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Ein eigenes Bild von den Quellen

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Die Reger-Werkausgabe verbindet gedruckte Bände mit einem Online-Portal
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Um ein Musikwerk auszuführen bedarf es einer Notenausgabe, die dem musikalischen Willen des Komponisten größtmöglich nahekommt. Andererseits muss sie für den Interpreten eine hohe Praktikabilität aufweisen. Die neue Reger-Werkausgabe geht innovative und zeitgemäße Wege, um diese Forderungen zu erfüllen. Sie ist die erste „hybride“ Werkausgabe, die nur in der Kombination des gedruckten Notentextes und des im Internet zur Verfügung gestellten kritischen Apparates vollständig ist.

„Auf der Eisenbahn komponiere ich: ich sitze stillvergnügt in meiner Koupéecke und komponiere; mein Gedächtnis ist so entwickelt, daß ich all das da Komponierte behalte und sogleich oder nach Monaten zu Papier bringe ohne Entwurf.“ Sicher hatte Max Reger ein phänomenales musikalisches Vorstellungsvermögen, das diese zweistufige Kompositionsform (denken – schreiben) grundsätzlich stützen würde. Tatsächlich aber gehört dieses Reger zugeschriebene Zitat über weite Strecken in den Bereich der Legendenbildung. Denn die real existierende erhebliche Menge an Entwürfen zu seinen Werken aus eigener Hand spricht eine andere Sprache.

Seit Anfang 2008 entsteht im Max-Reger-Institut, Karlsruhe (MRI) als ein Projekt der Mainzer Akademie der Wissenschaften und der Literatur die Reger-Werkausgabe (RWA). Sie ist die erste Ausgabe von Reger’schen Werken, die sich mit Fug und Recht als wissenschaftlich erschlossene Ausgabe bezeichnen darf. Zwar war in der Zeit vom Beginn der 1950er Jahre bis 1970 (mit drei Supplementbänden in den 1980er Jahren) eine so genannte „Gesamtausgabe“ herausgegeben worden, doch trägt diese den Namen zu Unrecht.

Das MRI erklärt die Unzulänglichkeiten der „Gesamtausgabe“ folgendermaßen: „Die mit dieser Bezeichnung üblicherweise verbundene Autorität geht fehl, da die Ausgabe weder vollständig noch wissenschaftlich korrekt ist und sie ohne durchgängiges Konzept und verbindliche Editionsrichtlinien entstand. Als Stichworte wären hier die willkürliche und häufig falsche Gewichtung der Manuskript- und Druckquellen nach Verfügbarkeit oder Geschmack des jeweiligen Herausgebers zu nennen, außerdem die fehlende Darstellung von Varianten, die Nichtberücksichtigung von sekundären Quellen und sogar verfälschende Eingriffe in den Notentext, etwa um das Erscheinungsbild der Orgelwerke der gerade aktuellen Ästhetik der Orgelbewegung anzupassen.“

Eine wissenschaftlich-kritische Bearbeitung der Originalquellen von Musik letztlich aller Stilrichtungen ist die Voraussetzung für eine Interpretation, die – neben modernen Ansätzen – eben auch dem Komponisten selbst und seiner Zeit, aber auch der Komposition in ihrer end- und letztgültigen Gestalt Raum gibt. Für den Interpreten, der nicht kritiklos einfach nur zur „praktischen Ausgabe“ greifen will und tiefer in ein Werk einsteigen will, ist es oft unabdingbar, sich dem Original, dem Manuskript, zuzuwenden und sich ein eigenes Bild von der Quellensituation zu verschaffen. Erst dann kann er sich seiner eigentlichen – analytischen, ästhetischen oder interpretatorischen – Aufgabe zuwenden. Da der Weg zu den Bibliotheken und ihren Beständen oft nicht der nächste ist und wohl auch nicht jeder Interpret an den Originalquellen arbeiten kann, müssen ihm diese in einer kritischen Ausgabe zur Verfügung gestellt werden.

