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Drei Schuhschachteln und eine ältere Arena

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Konzerthallen im Kräftespiel von Architektur, Akustik und Kulturpolitik
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Der Wiener Musikvereinssaal (1870), das Leipziger Gewandhaus (1884), die Berliner Philharmonie (1963) oder der Konzertsaal in Luzern (1998) – obwohl aus völlig verschiedenen Epochen stammend, sind Hallen wie diese Maßstab für jeden Neubau einer Konzerthalle – beispielsweise wurde für das Konzerthaus Dortmund die Akustik des Wiener Musikvereinssaales tatsächlich nachgebaut.

Der Wiener Musikvereinssaal (1870), das Leipziger Gewandhaus (1884), die Berliner Philharmonie (1963) oder der Konzertsaal in Luzern (1998) – obwohl aus völlig verschiedenen Epochen stammend, sind Hallen wie diese Maßstab für jeden Neubau einer Konzerthalle – beispielsweise wurde für das Konzerthaus Dortmund die Akustik des Wiener Musikvereinssaales tatsächlich nachgebaut. Allzu leicht vergisst man dabei, dass die instrumentale Musik des 18. und frühen 19. Jahrhunderts in völlig anderen klanglichen Gegebenheiten aufgeführt wurde. Bis 1808 wurden beispielswei- se die Orchesterwerke Ludwig van Beethovens überwiegend in den Palais der Wiener Aristokratie aufgeführt (vgl. Stefan Weinzierl in „Beethovens Räume“, Verlag Erwin Bochinsky). Neben dem selten für Konzerte genutzten Wiener Theater stand in der Musikstadt Wien erst ab 1831 ein großer Konzertsaal zur Verfügung. Diese Palais waren für heutige Verhältnisse sehr klein. Aufführungen der Konzerte Beethovens, Schuberts, Salieris, Haydns oder Mozarts unterschieden sich folglich in Lautstärke, Klangfarben, Nuancierung und damit in der Wirkung auf den Zuhörer völlig von heutigen.

 

Musikgeschichtlich gesehen sind also Konzerthallen etwas sehr junges. So jung eben wie die instrumentale Musik, für die sie gebaut werden. Denn erst mit dem Beginn der Entwicklung der großen Formen, den Symphonien, den Sonaten, beginnt Anfang des 19. Jahrhunderts die große Epoche der instrumentalen, autonomen Musik. Dass seit Mitte des 19. Jahrhunderts immer größere, schönere Konzerthallen gebaut wurden, war wiederum möglich durch den Aufstieg eines städtischen Bürgertums, das für sich neben dem Zugang zu den Kapitalmärkten auch den zu dem bislang dem Adel vorbehaltenen gesellschaftlichen Leben in Anspruch nahm. Man traf sich in öffentlichen Parks, Kaffeehäusern, Bierhallen und eben auch Konzerthallen, um dort Geschäften nachzugehen, sich zu amüsieren und Theater oder Musik zu erleben.
Was bestimmt heute das Verhältnis zwischen Architektur, Musik und Gesellschaft? Mit dieser Frage beschäftigte sich Anfang Juni der 16. Internationale Kongress der ISPA (International Society for the Performing Arts) im Luzerner Kultur- und Kongresszentrum (kurz KKL). Dieses Jahr mischten sich zahlreiche Teilnehmer aus Architektur und Akustik unter die anwesenden Intendanten und Chairmen: „Art.Space” hieß das Thema, wegen dem etwa 200 Teilnehmer vor allem aus den Vereinigten Staaten, Asien, Großbritannien, aber auch aus dem deutschsprachigen Europa angereist waren. Komponisten und Musiker waren bedauerlicherweise nicht anwesend.

Die oben gestellte Frage nach dem Verhältnis von Raum, Musik, Stadt, Zuhörer und Musiker zueinander, beantwortete der Kongress mit der Präsentation einiger Fallbeispiele aus der ganzen Welt. Der Besuch einiger „Musiktempel” in unserer näheren Umgebung kann auch Antworten geben – oder neue Fragen aufwerfen.

KKL in Luzern

Es hat zwar einen prosaischen Namen, doch wie kein zweites vereinigt das Kultur- und Kongresszentrum in Luzern zeitgenössische Architektur und exzellente Akustik. „Wunderbar ist die Akustik, wunderbar das Haus, eines der schönsten Häuser der Welt“, bestätigte Claudio Abbado den Bauherren 1998 nach der Eröffnung enthusiastisch.

