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Die YoungsterBand „Heul Doch!“ mit ihrer Leiterin Anke Hein am Bass bei einem Auftritt. Foto: Anselm Weyer
Die YoungsterBand „Heul Doch!“ mit ihrer Leiterin Anke Hein am Bass bei einem Auftritt. Foto: Anselm Weyer
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Dreißig Jahre lang Musik von Anfang an

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Das Youngster- und TeenBand-Konzept der Offenen Jazz Haus Schule Köln
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Die acht Kinder sind frisch eingeschult. Viele spielten bislang kein Instrument. Die meisten nehmen auch noch keinen Instrumentalunterricht und haben nicht einmal ein Instrument daheim. Aber sie formen schon eine Band. Angeleitet von einem Profimusiker musizieren sie von der ersten Stunde an, lernen zunächst die wichtigsten Bandinstrumente spielen, bevor sie sich dann auf eines konzentrieren. Oft bleibt „ihre“ Band bis zum Ende der Schulzeit zusammen und hat bis dahin nicht nur fremde Songs erarbeitet, sondern auch eigene Stücke kreiert und öffentlich aufgeführt.

Dies ist der Ansatz der Youngster- und TeenBands an der Offenen Jazz Haus Schule Köln, die 2010 ihr 30-jähriges Bestehen feiert. „Die YoungsterBands bestehen aus fünf bis acht Kindern im Grundschulalter, die TeenBands beginnen mit der Sekundarstufe 1“, erklärt Martin Ziegler, der verantwortlich für den Kursbereich der Jazz Haus Schule ist. Von Anfang an werden Songs gespielt und gleichzeitig nach und nach die „klassischen“ Bandinstrumente – also Schlagzeug, Keyboard, Gitarre und Bass – eingeführt, so dass jedes Kind auf allen Instrumenten elementare Spieltechniken lernt. Dies geschieht zunächst in einem spielerischen Kontext von Bewegung und darstellendem Spiel. In den TeenBands wird das Konzept für die älteren Teilnehmer angepasst, indem der sich formende Musikgeschmack berücksichtigt wird. Spätestens jetzt entscheiden sich die Bandmitglieder für ein Instrument, für das sie idealerweise parallel Einzelunterricht nehmen.

„Der Anlass für die Gründung der Offenen Jazz Haus Schule war 1980 ein Mangel“, erinnert sich Rainer Linke, Gründungsmitglied, Dozent und Leiter. „Als ich mit der Musik anfing, gab es eine tiefe Kluft zwischen sogenannter E- und U-Musik.“ Musik hieß Klassik. Linke erzählt schmunzelnd, wie ein Musiklehrer seines Gymnasiums noch Ende der 60er-Jahre der Meinung war, der Flügel der Schule nehme Schaden, wenn man ihn für Bandproben einsetzte und auf ihm Beatles-Songs spielte. Als Linke in Köln Schulmusik und Instrumentalpädagogik studierte, improvisierte er erstmals. „Populäre Musik und Jazz“, berichtet Linke, „gehörten zwar nicht zur regulären Ausbildung, aber durch das freiwillige Jazzseminar von Manfred Schoof und Glenn Buschmann bin ich zum Jazz gekommen“.

Jazz als innere Haltung

Ende der 70er-Jahre aber wurde die Beschäftigung mit populärer und improvisierter Musik salonfähig. In diese Stimmung hinein fiel 1980 die Gründung der Jazz Haus Schule. „Wir wollten das gemeinsame Spielen in einer Band in den Mittelpunkt stellen“, berichtet Linke über das Ziel, den selbstgestalteten und selbstverantwortlichen Umgang mit improvisierter und populärer Musik zu fördern – von Jazz, Rock und Pop, später dann über Techno und Weltmusik bis hin zu HipHop. „Jazz haben wir nie im engeren Sinn von Bebop oder Swing verstanden, sondern als innere Haltung, auch der Gesellschaft gegen­über.“ Mit etwa 200 Lehrenden konzipiert und organisiert die Jazz Haus Schule heute Ensemblespiel und Instrumentalunterricht, kulturpädagogische Projekte, Konzerte sowie Aus- und Weiterbildung. 2008 wurde ihr für ihre langjährige Arbeit der Ehrenpreis des WDR-Jazzpreises in der Kategorie Jazzpädagogik verliehen. „Ihr Bildungsangebot in Sachen Jazz und improvisierte Musik hat überhaupt erst die Basis geschaffen für den jungen Profi-Nachwuchs an nordrhein-westfälischen Musikhochschulen“, schreibt die Jury in ihrer Begründung, die auch „die fundierte Instrumentalausbildung für Kinder und Jugendliche“ hervorhebt.

