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Die Münchner Freie Szene läuft Probe

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Kurzweiliger dreistündiger „mu’zi:k“-Abend in der Muffathalle
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Ihre kulturelle Ausstrahlung verdanken Großstädte nicht nur glanzvollen Opernpremieren, internationalen Pultstars und avantgardistischen Museumsbauten. Ein zwar schwer zu messender, aber durchaus ins Kalkül zu ziehender Faktor dieser Attraktivität ist der Zustand der jeweiligen Freien Szene in der Stadt. Ein Beispiel dafür ist die wachsende Anziehungskraft der Metropole Berlin auf Künstler und Musiker, vor allem auf junge, die noch am Beginn ihrer Karriere stehen. Die Honorare sind in Berlin zwar schlechter als im Rest der Republik – die Mieten allerdings auch noch erschwinglich. Entscheidend für die Anziehungskraft auf Musiker und Besucher aber ist die Qualität der Freien Szene.

So frei die Szenen auch sein wollen, ohne Subventionen von Seiten der Kommunen, Länder und privater Förderer gäbe es sie nicht. Die bekannten Sparbeschlüsse der Städte und Gemeinden trafen bundesweit insbesondere die freie Musikszene. Eine gute Nachricht kommt aus dem Süden: Der Münchner Stadtrat bewilligte der freien Musikszene 90.000 Euro jährlich aus den Mitteln für Freie Kunst im öffentlichen Raum.

Als ein Probelauf fand jetzt das Konzert „mu’zi:k – made in München“ statt, ein über drei Stunden dauerndes Mammutkonzert in der Muffathalle, das das Spektrum der Szene repräsentierte. Ein Blick auf die wichtigsten Glanzlichter daraus lohnt sich. Die Medienkünstler Ulrich Müller und Siegfried Rössert sind Kern der Gruppe 48nord: Für ihr Stück „Swing by II“ hatten sie den Posaunisten Sebi Tramontana sowie den Perkussioniste Wolfram Winkel eingeladen. Neue Technologie traf auf virtuoses Instrumentalspiel. Auch wenn „Swing by II“ seine Gestalt vor allem durch improvisatorische Momente erhält, Swing steht hier nur als Anspielung auf den Jazz, gemeint ist die Energiezufuhr, die etwa eine Raumsonde beim Vorbeiflug an einem Himmelskörper aufnimmt und in Geschwindigkeit umsetzt.

Pianistin Stephanie Knauer schuf mit Karl F. Gerbers „Loops 2003 – für Klavier allein“ einen minimalistischen Kontrast zum Konzert der Gruppe 48nord. Gängige Klaviereffekte erwartet man bei Gerbers komplexen Loops vergebens. Knauer gestaltete präzise die spröde Schönheit der Gerberschen Tonschleifen. Süffig und mit reicher Harmonik arbeitet dagegen Helga Pogatschar in ihrem Melodram „Der Krokoolm und die Eintagsgans“. Die Liebesgeschichte für große und kleine Kinder wächst sich recht schnell zu einer satirisch bösen Moritat aus. Im Zentrum des Geschehens die Sängerin Cornelia Melian, die auch als zupackende Tehremin-Spielerin agierte. Das eigentlich musikalische Zentrum des Ensembles lag in den Stimmen von Blockflöte (Stefan Temmingh) und Klarinette (Mathis Mayr).

Mit dem „Struktur-Wellensittich“ bot Klaus Schedl neue Lösungen der postmodernen Materialfrage an: In einem Käfig saß ein Wellensittich, dessen Gesang durch die Musik simultan in Musik übersetzt wurde. Genau besehen und gehört traf der Vogel die Entscheidung bei der Auswahl vorkomponierter, aleatorischer Elemente. Da war der Weg nicht mehr weit zu John Cage. „Cage up“ – nannten die Musiker der Micro Oper München ihre John-Cage-Performance. Ob sie damit auch auf den Käfig von Schedls Wellensittich anspielten, blieb offen.

Nach Cages „Songbooks Nr. 6, 8, 35, 46, 52, 54 und 64“ schlossen sich „3 Lieder“ von Christoph Reiserer an, mit Michaela Götz (Stimme), Mathis Mayr (Cello), dem Komponisten (Saxophon), Jürgen Schneider (Schlagzeug) und Tobias Weber (E-Gitarre/E-Bass). Eine neuartig „polystilistische“ Musik, in deren Zentrum Samples einer Lesung Hermann Hesses stehen.

Das „mu’zi:k“-Finale übernahm Dieter Trüstedt, seit Jahrzehnten einer der Motoren der Münchner Freien Szene. Ulrike Döpfner tanzte seinen Schattentanz „Katalanische Vermutung“ – ein musikalisches Variationenspiel um die Zahlen 8 und 9, dessen Grundmuster sich nach und nach auflöst – ins Freie.

Projektausschreibung 2004:
Freie Projekte zeitgenössischer Musik können bis zum 30. April 2004 von Musikern und Ensembles aus dem Münchner Raum beim Kulturreferat München eingereicht werden. Eine Jury entscheidet über die Vergabe der Projekte, die auch spartenübergreifend sein können. Zwei Themen sind 2004 vorgegeben: „Identität und Heimat” sowie „Interkulturelle Musik in München”.

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