Hauptbild
Lange Nacht der Chöre: Moderator Jürgen Liebing und der Kronenchor Friedrichstadt Berlin. Foto: Inga Lauenroth
Lange Nacht der Chöre: Moderator Jürgen Liebing und der Kronenchor Friedrichstadt Berlin. Foto: Inga Lauenroth
Banner Full-Size

Ein Fest für Uwe Gronostay

Untertitel
Die 3. Internationalen Chormusiktage in Berlin ehrten den einflussreichen Chordirigenten
Publikationsdatum
Body

„Ohne Uwe Gronostay wäre ich nie Chorleiterin geworden!“, erzählt Ulrike Grosch. Die Chordirigentin arbeitete für Rundfunk- und Konzertchöre und ist zurzeit an der Hochschule in Luzern als Dozentin für Chorleitung tätig. Hier gründete sie auch das Collegium Vocale, einen Kammerchor, der inzwischen zu den herausragenden Ensembles der Schweiz gehört.

Mit ihrem Chor gastierte Grosch bei den 3. Internationalen Chormusiktagen, die vom 23.  bis 26. Oktober in der Berliner St. Marienkirche stattfanden und diesmal dem legendären Chordirigenten Uwe Gronostay gewidmet waren. Der 2008 verstorbene Musiker wäre am 25. Oktober 75 Jahre geworden – ein Grund mehr, seine nachhaltige Leis-tung auf dem Gebiet der Chormusik zu würdigen. Viele Menschen hat Gronostay durch seine künstlerische Arbeit geprägt. Als Kantor leitete er den Bremer Domchor. In Bremen gründete er auch den Norddeutschen Figuralchor, mit dem er zusammen mit Nikolaus Harnoncourt 1973 einen viel beachteten Messias aufführte. Bereits ein Jahr zuvor hatte Gronostay in Berlin den RIAS Kammerchor übernommen, dessen Direktor er 14 Jahre lang war. 1982 wurde er zudem künstlerischer Leiter des vorzüglichen Philharmonischen Chores Berlin, und er war außerdem von 1988 bis 1997 Chefdirigent des Niederländischen Kammerchores in Amsterdam. Alle diese Ensembles wurden durch ihn zu Klangkörpern geformt, die für ihren homogenen, präzisen und zugleich lebendigen Chorklang enorme Beachtung erzielten.

Aber Gronostays Engagement im Musikleben ging noch weiter. So inspirierte und förderte er als Professor für Chorleitung in Berlin und Frankfurt unzählige junge Talente. Einige dieser inzwischen exzellenten Chordirigenten präsentierten sich mit ihren Ensembles im Rahmen der Berliner Chormusiktage bei der „Langen Nacht der Chöre“, die als ein „Fest für Uwe Gronostay“ konzipiert war. Dabei war es ungemein spannend zu erleben, inwiefern sich der Einfluss Gronostays bei seinen einstigen Studenten nach wie vor bemerkbar macht. Man hatte die einmalige Chance herauszuhören, ob sich interpretatorische Gemeinsamkeiten – sozusagen als Abdruck der künstlerischen Handschrift des Meisterdirigenten Gronostay – finden lassen. Was man dabei sah und hörte, war faszinierend und überraschend. Bei aller Individualität der Chorleiter findet man allein schon in deren Dirigat erstaunliche Parallelen: Es ist bestimmt von einem sich den Sängern öffnenden, großen, dennoch weichen Bewegungsablauf, der die Chorsänger zu einer vollen, sehr kantablen, aber nie forcierten Tongebung einlädt und auffordert. Gleichzeitig ist immer genug Raum vorhanden, gesangliche Nuancen und Details mit den Armen und vor allem den Händen zu formen, die man wirklich auch hören kann.

Gronostay schien seinen Schülern für diese Art des sehr choraffinen Dirigierens und Musikmachens wichtiger Inspirator zu sein. Zugleich ist in diesem Zusammenhang interessant, dass Teile seines Unterrichts aus einem produktiven Vor- und Nachmachen bestand. „Seine Körperlichkeit und die Intensität, mit der er dabei dirigierte, hat sich sofort übertragen, sodass man das Gefühl hatte: Ja, so geht’s!“, erinnert sich Ulrike Grosch. Gronos­tays einstige Eleven erzählten in einer Art moderierten Konzertform, wie stark immer auch seine persönliche Ermutigung ihnen Antrieb und Bestätigung gab. So wollte Ulrike Grosch eigentlich Schulmusikerin werden, aber durch Gronostays Begeisterungsfähigkeit habe sie ihre Liebe zur Chormusik entdeckt.

Gronostays künstlerisches Schaffen konzentrierte sich insbesondere auf die Komponisten der Romantik, vor allem die Spätphase interessierte ihn: Rheinberger, Bruckner, Liszt, Reger, Hugo Wolf oder Richard Strauss. Und auch seine Schüler schenkten in ihren Konzerten diesen und anderen Meistern viel Aufmerksamkeit.

Dabei wurde deutlich, dass viele Werke der Romantik oder solche, die in diesem Umfeld stehen, bis hin zu Schönberg und Rudolf Mauersberger – ganz im Sinne Gronostays – eine neue künstlerische Herangehensweise brauchen. So erzeugen immer noch viele Chöre mit ihren ausladenden und pathetischen Interpretationen ein völlig überfrachtetes Klangbild. Einen ganz anderen Ansatz verfolgte dagegen Gronostay. Der von ihm geformte Chorklang war schlank und unprätentiös und dennoch sehr präzise. Doch für seine Neuauslotungen der romantischen Musik schenkte Gronostay auch dem Text mehr Beachtung. Dass das Wort mit seinen Vokalen, Konsonanten und Silben viel stärker als bis dato als Klangerzeuger eingesetzt werden kann, man aber dabei auch der inhaltlichen Auslegung der Worte mehr Aufmerksamkeit schenken sollte, zeichnete die Interpretationen Gronostays aus. All dies hat er an seine Schüler weitergegeben. Die Chorstücke von Max Reger etwa, die man vom Hugo-Distler-Chor (Leitung: Stefan Schuck) und vom Collegium Vocale Luzern hörte, hatten viel von dem oben beschriebenen Gronostay-Klang. Vorzüglich gelangen auch die Präsentationen des polnischen Chors ARSIS, der von der Gronostay-Schülerin Karolina Piotrowska-Sobczak gegründet wurde. Sie widmete sich elegischen Marienvertonungen, die unter anderem Stücke der gemäßigten Moderne von Tim Sarsany und Ola Gjeilo beinhalteten und mit sauberem, sonorem Klang sowie sängerischer Leichtigkeit vorgetragen wurden. Bei Rachmaninows Ave Maria spürte man eine fast schwebend wirkende Klangentfaltung.      

Der Kronenchor Friedrichstadt sang unter der Leitung von Marie-Louise Schneider zwei geistliche Motetten und ein fünfstimmiges Advents-Lied, die Uwe Gronostay als Komponisten vorstellten. Die Stücke zeichnen sich durch eine raffinierte, polyphon gestaltete Klangfülle aus und glänzen durch ihre hohe Kantabilität. 

Gronostays musikalisches Erbe, dies wurde bei den Chormusiktagen deutlich, wird durch seine vielen Schüler weitergetragen. 

Weiterlesen mit nmz+

Sie haben bereits ein Online Abo? Hier einloggen.

 

Testen Sie das Digital Abo drei Monate lang für nur € 4,50

oder upgraden Sie Ihr bestehendes Print-Abo für nur € 10,00.

Ihr Account wird sofort freigeschaltet!