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Foto: Valentin Behringer
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Ein Musikschulangebot für Alle

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Die Blockflötistin und Musikpädagogin Annabelle Cavalli geht mit dem Barockorchester Lahr neue Wege
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Im Jahr 2016 hat die Blockflötistin und Musikpädagogin Annabelle Cavalli an der Städtischen Musikschule Lahr das Barockorchester Lahr (BOL) gegründet. Mit dem Ensemble, das kürzlich den 1. Preis beim Jugendwettbewerb der Händel-Gesellschaft Karlsruhe gewann, verbindet die Musikerin eine klare Vision: ein Musikschulangebot, das sich instrumenten- und niveauübergreifend an alle Interessierten richtet.

Annabelle Cavalli ist noch ganz aufgewühlt. Gerade hat sie mit dem Barockorchester Lahr den ersten Preis beim Karlsruher Händel-Jugendwettbewerb gewonnen. Wenn es nach ihr gegangen wäre, erzählt sie im Gespräch mit der nmz, hätte das Ensemble nach den zweiten Preisen in den Jahren 2019 und 2020 diesmal gar nicht teilgenommen. Für sie war das pädagogische Ziel, über die Teilnahme das Niveau zu steigern, schon erreicht. „Aber die Kinder wollten unbedingt wieder mitmachen“, sagt Cavalli, und da sie im Orchester über vieles demokratisch entscheiden lässt, erarbeitete man ein Videoprogramm für den diesmal nicht in Präsenz stattfindenden Wettbewerb und siegte prompt.

Kinder – Jugend – Barockorchester: So selbstverständlich, wie sich das liest, ist diese Kombination gar nicht. Das musste Annabelle Cavalli feststellen, als sie bundesweit nach möglichen Partnerschaften Ausschau hielt und, abgesehen von semiprofessionellen Ensembles, nicht fündig wurde. Dabei ist die Grundidee sehr einleuchtend, wie ein Blick auf die Genese und Arbeitsweise des BOL zeigt. Parallel zu ihrem Blockflöten- und Musikpädagogik-Studium an der Musikhochschule Freiburg hatte die aus Frankreich stammende Musikerin 2012 begonnen, an der Musikschule in Lahr zu unterrichten. „Da hatte ich Glück, denn das ist eine sehr visionäre Musikschule mit einer großen Streichertradition, aber auch mit einer Pop-Abteilung“, erzählt sie. Bald habe sie gemerkt, dass die Schüler gerne in einem Ensemble spielen würden und so habe sie 2015 erst einmal Fagott und Cello dazugeholt – ihr Motto: „Bässe braucht man!“ Das größere Barockorchester, das sie eigens für das traditionelle „Magic Classic“-Konzert der Musikschule zusammengestellt hatte, erregte dann einiges Aufsehen, und so ermunterte die Schulleitung sie, dieses dauerhaft einzurichten.

Die Arrangements werden den Niveaus angepasst

Seitdem besteht das Orchester, dem auch einige Studierende angehören, mit einer Größe von derzeit 28 Instrumentalisten: neben vielen Blockflöten sind Querflöten, Streicher inklusive Kontrabass, Cembalo und Trommel dabei; auch Fagott, Horn und Posaune waren schon vertreten. Die wechselnde, gemischte Besetzung ist kein Problem für die Leiterin, denn sie richtet das Repertoire selbst ein und folgt dabei einer klaren Maxime: „Die Musiker müssen sich nicht an die Musik anpassen“, betont sie, „sondern die Musik wird an die vorhandenen Niveaus angepasst. Barockmusik ist da relativ flexibel, ein bisschen wie bei Popmusik; es kann viel über das Arrangement gesteuert werden. Man muss einfach schauen, wie die Kinder arbeiten können und wollen. Ich habe mit ‚Barock-Hits‘ angefangen; die klingen dann vielleicht ganz anders, aber sie klingen!“