Es geht ums Musizieren, aber auch um „Bandgefühl“

Schon 1983 richtete die Jazz Haus Schule erste Kurse für Kinder ein. „Im Grundschulalter mit Instrumenten in der Band anzufangen, ist eine gute Zeit. Mit Musik überhaupt sollten die Kinder sich aber besser schon viel früher beschäftigen“, weiß Linke. Das Motto ist: Musik von Anfang an. „Unsere Schüler, ob in unseren Krabbelgruppen oder den Seniorenbands, wollen primär mit anderen zusammen Musik machen.“ So Martin Ziegler: „Wir setzen an beim praktischen Handeln und kommen erst dann zur Abstraktion und zur Theorie. Übungen ohne Bezug zur Musik der Gruppe finden gerade Kinder schnell langweilig.“ Es geht aber nicht nur ums Musizieren, sondern auch um das, wie Linke sagt, „Bandgefühl“: Die Kinder und Jugendlichen sollen sich mit „ihrer“ Band identifizieren, etwa indem sie sich einen Bandnamen geben. Auch das Repertoire ist musikalisch und textlich der Erfahrungswelt, dem Entwicklungsstand und dem musikalischen Vermögen der Kinder angepasst. Dabei kann es sich um vorgegebene Musik handeln, aber wenn die Kinder etwas Eigenes spielen, steigen die Motivation der Kinder und ihre Identifikation mit der Band.

Franz Kasper Krönig, seit acht Jahren Lehrkraft an der Jazz Haus Schule, spielt ein Gitarrenriff. Die Kinder seiner YoungsterBand singen dazu eine Melodie, die sie mit Bodypercussion begleiten. Schließlich erfolgt ein Break – nur die Bodypercussion läuft weiter. Die Kinder improvisieren nun reihum kurze Rhythmen und Melodien, diesmal zum Thema „Kuckucksland“. Zum Abschluss setzen die Gitarre und die Melodie wieder ein. In Stunden wie dieser versucht Krönig, die Kinder vielfältig und gezielt anzuregen. „Kinder sind keine trivialen Maschinen, die sich durch bestimmte ,inputs‘ zur Ausgabe bestimmter ,outputs‘ bewegen lassen“, betont Krönig die Ergebnisoffenheit. Jedes Kind hat eigene Fähigkeiten und Vorlieben. Deshalb ist natürlich auch jede Band anders. Die Lehrkraft agiert primär als Musikerin oder Musiker. In einer Anfängergruppe ist sie leitendes Bandmitglied. Sie spielt mit, gibt Orientierung und Sicherheit – zumeist an einem Instrument wie dem Klavier oder der Gitarre, wo sie den Song ganz darstellen kann, also Melodie, Rhythmus, Bass und Harmonie. Später spielt sie in Spannung zur Band eine selbständige Stimme und stützt die Gruppe nur bei Bedarf. Keinesfalls sollen die Lehrenden zu einem vorher ausgedachten konkreteren Ergebnis lenken, sondern vor allem auch kreative, im Ergebnis offene Gruppenprozesse initiieren, etwa, indem sie die Kinder eigene
Klangstücke oder auch richtige eigene Songs entwickeln lassen und hierbei die Ideen der Kinder positiv verstärken oder ergänzen. „Als Dozent entwickle ich einen methodischen Weg“, so Linke, „auf dem die Kinder zu einem Ergebnis gelangen – unter abwechslungsreicher und fantasievoller Einbeziehung ihrer Erfahrungswelt, mit möglichst wenig erlebtem Widerstand, auf differenziertem Leistungsniveau.“

Bandarbeit als pädagogische und künstlerische Tätigkeit

Geleitet werden die Bands von Lehrkräften, die als freie Musiker auch künstlerisch aktiv sind. Rainer Linke etwa ist nicht nur ausgebildeter Musikpädagoge und Dozent an der Kölner Musikhochschule. Jahrelang trat er als freischaffender Musiker international auf und spielte zahlreiche Platten- und CD-Aufnahmen ein. „Ich betrachte meine Arbeit mit Youngster- und TeenBands nicht als rein pädagogische, sondern mindestens gleichermaßen als künstlerische Tätigkeit“, erläutert auch Franz Kasper Krönig, der nicht nur als Musiklehrer an einer Realschule tätig war, sondern vor allem aktiver Musiker ist, der in diversen Bands auf internationalen Festivals spielt und zahlreiche CD-Einspielungen vorweisen kann. „Ich mache Kindern und Jugendlichen Angebote zum Mitmusizieren, die von ihnen bewältigbar sind, sinnvoll aufeinander aufbauen und akzeptable Übungssequenzen beinhalten.“ Aufgabe der Lehrkräfte ist es primär, die positive Selbstverstärkung bei den Kindern nicht zu stören und ihnen Herausforderungen anzubieten. Kinder verspüren und artikulieren den Wunsch, am musikalischen Geschehen beteiligt zu werden und in immer anspruchsvollere Rollen hineinzuwachsen. Das Erlernen von rhythmischen Figuren oder instrumentalen Fertigkeiten ist nichts, was sie als von der Musik abgekoppelte Störung erfahren, wenn die Übungen auf die richtige Weise erfolgen, so Krönig.

