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Engagierte Streiter für die Neue Musik: Renate Liesmann-Baum und Gerhart R. Baum. Foto: Charlotte Oswald
Engagierte Streiter für die Neue Musik: Renate Liesmann-Baum und Gerhart R. Baum. Foto: Charlotte Oswald
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Die Quote ist wie ein Gift, das immer stärker wirkt

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nmz-Gespräch: Gerhart R. Baum zum Kulturauftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks
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In der Septemberausgabe nahm die Redaktion der neuen musikzeitung die aktuellen Sparpläne des Südwestrundfunks (SWR) zum Anlass, den SWR2-Wellenchef Johannes Weiß zu befragen. Dabei wurden nicht nur aktuelle Entwicklungen im Südwesten Deutschlands angesprochen, sondern auch grundlegende Fragen unseres föderal organisierten Rundfunksystems berührt. Ein Interview von nmz-Herausgeber Theo Geißler mit dem Rechtsanwalt und Bundesminister a.D, Gerhart R. Baum, geht diesen Fragen nach.

neue musikzeitung: Herr Baum, wir möchten mit Ihnen über den öffentlich-rechtlichen Rundfunk sprechen.

Gerhart R. Baum: Lassen Sie mich zunächst etwas Grundsätzliches sagen: Ich bin ein unbedingter Anhänger des öffentlich-rechtlichen Rundfunksystems, wie es sich in Deutschland entwickelt hat. Es ist bei allen Schwächen immer noch besser als vergleichbare Systeme in anderen europäischen Ländern oder darüber hinaus. Ich verteidige das System gegen Angriffe, ich möchte es aber ebenso gegen Selbstverstümmelungsversuche verteidigen. Die Verteidigung ist nur möglich, wenn der Auftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks ernst genommen wird.

nmz: Wie verbindlich ist aus Ihrer Sicht der Kulturauftrag der Öffentlich-Rechtlichen?

Baum: Er ist eindeutig beschrieben in mehreren Urteilen des Bundesverfassungsgerichts und gipfelt in der Feststellung des Gerichts, dass es Programme für Minderheiten geben muss, die durchaus auch sehr kostenintensiv sein können. Dabei denkt das Gericht besonders an den Kulturauftrag.

nmz: Nun sagen die Programmverantwortlichen in ihrer Argumentation für den hohen Etateinsatz in den Bereichen Unterhaltung und Sport immer wieder: „Wir machen Rundfunk für alle Gebührenzahler …“

Baum: Das ist eine völlig überflüssige Bemerkung. Rundfunk ist eine Veranstaltung für die Gesamt-Gesellschaft, aber eben nur dann, wenn Kultur-, Informations- und Bildungsauftrag ernst genommen werden. Das unterscheidet den öffentlichen Rundfunk von den Privaten, und wenn der Auftrag nicht wahrgenommen wird, erledigt sich das sogenannte duale System.

nmz: Die öffentlich-rechtlichen Programmgestalter lassen sich aber doch ganz offensichtlich von der Quote steuern.

Baum: Das stimmt. Die Quote ist wie ein Gift, das immer stärker zur Wirkung kommt, und spiegelt das innige Verhältnis der Entscheidungsträger zum Mainstream, zum Entertainment wider. Entertainment liegt in der Luft und drückt sich in der Quote aus – auch, wo Quote nicht der Maßstab sein darf. 

nmz: Nun kann man die Öffentlich-Rechtlichen von den Privaten in ihrer Sendeästhetik ja kaum noch unterscheiden.

Baum: Doch, man kann und muss sie im Bereich Hörfunk – und davon spreche ich hier – unterscheiden. Die Förderung der Musik, insbesondere auch der zeitgenössischen Musik, wäre bis heute in der beispielhaften Weise, wie das in Deutschland geschieht, ohne Hörfunk nicht möglich. Im Fernsehen ist die Lage eine andere. Ich bin der Meinung, dass der Kulturauftrag im Fernsehen erheblich zu kurz kommt.  Die Sparten-Kulturprogramme gleichen das nicht aus. Kultur gehört auch ins Hauptprogramm.

nmz: Eigentlich betreibt fast jede Landes-Rundfunkanstalt einen so genannten „Kultur-Kanal“. Darüber hinaus gibt es die Nischen-Fernsehsender arte, 3sat und so weiter. Sind das nicht üppige Kulturversorgungs-Plattformen?