Die RWA ist von vornherein als eine Auswahlausgabe und nicht als Gesamtausgabe angelegt. Das liegt letztlich an den Vergabekriterien und Förderrichtlinien der Unterstützer und Geldgeber – Gesamtausgaben werden derzeit nicht gefördert. So ist die RWA (zunächst?) auf drei Werkbereiche begrenzt, die in sich vollständig und systematisch erschlossen werden: I. die Orgelwerke, II. die Lieder und Chöre und III. Regers Bearbeitungen von Werken anderer Komponisten. Das Modul „Orgelwerke“ ist bereits vollständig fertiggestellt und im Carus-Verlag erschienen. Derzeit arbeiten die Herausgeber am zweiten Modul, in dem von den insgesamt elf geplanten Bänden schon sieben verfügbar sind.

Erstmalig bei einer Werkausgabe eines Komponisten wird bei der RWA eine zweigleisige Strategie gefahren. Diese „hybride“ Ausgabe besteht aus einem gedruckten Notentext und einem digitalen wissenschaftlichen Apparat. Sind aus – wie es die Herausgeber nennen – „pragmatischen Erwägungen“ auszugsweise auch in den gedruckten Bänden Teile des wissenschaftlichen Apparates aufgenommen worden, so wird er vollständig nur in digitaler Form angeboten und ist notwendiger Bestandteil der Ausgabe. Anfangs wurde dieser digitale Teil den Bänden in Form einer DVD beigegeben, die sich aber im Zuge der Weiterentwicklung und auch der unterschiedlichen häuslichen Technik der Nutzer heute nicht mehr immer fehlerlos nutzen lässt. Für die letzten erschienenen Bände ist er online unter www.reger-werkausgabe.de abrufbar. Die Inhalte der bereits erschienenen DVDs sollen noch in diesem Jahr auch über das Online-Portal zugängig gemacht werden.

Im Online-Teil der Ausgabe werden zunächst einmal sämtliche Quellen (Entwurf, Erstschrift, Stichvorlage, Erstschrift und Werkausgabe) der Werke zur Verfügung gestellt. So kann sich der Nutzer ein eigenes Bild von Regers Schreib- und Arbeitsweise machen, aber auch den Editionsprozess nachvollziehen. Zum anderen wird eine schier unüberschaubare Anzahl an Einzeldaten und -fakten bereitgestellt, die das Umfeld des Komponisten, der Komposition, der Herausgabe und der Interpretation des Werkes beleuchten. Über Links kommt man vom Werk selbst zum nach einzelnen Jahren geglie­derten Lebenslauf des Komponisten, zu den Text- und Melodiedichtern, zu Textvarianten, zu den Widmungsträgern und ihrem Umfeld, zu den Verlagen, zu den Uraufführungen, ihren Interpreten, ihren Orten oder den (damaligen) Dispositionen der Orgeln, zu Aufführungs- und Notenrezensionen et cetera. Jeweils gut überschaubare und zumeist bebilderte Texte ermöglichen ein Eintauchen in die Welt und Umwelt Regers. Das Zusammentragen all dieser Fakten hat sich gelohnt – für den kritischen Leser der Ausgabe bleiben dadurch (fast) keine Fragen offen, die er sich dann noch mühevoll an schwer zugänglichen Stellen beschaffen muss.

Die genannten Zusatz-Informationen sind bisher nur für die Orgeleditionen auf DVD so greifbar. Das entsprechende Modul im Internetauftritt der RWA fehlt noch, wird aber in nächster Zeit eingespielt werden und sukzessive erweitert werden. Der Umgang sowohl mit den DVDs als auch dem Internet-Portal ist einfach und erschließt sich beim Nutzen – einfache Links führen von Ort zu Ort, von Thema zu Thema. Diese Simplizität und die vom Carus-Verlag höchst professionell umgesetzten Druckbände machen die Ausgabe zu einem wahren Kleinod, das man gern zur Hand nimmt.

 

  • Reger-Werkausgabe. Wissenschaftlich-kritische Hybrid-Edition von Werken und Quellen. Max-Reger-Institut/Elsa Reger Stiftung, Carus-Verlag, www.reger-werkausgabe.de

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