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Die fünffache Aufhebung der Oper der Aufhebung

Untertitel
Staatsoper Hannover wagt sich an die Fortsetzung von John Cages „Europeras 1 & 2“
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Die Gattung Oper sollte brennen, damals bei der Uraufführung von „Europeras 1 & 2“ in Frankfurt. John Cage hatte zumindest einen Scheiterhaufen aus allen Requisiten des Opernbetriebs errichtet: aus Musikern, Sängern, Kostümen, Bildern, Licht und was sonst noch dazu gehört. Die Handlung erübrigte sich konsequenterweise, denn der Apparat der großen Gefühle, so hatte Cage erkannt, spricht durch sich selbst.

Die Gattung Oper sollte brennen, damals bei der Uraufführung von „Europeras 1 & 2“ in Frankfurt. John Cage hatte zumindest einen Scheiterhaufen aus allen Requisiten des Opernbetriebs errichtet: aus Musikern, Sängern, Kostümen, Bildern, Licht und was sonst noch dazu gehört. Die Handlung erübrigte sich konsequenterweise, denn der Apparat der großen Gefühle, so hatte Cage erkannt, spricht durch sich selbst.Danach trat eine Entwicklung bei Cage ein, die vom Frankfurter Auftrag her nicht vorgesehen war. Er schrieb drei weitere Stücke mit dem gleichen Titel (Europeras 3 bis 5). Die Attraktionskraft des abendländischen Gesamtkunstwerks hatte ihn nicht losgelassen, nun untersuchte er, wie weit sich der Trümmerhaufen noch destrukturieren ließ, ohne dass sich der Begriff von Oper dabei auflöst. Die Bühne und die Requisiten fielen weg, das Orchester schrumpfte zum Klavier oder zum aufgekratzten Schellack-Sound, schließlich verzichtete Cage im fünften Stück auf fast alle Eingriffe von außen und gab nur noch den in erster Linie zeitlichen Rahmen vor.

Was ist das? Ist das schrittweiser Abschied von der Oper oder ist es im Gegenteil ihre Neugeburt durch das Hindurchsteigen zum Wesen? An der Staatsoper Hannover, die ab dieser Saison mit Albrecht Puhlmann nicht nur einen neuen Intendanten besitzt, sondern sich zu einer weitgehend neuen künstlerischen Besetzung gehäutet hat, suchte man mittels der Cage’- schen Initialzündung eine positive Antwort zu geben. Denn wer will sich schon gleich mit der Leitproduktion der ersten Spielzeit wegrationalisieren? „Oper ist von gestern, ein Gestern aber, das nicht vergangen ist und nicht vergehen darf“. Diesen Leitgedanken gab Puhlmann dem neuen Beginnen mit auf den Weg. Und so wagte man, was bisher noch nie gemacht und wohl auch kaum angedacht war: Man brachte alle fünf Europeras zu einer gut dreistündigen Aufführung zusammen. Die technischen Verfahrensweisen, vor allem das Verschachteln und Übereinanderlegen von verschiedenen Stücken, hatte Cage in Aufführungen früherer Arbeiten selbst geliefert.

Es mag in erster Linie der junge Musikdirektor (und Komponist) Johannes Harneit gewesen sein, der die Architektonik des musikalischen Ablaufs erarbeitete. Es ging auf, die zeitlichen Relationen erwiesen sich als schlüssig. Um die Oper als formales Gerüst abzurunden, hatte man zusätzlich auf Musik von Erik Satie für eine vorangestellte Ouvertüre und ein Orgelintermezzo zurückgegriffen. Es waren durchaus logische Schaltstellen, das Zwischenspiel zum Beispiel markierte das Ende der Pause, die ihrerseits im Foyer mit Europeras 3 bestritten wurde. Erik Satie, dem sich Cage zeitlebens ästhetisch nahe fühlte, erklang denn auch zum Schluss über dem Opernplatz, hier aber war die Musik direkt im Cage’schen Konzept von Europeras 5 zu integrieren.

Erreicht wurde durch diese Maßnahmen, dass sich der Abend in einem durchgestaltet runden Rahmen bewegte. Die von Cage projektierte Offenheit der Form wurde eingeschränkt und Ordnungshüter mögen hier Einwände erheben. Aber in einem musikalischen Prozess, in dem man, geschieht es auf verantwortungsvolle Weise, sich alle Freiheiten herausnehmen darf, muss man auch diese Zurückbindung akzeptieren. Wirklich offen wurde es dann mit der Pause, in der zwischen Sekt, Häppchen und Smalltalks Standbilder von Opernklischees auftauchten. Mit dem Platz im Parkett war nun auch die rezeptive Phase aufgegeben worden. Draußen auf dem Platz winkte Europeras 5 als Open-End-Projekt.

Cage hat von irgendwoher zugesehen. „Macht ruhig weiter, wenn ihr nur nicht taub und dumm oder staubdumm dabei werdet“, meinte er.

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