Genial die Idee des Architekten Jean Nouvel, das Haus wie eines der zahlreichen Ausflugsschiffe auf dem Vierwaldstättersee an die Stadt gleichsam andocken zu lassen, die Besucher durch enge Gangways mit niederen Decken durch einen „Schiffsbauch“ zu führen; ins Parkett steigt man hinab wie in einen Maschinenraum, gedämpftes Licht, Luken dienen als Fenster, die die alpine Luzerner Landschaft wie gerahmt erscheinen lassen. Unvermittelt dann der Eintritt ins Allerheiligste: Man betritt die ganz in weiß gehaltene Halle des Konzert- saals, eine Basilika der Musik. Gerald Mortier nannte den Konzertsaal die „Apotheose dessen, was eine Konzerthalle in der westlichen Zivilisation bedeutet. Schinkel wäre sehr stolz auf sie”.
Auch die Außenansicht des KKL ist beeindruckend: Keiner kann sich der Wirkung der 50 Meter frei über den See hinausragenden Dachkonstruktion entziehen. Doch welche Interessen hinter der Errichtung eines derartigen Kolossalbaus stehen, sieht man erst auf den zweiten Blick. Zunächst gab es die Keimzelle: Eine Initiative aus Bürgern, kommunalen Politikern und Hoteliers will endlich für die traditionsreichen, von Arturo Toscanini 1938 als Alternative zum nationalsozialistisch vereinnahmten Salzburg gegründeten Festspiele ein zeitgemäßes und attraktives Haus.

Dazu Michael Haefliger, Intendant des Luzern Festivals: „Ein neues Gebäude belebt und entwickelt einen Ort, gibt ihm künstlerische Lebendigkeit. Das Luzerner Symphonieorchester hat mit dem neuen Konzertsaal ein völlig neues Programm entwickelt: Plötzlich wurden sie modern. Wir haben im Jahr an die zehn Uraufführungen gemacht. Sie hatten in jedem Programm zeitgenössische Inhalte gehabt, und das Echo beim Publikum war sehr groß. In neuen Räumen sind die Leute mehr dazu bereit, auch Neues zu erleben; ob das nun Säle sind, in denen man die Stühle bewegen kann oder nicht, ist sekundär.“ Haefliger kann dies leichten Herzens sagen, steht ihm doch neben dem Konzertsaal mit dem „Mittleren Saal“ ein flexibler Saal mit bis zu 900 Plätzen zur Verfügung. Von der ebenerdig beladbaren Bühne bis hin zu flexibler Raumausnutzung mit und ohne Bestuhlung ist hier vieles möglich.

Dortmunder Konzerthaus

Den Aufbruch in seine erste Spielzeit 2002/03 begeht das Konzerthaus Dortmund mit einem Eröffnungswochenende vom 13. bis 15. September. Auch wenn das Konzept des Hauses von der World Music über Jazz bis hin zur Moderne – einschließlich eines Composer in residence – allem und allen gerecht werden will – auch Shopping Malls und Gastronomie wurden nicht vergessen –, die Eröffnung wird „traditionell“ symphonisch gestaltet werden mit Mahler, Beethoven und Bruckner. Protagonisten der Einweihung sind das Philharmonische Orchester unter Arthur Fagen und das Deutsche Sinfonieorchester unter Kent Naganos Leitung. Das Konzept des Hauses ist gewissermaßen der Gegenentwurf zu Luzern. Setzte man im mondänen Schweizer Urlaubsort auf Stararchitekten, so ließ Intendant Andreas Vogt, der gleichzeitig auch Leiter der Betreibergesellschaft „Kultur Projekt Dortmund GmbH“ ist, auf ein junges Architekten-Team aus der Ruhrgebietsmetropole, die Planungsgruppe Dortmund. Die akustische Ausstattung besorgte keine Consulting Firma aus New York, sondern Brigitte Graner aus Bergisch Gladbach, die diesen Auftrag als „bislang schönsten Saal unserer Firma“ bezeichnet. Als Vorbild diente der Akustikerin der Wiener Konzertvereinsaal (Hallentyp „Schuhschachtel“), der in Dortmund für 1.550 Plätze akustisch „nachgebaut“ wurde.

Während Gerard Mortier und seine Triennale sich mit der problematischen Akustik stillgelegter Zechen herumschlagen wird, entsteht im Konzerthaus der akustischen Superlative vielleicht das Zeichen eines neuen bürgerlichen Selbstbewusstseins in Dortmund, dessen Bürger nicht länger in die Kölner Philharmonie oder in die Düsseldorfer Tonhalle fahren wollen. Doch bei allem Aufbruchswillen: hinter dem „akustischen Historismus” der Dortmunder Bauherren kommt museales Denken zum Vorschein.

