Hauptbild
Szene aus der Oper „Flight“ mit „Refugee“ David Cordier und „Older Woman“ Therese Renick. Foto: Andreas H. Birkigt
Szene aus der Oper „Flight“ mit „Refugee“ David Cordier und „Older Woman“ Therese Renick. Foto: Andreas H. Birkigt
Hauptrubrik
Banner Full-Size

Die Eingeschlossenen im Airport Sartre

Untertitel
Das ist aber ein fideles Flughafengefängnis: Jonathan Doves Oper „Flight“ in Leipzig
Publikationsdatum
Body

Der Flughafen als Chiffre: ein Ort, wo man ankommen oder abfliegen kann. Ein Ort, an dem Verweilen zum Widerspruch gerät, an dem Nachdenken und Besinnung ausgeschaltet erscheinen. Ständige Mobilität ist angesagt. Immer weiter und weiter, nur irgendwo hin auf dieser Welt. Ein Ort also auch der Bewusstlosigkeit unserer Zeit. Nur die Katastrophe vermag den rasenden Kreislauf zu stoppen, ein Absturz oder ein ungewöhnliches Naturereignis, ein Orkan, ein Schneesturm. Dann wird der Mensch auf sich selbst zurück geworfen. Die äußere Katastrophe wird projiziert auf individuelle innere Situationen, auf psychische Befindlichkeiten und Verdrängungen. Dann verschwindet die Flughafen. Chiffre gleichsam im existenziellen Nichts. Man scheint dann bei Becketts und Ionescos Theaterstücken angekommen.

Das Faszinosum Fliegen und Flughafen hatte die Oper schon Ende der 30er-Jahre des vorigen Jahrhunderts für sich entdeckt: Luigi Dallapiccola schrieb nach Saint-Exupérys Roman „Vol de nuit“ seine Oper „Nachtflug“. Der dargestellte Konflikt zwischen den unwägbaren Gefahren der technisierten Welt für den Menschen und der fatalen Ideologie des „starken Lebens“, des auf sich selbst gestellten Individuums, spiegelt kritisch intellektuelle Tendenzen des Futurismus im faschistischen Italien wider.

Den Konflikt zwischen Mensch und Maschine reflektierte auch Boris Blachers szenisch-musikalische Reportage „Zwischenfälle bei einer Notlandung“ (1966), wo die Flugkatastrophe zum Auslöser surreal anmutender Vorgänge wird, die sich zugleich mit kompositorischen Experimenten (Elektronik) verbinden. Zum aktuell-politischen Untersuchungsausschuss avancierte Alessandro Melchiorres Flugzeugoper „…unreportet, inbound, palermo…“ (1997). Es ging darin um den dubiosen Absturz einer Passagiermaschine, die am 27. Juni 1980 wirklich mit 81 Menschen vor Palermo ins Meer stürzte, wobei sich hartnäckig bis heute Gerüchte halten, Nato-Kampfflugzeuge hätten die zivile Maschine abgeschossen, weil man in dieser Libyens Staatschef Gaddafi vermutete. Melchiorres Oper geriet bei ihrer Uraufführung in einem Hangar des stillgelegten Flughafens Atzenhof-Fürth zu einem geradezu gespenstischen Zeremoniell – doppelbödig auch, weil diesen Flughafen selbst eine düstere politische Vergangenheit umgibt.

Zwei weitere Flughafenopern nutzen den Ort für eine bewährte dramaturgische Situation: Eine Handvoll Menschen unterschiedlichster Herkunft ist wegen einer äußeren Katastrophe gezwungen, eine Zeitlang stillzusitzen und miteinander zu kommunizieren: die Eingeschlossenen auf Flugplätzen sozusagen, um einen Sartre-Titel zu variieren. Bei Philippe Manourys „60. Breitengrad“ geschieht das sehr ernsthaft: Dialoge mit Enthüllungsdramaturgie – bei der Pariser Premiere im Jahr 1997 hatte der Regisseur Pierre Strosser deshalb das vorgegebene bunte Airport-Ambiente weggeblendet und die Gespräche der im Schneesturm gestrandeten Passagiere, wie bei Melchiorre, in einen kahlen Hangarraum verlegt.

Von einer derartigen existenziellen Optik ist Jonathan Doves Oper mit dem kurzen Titel „Flight“ allerdings völlig frei. Nach der Premiere 1998 durch die Glyndebourne Touring Opera war „Flight“ beim Glyndebourne Festival, bei der Reiseoper Enschede und in Antwerpen zu erleben, überall beifallumrauscht. Der äußerliche Erfolg scheint ihr auch hierzulande sicher zu sein, die deutsche Erstaufführung an der Oper Leipzig jedenfalls gab dafür erste Signale. Jonathan Dove, Jahrgang 1959, ist – wie andere englische Komponisten auch – der von vornherein nicht verwerflichen Ansicht, eine moderne Oper dürfe auch unterhaltsam sein. Die kunterbunte Gesellschaft, die da wegen eines drohenden Orkans auf irgendeinem Flughafen festsitzt, könnte ebenso gut in Rossinis „Viaggio a Reims“ auftreten. Nur müsste sie dort virtuoser singen können.

Doves „Flight“-Musik gibt sich eher bescheiden. Sie meidet jeden komplizierten avantgardistischen Tonfall, geriert sich gefällig, schaut zur Minimal Music amerikanischer Provenienz, mischt ein bisschen Jazz-Sound drunter, verschmäht den Gestus des Musicals nicht, bedient sich punktuell auch in der europäischen Musikgeschichte und mixt alles geschickt und mit einiger Klangphantasie so zusammen, dass man es fast für einen Personalstil halten könnte.

Dazu steuern die Sänger gefällige Vokalität bei, oft etwas musicalfade Melodien. Anspruchsvoller klingt es nur bei einer engelhaft hoch singenden Controllerin (Julia Borchert) und bei einem „Flüchtling“, der auf dem Flughafen festsitzt, weil er keine Papiere mehr besitzt. Ein Countertenor kann diesen Leidenston am besten zum Ausdruck bringen. David Cordier gelingt inmitten der turbulenten Reisegesellschaft aus platten Alltagsmenschen eine anrührende Figur, die sich in diesem Ambiente allerdings einigermaßen seltsam ausnimmt. Für eine „Komische Flugzeugoper“ mangelt es Doves „Flight“ an Brillanz und Virtuosität. Rossini ist fern. Da konnten in Leipzig auch die solide Inszenierung, Ralf Nürnbergers Regie in Thomas Grubers Bühnenbild mit Airport-Accessoires und das ambitioniert aufspielende Gewandhausorchester unter John Axelrod nicht helfen.

Weiterlesen mit nmz+

Sie haben bereits ein Online Abo? Hier einloggen.

 

Testen Sie das Digital Abo drei Monate lang für nur € 4,50

oder upgraden Sie Ihr bestehendes Print-Abo für nur € 10,00.

Ihr Account wird sofort freigeschaltet!