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Die Heuchelei der Mirakel

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„In besonderem Maße widmet sie sich auch der zeitgenössischen Musik.“ So oder ähnlich kann man es fast in jeder Biografie bedeutender Interpreten klassischer Musik nachlesen, und so heißt es auch in jeder „politisch korrekten“ Laudatio auf heutige Musikpreisträger. Selten macht man sich dabei die Mühe, diese Aussage auf ihre Substanz hin zu überprüfen. Denn es ist ein Unterschied, ob man sich mit ein paar Auftragsstücken zeitgenössischer – zumal häufig konservativer – Musik schmückt und diese dann ein paar Mal aufführt; oder ob man sich der Verantwortung gegenüber dem großen Reichtum neuer Kunstmusik stellt; ob man versucht, zur Bildung eines aktuellen Repertoires beizutragen, indem man sich (wenigstens) der kompositorischen Meilensteine unserer Zeit annimmt. Auch wenn sie einem eben nicht gerade selbst gewidmet sind...

„In besonderem Maße widmet sie sich auch der zeitgenössischen Musik.“ So oder ähnlich kann man es fast in jeder Biografie bedeutender Interpreten klassischer Musik nachlesen, und so heißt es auch in jeder „politisch korrekten“ Laudatio auf heutige Musikpreisträger. Selten macht man sich dabei die Mühe, diese Aussage auf ihre Substanz hin zu überprüfen. Denn es ist ein Unterschied, ob man sich mit ein paar Auftragsstücken zeitgenössischer – zumal häufig konservativer – Musik schmückt und diese dann ein paar Mal aufführt; oder ob man sich der Verantwortung gegenüber dem großen Reichtum neuer Kunstmusik stellt; ob man versucht, zur Bildung eines aktuellen Repertoires beizutragen, indem man sich (wenigstens) der kompositorischen Meilensteine unserer Zeit annimmt. Auch wenn sie einem eben nicht gerade selbst gewidmet sind... Besonders unangenehm wird es, wenn genau jene Musiker, die es in dieser Hinsicht besser machen, in der Öffentlichkeit schnöde übergangen werden. Beispiel Violinmusik: In Harald Egge-brechts Publikation „Große Geiger“ (im Jahr 2000 erschienen im Piper Verlag München und Zürich) trifft man auf eine Vielzahl junger und nicht so junger geigerischer „Mirakel“ (Joachim Kaiser), die unter anderem dadurch auffallen, eine ganze Epoche hervorragender Violinmusik durch Nichtbeachtung zu Spezialistenfutter verkommen zu lassen. Nur hier und da liefern jene hoch dotierten Antiquitätengeiger einmal eine der erwähnten Alibi-Uraufführungen. Vielleicht als eine Art Geisterbahn-Gruseleffekt, mit dem die Angstlust am musikalischen Jahrmarkt befriedigt werden soll, ähnlich wie im Biedermeier: Aufrisse unheimlicher, beängstigender Gegenwelten – stets schön übersichtlich – als Mittel zum Zweck, sich am Ende im gewohnten Studierstuben- oder Salonmusikmief wieder so richtig wohl fühlen zu können.

Klassische Musikkultur nur noch als oberflächliches Spektakel? Oder leben wir immer noch in den Zeiten E.T.A. Hoffmanns? Von irrealen Gegenwelten, bevölkert von Dämonen und sonstigem Spuk, kann wohl kaum die Rede sein, wenn junge Geiger wie Mark Kaplan, Clemens Merkel oder Isabell Faust sich dem (wenn auch randständig) pulsierenden Leben der Gegenwartsmusik widmen, Werke von Nono, Scelsi, Xenakis oder Feldman zu würdigen Repertoirestücken erheben. Vorbilder für solches Musizierethos wie Rudolf Kolisch, Paul Zukofsky oder Irvine Arditti sucht man bei Eggebrecht übrigens vergeblich (nein, immerhin: Joseph Joachim fehlt nicht, aber andererseits: welche Inkonsequenz!). Ganz zu schweigen von experimentellen Geigern wie Jon Rose, Mari Kimura, Takehisa Kosugi oder Malcolm Goldstein. Ohne interpretatorische Leistungen im Bereich des historischen Repertoires verkennen zu wollen (allerdings fehlen bei Eggebrecht auch Geiger der historischen Aufführungspraxis wie John Holloway oder Andrew Manze...), sind doch die Leistungen solcher „Novitätengeiger“ angesichts der großen Widerstände in unserem allzu behäbigen Konzertleben als die wahren Mirakel zu betrachten... Letztlich sind gerade sie es, die durch stetes Anknüpfen eine große Musiktradition aufrechterhalten.

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