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Desaströs: Musikschullehrer im Prekariat

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Die ver.di-Befragung von Musikschulkräften deckt schlimme Verhältnisse auf
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Von Februar 2008 bis April 2008 wurde von der Fachgruppe Musik in ver.di eine bundesweite Umfrage zur Einkommenssituation und zu Arbeitsbedingungen von Musikschullehrkräften organisiert (wir berichteten). Die Auswertung der insgesamt 2.480 Fragebogen ist hiermit abgeschlossen.

Die Ergebnisse (siehe unsere erste Einschätzung in der nmz vom September) sind in weiten Teilen besorgniserregend: Eine überwiegende Zahl von Musikschullehrerinnen und -lehrern sind als Honorarkräfte in absolut prekären Verhältnissen beschäftigt. Aber auch den wenigen fest Angestellten wird in der Regel die ihren Qualifikationsanforderungen entsprechende Eingruppierung verwehrt. Die finanzielle und soziale Situation der Musikschullehrkräfte ist durchweg unbefriedigend.

Während in den alten Bundesländern mit 10,8 Prozent Vollzeitanstellungsverhältnissen und 55,8 Prozent Teilzeitbeschäftigungsverhältnissen die Forderung des VDM nach 70 Prozent fest Angestellten nahezu erfüllt wird, ist dies für die neuen Bundesländer und Berlin nicht einmal ansatzweise erreicht. In den neuen Bundesländern werden über 60 Prozent und in Berlin fast 78 Prozent der Beschäftigungsverhältnisse durch Honorarverträge, teilweise sogar befristete, abgedeckt. Dazu kommt, dass Festanstellungen überwiegend bei der Gruppe der über 40-Jährigen vorliegen. Bei den unter 40-Jährigen haben weniger als 8 Prozent eine Vollzeitstelle. Dies führt dazu, dass bereits jeder vierte Befragte angab, zwei oder mehr Beschäftigungsverhältnisse zu haben.

Das Jahres-Einkommen der vielen freien Mitarbeiter ist mit durchschnittlich 13.330 Euro brutto dabei erschreckend niedrig. In den neuen Bundesländern ist das durchschnittliche Jahreshonorar mit 12.065 Euro noch niedriger. Mit 1.000 bis 1.100 Euro monatlichem Brutto gehören die hochqualifizierten Lehrkräfte der deutschen Musikschulen zum Prekariat unserer „Bildungsgesellschaft“. Wird dazu berücksichtigt, dass die oben genannten Einkommen häufig nur durch mehrere Beschäftigungsverhältnisse an verschiedenen Musikschulen erzielt werden können, ist leicht vorstellbar, wie schwer unter diesen Bedingungen eine Einbindung in den Musikschulbetrieb z.B. für Vorspiele, Lehrerkonzerte und andere Zusammenhangstätigkeiten fällt, die ja gerade den Charakter einer Musikschule ausmachen.

Die immer wieder gern erhobene Behauptung, dass Musikschullehrkräfte freiwillig als freie Mitarbeiter arbeiten, um sich anderen künstlerischen Betätigungen widmen zu können, wird in der Umfrage eindrucksvoll widerlegt. In den alten Bundesländern wünschen sich 67 Prozent der Befragten eine Voll- oder wenigstens Teilzeitanstellung. In den neuen Bundesländern (76 Prozent) und Berlin (78 Prozent) ist dieser Anteil noch wesentlich höher. Selbst die Möglichkeit, durch mehr Unterricht das Einkommen zu erhöhen, wird häufig nicht geboten.

Ein zusätzliches Problem für alle Musikschullehrkräfte stellt der zunehmend in den Nachmittag erweiterte Unterricht der allgemeinbildenden Schulen dar. Bereits jetzt gaben 63 Prozent der Befragten an, Probleme mit der Unterrichtsorganisation aufgrund des Nachmittagsunterrichts zu haben. Sollte sich, was angesichts der aktuellen Bildungsdiskussion zu erwarten ist, die Ganztagsschule flächendeckend durchsetzen, sieht es für die Möglichkeiten, Zeiten für den Musikschulunterricht zu „ergattern“, künftig düster aus – mit allen wirtschaftlichen Konsequenzen für die Lehrkräfte.

Auch bei Honorarerhöhungen sind die Musikschulen nicht eben freigiebig. Ein Drittel der befragten Honorarkräfte gab an, seit 2002 oder länger keine Honorarerhöhung mehr erhalten zu haben. Andererseits wird unbezahlte Mehrarbeit gerne angenommen. Von den freien Mitarbeitern leisten 47 Prozent monatlich im Durchschnitt 3:30 Stunden unbezahlte Mehrarbeit.

Ein differenziertes Bild ergab sich bei der Bezahlung während der Ferien. Während in Berlin immerhin 77 Prozent der freien Mitarbeiter an Musikschulen in den Ferien bezahlt werden, sind es in den alten Bundesländern mit 46 Prozent nicht einmal die Hälfte der Betroffenen. Absolutes Schlusslicht mit nur 4,6 Prozent sind auch hier wieder die neuen Bundesländer.

