenso souverän seiner Mittel gewiss wie der Komponist, bestach auch durch Ausstattungs-Reduktion. Der leere Bühnenraum verzichtete fast ganz auf Accessoires. Geschickt wurde im ersten der beiden Werkteile das Schwanken des Schiffes durch die Bewegung der Begrenzung des hellen Hintergrunds (und die aus Bühnenlöchern hin- und herwippenden Köpfe der Seemänner) erzielt. Zunächst sind die Akteure wie gebannt an ihre Plätze: der alte und der junge Seemann als Drehfiguren, die anderen ebenso blitzschnell sich verwandelnd von Hochzeitsmusikern zu Schiffsleuten mit der frontal wie an einen Bug gehefteten weiblichen Galionsfigur in gleißend roter Robe oder provozierender Nacktheit (Kostüme: Maria-Elena Amos). Im zweiten Teil belebt sich die strenge Ordnung etwas, auch durch die immer mehr dominierenden Todesfiguren in einem bizarren Totentanz. Durch die finale singende Erscheinung des madonnenhaft auf einer Sichel stehenden Mond-Engels erfährt das makaber getönte Erinnerungsbild (auch musikalisch) eine natur- und lebensgläubige Befriedung. Das verhalten Religiöse dieser Schlusspointe wird in Freyers Interpretation noch behutsam unterstrichen.

Eindringlich wurden die Personen sängerdarstellerisch verkörpert. Marco Beasley war der alte Seemann, der, bald rezitierend, bald traumwandlerisch singend, das Geschehen als Erinnerungsstrom aus der Rückschau zu durchleben scheint. Aus dem Italienischen (Libretto: Umberto Fiori) verfällt der Text übrigens manchmal wieder ins Coleridge’sche Original. Ganz in der unmittelbaren Anschauung wurzelt die Expressivität des jungen Seemanns mit dem vehementen Bariton Anders Larsson. Wichtige Chargen sind der Page von Laure Delcampe und der Steuermann von Kim Woo-Kyung. In den langen Schlussphasen werden die Gesänge der Sirene (Sylvia Weiss), des Todes (Eberhard Francesco Lorenz), des Lebens-im-Tod (Ildiko Komlosi) und schließlich des Mondes (Susanne Schimack) visionär bedeutsam.

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