Essener Philharmonie

Kaum profiliert sich Dortmund als das neue Klassik-Zentrum des Ruhrgebiets, da meldet sich die Konkurrenz. In Essen wird im Juni 2004 die Philharmonie Essen mit einem Konzert der Essener Philharmoniker unter Stefan Soltesz eröffnet. Während Dortmund für einen Neubau plädierte, entschied sich der Rat der Stadt Essen 1991 für eine Philharmonie im bereits vorhandenen Saalbau. Der renovierungsbedürftige Saalbau gilt als ein Ort, mit dem sich die Essener identifizieren: Bei einer Volksbefragung sprachen sich 90.000 Essener gegen einen Abriss des Saalbaus aus. Nach einem kompletten Umbau beherbergt das Gebäude dann einen großen Konzertsaal mit knapp 2.000 Plätzen, statt des Kammermusiksaales wird ein Pavillon das Bedürfnis nach Kammermusik und experimenteller Musik zufrieden stellen. Auch die bisher im Bau beheimatete Restauration wird in etwas geringerem Umfang weiter betrieben. Doch nicht nur dieses Anknüpfen an gewachsene städtische Tradition scheint erfolgversprechend: auch das potente unternehmerische Umfeld sieht im neuen Konzerthaus einen wichtigen Ort zur Identifikation und Repräsentation.

Der Geschäftsführer der Michael Kaufmann Concepte GmbH, Michael Kaufmann, entwickelt derzeit ein breites Konzept mit Veranstaltungstypen von der Symphonik, über Jazz und Operette bis hin zu Galakonzerten. Eine Zusammenarbeit mit dem Klavierfestival Ruhr und der Ruhrtriennale ist bereits für die ersten Monate der ersten Spielzeit 2004/05 vorgesehen.

Die akustische Ausstattung übernimmt Karlheinz Müller von Müller BBM aus München, ein renommiertes Büro, das unter anderem auch die Akustik des Festspielhauses in Baden-Baden konzipierte. Auch wenn der Saalbau zum Typ „Schuhschachtel“ gehört, in Essen strebt man nicht an, einen akustischen Vergleichsfall nachzubauen wie dies die Dortmunder tun, sondern man will der Halle einen eigenen, unverwechselbaren Klang geben.

Die nmz begibt sich zwar noch nicht selbst unter die Bauherren, aber auf musikjournalistisches Neuland: In lockerer Folge wird sie auf speziellen Seiten über Planung, Entwicklung, architektonische und akustische Konzepte, programmatische Ausrichtung, kulturpolitische Hintergründe sowie musikwirtschaftliche Bedeutung der Philharmonie Essen berichten.

Kulturzentrum Gasteig

17 Jahre ist das Münchner Kulturzentrum Gasteig in Betrieb. Architektonisch wirkt der Backsteinbau seit jeher wie die uneinnehmbare Trutzburg elitärer Hochkultur. Damit scheint es nun bald vorbei zu sein:

Für Brigitte von Welser, Geschäftsführerin der Gasteig Betriebsgesellschaft, steht bei der in den nächsten Jahren anstehenden Renovierung des Gasteig in erster Linie multifunktionale Nutzung, Gastronomie und auch eine Öffnung für Populäres im Vordergrund. Das Gasteig soll attraktiver werden, indem es sich der Stadt, dem public space öffnet – es bleibt zu hoffen, dass man sich dabei nicht nur modischem, zeitgeistigen Event ausliefert.

ars electronica in Linz

Alle genannten Häuser richten sich hauptsächlich am symphonischen Standardrepertoire aus. Alle orientieren sich weitgehend an den akustischen Archetypen der „Schuhschachtel“, (Wiener Musikverein, Gewandhaus, Herkulessaal München, Lu-zern, Dortmund), dem Typus Arena (Münchner Gasteig, Berliner Philharmonie) oder dem Opernhaus. In diesen Konzerthallen wird das Gestern und vielleicht noch das Heute reflektiert, wer aber initiiert dort das Morgen?

Dazu Gerfried Stocker, Künstlerischer Leiter des Ars Electronica Centers in Linz: „Elektronische, multimediale Kunst ist immer mit Raumproblemen konfrontiert. So wie im Museum nicht länger Tafelbilder dominieren, sondern begehbare interaktive Werke die Architektur herausfordern, so ändern sich auch akustische Gegebenheiten in Museum und Konzertsaal.“ Stocker legt dabei weniger Wert auf bestimmte architektonische und akustische Prämissen. Sein Ansatz ist kulturpolitisch: „Heute genügt es nicht mehr einmal Mittel für eine Projektfinanzierung freizustellen, und dann 20 oder 30 Jahre Ruhe zu haben. Heute sollte jede Halle, jedes Museum die laufenden Kosten mit einplanen, da die Strukturen, die Künste selbst sich ändern. Elektronische Musik, elektronische Kunst ist ein permanenter Umbau.“

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