Baum: Das sind in der Tat zum Teil gute Versorgungsplattformen. Allerdings scheinen auch diese Sender der Versuchung eines Flirts mit quoten-orientierten Programmen immer weniger zu widerstehen, was ich mit Sorge sehe. In den Fernsehprogrammen gewinnt ganz allgemein das Entertainment-Denken immer stärkeren Raum. Warum zum Beispiel findet Donau-eschingen, das wichtigste Uraufführungsfestival in Deutschland, nicht auch im Fernsehen statt – so wie der SWR2 es seit einigen Jahren vorbildlich im Hörfunkprogramm anbietet? Gerade Neue Musik lässt sich doch sehr wirkungsvoll auch mit Bildern vermitteln!

nmz: Sie sind ein aufmerksamer Beobachter der Rundfunkprogramme. Sind Ihnen in den letzten Jahren stärkere Veränderungen in der Programmkonzeption aufgefallen?

Baum: Ich bin erschrocken über die Ankündigung, dass der SWR2 – die von mir hoch geschätzte Kulturwelle des SWR – bei den anstehenden Etatkürzungen am stärksten betroffen ist. Ich kann nicht glauben, wenn der Programmchef behauptet, dass das Sparvolumen von 25 Prozent bei SWR2 nicht zu einer grundsätzlichen Beschädigung des Kulturprogramms führen soll. Das ist doch unglaubwürdig – vor allem wenn er ausführt, dass es massive Stelleneinsparungen geben wird, vor allem bei den freien Mitarbeitern, und auch Kürzungen bei den Produktionskosten. Dies geht auf die Qualität. Hatten wir beim SWR vor Jahren spektakuläre Kürzungsversuche – Donaueschingen, SWR-Vokalensemble – so findet jetzt eine Erosion statt, die mindestens ebenso gefährlich ist. Ähnliche Kürzungen kündigen sich im Übrigen auch bei den anderen Sendern an.

nmz: Die ARD schaltet ihre Sender im Sommer zusammen zum ARD Fes-tivalsommer. Es gibt Deutschlandradio Kultur und den Deutschlandfunk. Steuern wir nicht speziell im Rundfunkbereich drastisch auf einen Bundeskultursender zu – zu Lasten der regionalen Berichterstattung?

Baum: Das wäre ganz schlimm. Die Landesrundfunkanstalten haben sich im Sommer selbst verstümmelt, indem sie über acht Wochen ein Einheitsprogramm angeboten haben. Das ist ein Schlag gegen den Pluralismus des Programms und gibt Anlass zu größter Sorge. Ich fürchte, das ist nur ein erster Schritt und weitere Einschränkungen werden folgen, so dass die bisherige Vielfalt Schaden nehmen wird.

nmz: Lange Jahre galten die Öffentlich-Rechtlichen als Zukunftswerkstätten der Avantgarde. Wenn man jetzt zum Beispiel das Desinteresse der Sender an einem Projekt wie „sounding D“ der Bundeskulturstiftung bilanziert, ist die Frage angebracht, ob diese Innovationsschmieden nicht inzwischen kaputt sind.

Baum: Sicherlich hat der öffentliche Rundfunk noch einen großen Anteil an der Entwicklung der Musikkultur in unserem Land. Aber er trägt in der Tat zu wenig zur kulturellen Bildung im eigentlichen Sinne bei. Das Projekt „sounding D“ war ein auf öffentliche Aufmerksamkeit gezieltes Großprojekt im Rahmen vom „Netzwerk Neue Musik“ – ein von der Bundeskulturstiftung zu Recht initiiertes, bundesweit wirksames und nach bisherigen Erkenntnissen auch sehr erfolgreiches Bildungsprogramm, um Neue Musik im weitesten Sinn den Menschen näher zu bringen. Es wurde übrigens intensiv von Deutschlandradio Kultur beziehungsweise vom Deutschlandfunk begleitet. Für das auch optisch attraktive „sounding D“-Projekt hätte sich natürlich eine Beteiligung des Fernsehens angeboten.

nmz: Haben Sie institutionelle Änderungsvorschläge, um einer Trivialisierung der Sender entgegen zu wirken – gerade auch im Zusammenhang mit unserem Demokratieverständnis und der demokratischen Aufgabe, die die Öffentlich-Rechtlichen ja haben?

Baum: Das Grundgesetz enthält den Auftrag an den Staat, die Entfaltung der Kunst aktiv zu fördern. Kunst ist wichtig gerade in Zeiten der Krise! Kunst ist immer eine Sache von Minderheiten, die der Respektierung durch die Mehrheit bedarf – auch in den öffentlich-rechtlichen Sendern! Die Kulturausgaben sind nur ein Bruchteil von dem, was die Sender beispielweise für Unterhaltung und Sport ausgeben. Einsparungen im Kulturbereich tragen zu den Sparzielen nur minimal bei, gefährden aber den Programmauftrag. Es gilt das Wort von Wolfgang Rihm: „Wir zahlen Gebühren nicht für unsere Unterforderung“.

Das Gespräch führte Theo Geißler

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