Herausforderungen und Zwischenziele motivieren

Auf die Frage, wie er die Kinder nachhaltig motiviere, reagiert Krönig gelassen: „Die Probleme Faulheit, Antriebslosigkeit oder Stagnationslust sind in meiner Bandarbeit obsolet. Wenn Kinder in der Umgebung Gleichaltriger unter Zugriff auf attraktive Musikinstrumente zusammen musizieren, muss einiges falsch laufen, damit intrinsisch motiviertes Lernen nicht von selbst stattfindet.“ Gefahr sieht Krönig eher von einer anderen Seite: Etablierte Spieltechniken werden schnell als zu einfach erlebt und erprobtes Repertoire als öde, nicht mehr cool. Deshalb müsse er stetig neue Herausforderungen oder neue Tätigkeiten sicherstellen. Herausforderungen und Zwischenziele sind etwa Auftritte – mindestens zwei pro Jahr. Diese dienen der Motivation und dem Kompetenzzuwachs, weniger der Leistungsüberprüfung. „Beim Regionalwettbewerb von ‚Jugend musiziert‘ 2009 hat unser Schüler Emil Schweitzer den ersten Preis im Fach E-Bass bekommen“, berichtet Rainer Linke. „Wir haben uns mit ihm und seinem Dozenten Alexander Börner gefreut, aber Erfolg bei Wettbewerben ist für uns nicht zentral.“ Was den Kindern an Leistung abverlangt wird, legen sie also selbst fest und verlangen sie sich selbst ab. Es gibt keine Messlatte, die sie zu einem bestimmten Zeitpunkt überspringen müssten. Die Arbeit mit Bands birgt die Möglichkeit synergetischer Binnendifferenzierung. Die Fertigkeiten und Fähigkeiten müssen in einer Band nicht gleichmäßig verteilt sein. Natürlich erwirbt jedes Mitglied einer Band individuelle Kompetenzen, entscheidender sind aber doch die Kompetenzen, die sich in dem Sozialgefüge der Band als Ganzes sammeln.

Kooperationen und
schulkompatible Angebote

Die Jazz Haus Schule hat das Konzept der Youngster- und TeenBands entwickelt, als Kinder und Jugendliche ihre Nachmittage noch individuell gestalten konnten. Konzepte wie der Offene oder Gebundene Ganztag übertragen den Schulen die Verantwortung für diesen Lebensbereich. Welche Schule hat aber die Ressourcen, um die Kinder wirklich ganztags ihren Neigungen und Bedürfnissen entsprechend zu fördern und zu fordern? Die freien Einrichtungen mit ihren Erfahrungen und Angeboten werden heute dringender denn je benötigt. Die Musikschulen müssen daher die Nähe zu staatlichen Trägern suchen. Bereits 1987 begann eine Kooperation der Jazz Haus Schule mit der Gesamtschule Holweide und der Grundschule Worringen. Aktuell arbeitet sie an Konzepten für Zusammenarbeiten in Projekten wie „Kultur und Schule“ und „JeKi“. Beim Konzept der KlassenBands bekommt eine Schulklasse zusätzlichen Musikunterricht, in dem sie Pop- und Rockmusik covert und auch eigene Songs entwickelt. Auch hier erwerben die Bandmitglieder elementare Spieltechniken auf den klassischen Bandinstrumenten. Jedem Teilnehmer wird hier ein Leihinstrument zur Verfügung gestellt. Schulkompatibel ist auch der ganzheitliche Ansatz der Youngster-Instrumentalgruppen, in denen die Gestaltung von Musik und der Erwerb von Instrumentaltechnik aufeinander bezogen sind. Hier spielen acht bis zwölf Kinder Instrumente aus derselben Instrumentengruppe, die als Leihinstrument gestellt werden, also zum Beispiel Holzblasinstrumente oder Gitarren. Die Perspektive bei solchen Kooperationen führt auch zu Diskussionen zwischen den Verfechtern von möglichst homogenen und möglichst heterogenen Lerngruppen. Normalerweise muss man sich entscheiden zwischen einem mehrgliedrigen selektiven Schulsystem oder langem gemeinsamen Lernen. Bei der Bandarbeit aber ist eine Differenzierung nach guten und weniger guten Kindern meist gar nicht sinnig. Im Lernumfeld der Bands findet jedes Kind einen Kontext, in dem es in seiner individuellen Begabung und Kreativität zum Zug kommt.

www.jazzhausschule.de

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