Ähnlich schlecht wie bei der Entlohnung sieht es für die freien Mitarbeiter auch bei den sozialen Absicherungen aus. Immerhin sorgt die in letzter Zeit heftig umkämpfte Künstlersozialkasse (KSK) für eine grundlegende soziale Absicherung (alte Länder: 78 Prozent, neue Länder 80 Prozent, Berlin 94 Prozent), wenn auch aufgrund der niedrigen Einkommen die Rentenerwartung von freien Musikschullehrkräften kaum als Altersversorgung ausreichen dürfte. Da bei der Einkommensermittlung für die KSK Werbungskosten, im Gegensatz zur Ermittlung der Sozialabgaben bei Angestellten, vorher abgezogen werden, sind die rentenwirksamen Einnahmen der Honorarkräfte noch niedriger als die oben angegebenen Bruttoeinkünfte. Künftige Renten werden deutlich unterhalb des Existenzminimums liegen.

Der zweite Teil der Umfrage bezog sich auf die Kooperation von Musikschulen mit allgemeinbildenden Schulen und Ganztagsschulen. Hier lässt sich endlich auch Positives berichten. Die Kooperation mit Ganztagsschulen ist offensichtlich fester Bestandteil des Musikschulbetriebes. Dies zeigt sich auch daran, dass nur 8,5 Prozent der Befragten eine Kooperation ablehnen, der größte Teil der Befragten befürwortet solche Kooperationen. Insgesamt sind bereits 30 Prozent der Befragten in einer Kooperation mit einer allgemeinbildenden Schule tätig. Dabei ist diese Unterrichtsform in den alten Ländern mit 34 Prozent gegenüber Berlin (28 Prozent) und den neuen Ländern (20 Prozent) deutlich weiter verbreitet.

Ihre Verantwortung für diese neue Unterrichtsform scheinen die Musikschulen jedoch nur teilweise ernst zu nehmen. Nur 41 Prozent der an allgemeinbildenden Schulen tätigen Musiklehrer/-innen hatten Gelegenheit, eine vom Arbeitgeber finanzierte Qualifizierung zu diesem Thema zu besuchen. Auch mit der Bezahlung für diese besondere Unterrichtsform sind nur 35 Prozent der Befragten zufrieden oder sehr zufrieden. Bei den Arbeitsbedingungen an den Schulen sind die Meinungen jeweils geteilt. Mit der Organisation sind 52 Prozent der Befragten mindestens zufrieden. Bei den räumlichen Bedingungen sind es 48 Prozent, und mit der Zusammenarbeit mit den Lehrern der allgemeinbildenden Schulen sind 55 Prozent zufrieden. Kritisch betrachtet werden sollte, dass immerhin 13 Prozent der Befragten den Eindruck hatten, dass ihr Unterricht als Ersatz für regulären Musikunterricht benutzt wird.

Zusammenfassend muss festgestellt werden, dass die verantwortungsvolle und wichtige Arbeit der Lehrerinnen und Lehrer an den deutschen Musikschulen nicht entsprechend gewürdigt wird. Gerade bei den vielen Projekten zur Kooperation zwischen allgemeinbildenden und Musikschulen wird die Diskrepanz besonders deutlich. Hier arbeiten fest angestellte Lehrer/-innen der allgemeinbildenden Schule und freie Lehrkräfte in prekärer Situation mit gleicher Verantwortung – und für die Kinder und Eltern oft nicht unterscheidbar – zusammen. Eine Bildungsoffensive sollte deshalb auch damit einhergehen, alle Pädagogen für ihre Arbeit angemessen zu behandeln und zu vergüten.

Die zunehmende Verbreitung von Qualitätssicherungskonzepten wie QsM, EDuR und anderen zwingt hier regelrecht zu einem Umdenken. Zwar sind die Konzepte zur Qualitätssicherung verschieden. Alle jedoch überprüfen Faktoren wie Mitarbeiterzufriedenheit, Begabtenförderung und in diesem Bereich auch den Erfolg der Schüler bei Wettbewerben sowie Fortbildungsbereitschaft und Planungsmitwirkung der Lehrkräfte.
Alle diese Faktoren erfordern, dass sich die Lehrerinnen und Lehrer mit ihrer Musikschule identifizieren und zeitlich in der Lage sind, diese zusätzlichen Aufgaben zu erfüllen. Dazu benötigen sie Planungssicherheit und langfristige Verbindlichkeit.

Honorarkräfte, die jedoch von einer Musikschule zur anderen hetzen, um ihren Lebensunterhalt wenigstens einigermaßen abzusichern, sind nicht in der Lage, sich an jeder dieser Musikschulen für die Erfüllung dieser Qualitätsmerkmale zu engagieren. Die meisten dieser Qualitätsmerkmale sind nur durch einen erheblichen Aufwand an zusätzlicher Zeit zu erfüllen, der den Honorarkräften meistens gar nicht oder schlecht bezahlt wird. Nur durch Umwandlung von freien Arbeitsverhältnissen in Festanstellungen kann sichergestellt werden, dass die Qualitätsanforderungen erfüllt werden können, und Musikschulleiterinnen und -leiter zusammen mit ihrem Kollegium die Weiterentwicklung für eine zukunftssichere Musikschularbeit voranbringen können.

Weitere Informationen zu den Umfrageergebnissen unter: http://musik.verdi.de

 

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