Annabelle Cavalli vertritt die Meinung, Kinder sollten in ihrem Musikschulleben die Möglichkeit bekommen möglichst viel zu entdecken, auch wenn sie erst spät, vielleicht mit 15 Jahren einsteigen und dann möglicherweise nur drei Jahre da sind. „Es gibt eben Schülerinnen und Schüler, die wegen ihres Niveaus oder ihres geringeren Übeeifers nicht in den gängigen Ensembles Platz finden. Auch denen muss eine Musikschule ein Angebot machen“, findet Cavalli, die ihre Repertoireauswahl außerdem als eine stilis­tische Horizonterweiterung versteht. Im Barockorchester-Arrangement sieht sie einen idealen Ansatz: „Ich kann zum Beispiel verschiedene Stimmen für die Streicher anbieten; manche spielen vielleicht nur im Refrain mit, vielleicht erst einmal nur leere Saiten. Aber sie schämen sich nicht dabei, denn sie fühlen sich dennoch als ein wertvoller Teil des Ganzen, weil sie zum Beispiel mit viel Bogen Schwung und Dynamik reinbringen. Andere übernehmen, ihrem Können entsprechend, Anspruchsvolleres.“ Auch die aus dem Concerto grosso stammende Differenzierung zwischen Concertino und Tutti nutzt die Orchesterleiterin für ihre Arrangements.

Organisatorisch funktioniert das BOL so, dass neben den wöchentlichen Proben ein Samstagstermin pro Monat stattfindet. Dann stoßen Schüler aus Müllheim hinzu, wo Cavalli ebenfalls unterrichtet, und es entsteht in den Pausen der Zusammenhalt, den sich die Leiterin für die Gruppe wünscht. Hier wie auch beim Warm-up hat sie sich einiges bei Hospitationen in Sportvereinen abgeschaut, die sie im Rahmen ihres Pädagogik-Mas­ters bei Prof. Andreas Doerne absolvieren konnte.

Vom Können der Kinder ausgehen

Eine andere wichtige Inspiration für Cavalli, die beim Händel-Jugendwettbewerb 2020 den erstmals verliehenen „Casimir-Schweizelsperg-Preis“ für „besonderes musikpädagogisches Wirken“ erhielt, ist die Montessori-Pädagogik, unter anderem vermittelt durch ihren Musikschul-Kollegen Andreas Kopfmann, Mitentwickler des Lahrer GrooveLAB: „Ich wollte weg vom Zwang, dass ich oder die Musik etwas von den Schülern verlangt. Stattdessen wollte ich vom Können der Kinder ausgehen.“ So hat sie auch ihren Anfängerunterricht an der Blockflöte komplett neu ausgerichtet und verzichtet seither auf bekannte Kinderlieder, die dann wegen ungünstiger Griffe doch nicht im gewohnten Tempo realisiert werden können. Stattdessen hat sie einfache Stücke komponiert, die zusammen mit einer Begleitung dennoch gut klingen, und erzielt mit dieser „Flötenwerkstatt“-Methode schöne Erfolge.

Für ihre fortgeschrittenen Schüler und das BOL kommen wichtige Impulse von Cavallis Profi-Ensemble L’Ephémère, deren Mitglieder immer wieder Hilfestellung geben, aber auch Meisterkurse anbieten. Auch Musiker aus dem Freiburger Barockorchester haben schon Proben in der Musikschule Lahr betreut und die musikalische Erarbeitung eines Programms unterstützt.

Opern- und Reisepläne

Die Zukunftspläne des Barockorches­ters Lahr sind schon recht konkret: Nächstes Jahr will Annabelle Cavalli eine Oper realisieren, bei der auch externe Teilnehmer willkommen sein werden. Zusammen mit einem Dramaturgen wird sie aus verschiedenen Werken ein neues Stück zusammenstellen. Schon in diesem Jahr erfüllt sich der Wunsch der Orchestermitglieder nach einer Tournee: Aufgrund eines Interviews, das die Musikerin beim Sender France Musique gegeben hatte, meldete sich ein Barockorches­ter erwachsener Laien aus Palaiseau, nahe Paris. Mit ihm zusammen wird das BOL im Sommer Charpentiers „Te Deum“ aufführen und außerdem in zwei Loire-Schlössern auftreten.

Annabelle Cavallis Reise mit dem Barockorchester Lahr ist offenbar noch lange nicht zu Ende.

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