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Ein Singen, das man in der Seele fühlt

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Werke für Gesang von Händel, Mozart und Rossini in neuen Editionen
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Georg Friedrich Händel: Kammerduette für Sopran, Alt und Basso continuo +++ Wolfgang Amadeus Mozart: Konzertarien für hohen Sopran, Konzertarien für Sopran, Konzertarien für tiefen Sopran und Alt, Klavierauszug nach dem Urtext der Neuen Mozart-Ausgabe +++ Gioachino Rossini: Arietten, Canzonetten und Chansons. Für hohe/mittlere Stimme und Klavier.

Georg Friedrich Händel: Kammerduette für Sopran, Alt und Basso continuo, HWV 178, 181, 185, 186, 190, 197, herausgegeben von Konstanze Musketa. Bärenreiter Verlag BA 10257, ISMN 979-0-006-53590-3

Die Spezies Kammerduett galt zu seiner Zeit neben der Solokantate als beliebteste Form von Kammermusik. In dessen Umfeld finden sich nicht selten Juwelen kompositorisch experimenteller Meisterwerke. Georg Friedrich Händel befasste sich in einem Zeitraum von 40 Jahren mit diesem Genre. HWV 178 „A mirarvi io son intento“, 185 „Conservate, raddoppiate“ und 197 „Tanti strali al sen mi scocchi“ entstanden zwischen 1710 und 1712 während seiner Hannoveraner Zeit. Sie sind satztechnisch strenger, lehrhafter, teilweise sehr weitschweifig. Die Duette bestehen aus zwei bis drei Sätzen, abwechslungsweise in geradem und Dreiertakt mit Generalbass ohne obligate Instrumente. Sie sind für eine hohe (a’’ und eine tiefe (kleines a) Stimme geschrieben. Die Texte stammen vom hannoverischen Hofpoeten Bartolomeo Ortensio Mauro.

Die drei Londoner Duette entstanden in seiner letzten Schaffensperiode. In den Opera HWV 181 „Beato in ver chi può“, HWV 190 „No, di voi non vuò fidarmi“ und HWV 186 „Fronda leggiera e mobile“ konzertieren Generalbass mit zwei alternierenden Singstimmen im Trio. Sie sind kürzer und kontrapunktisch konsequenter komponiert als frühere Werke. Zwar weist Händels Original die beiden Singstimmen für „hohe“ Stimmen aus, doch verlangt die zweite Stimme immerhin noch ein kleines g. Die Textautoren hierzu sind unbekannt.

Der Schwierigkeitsgrad für Interpreten ist den nachweislichen Anklängen an Passagen aus dem Messias, HWV 186 aus Belshazzar („See, from his post Euphrates flies!“) und anderen Oratorien zuzuordnen. Sämtliche Texte sind weltlichen Inhalts in der Originalsprache italienisch. Übersetzungen ins Deutsche und Englische liegen vor. Hilfreiche Hinweise zur Aufführungspraxis sind in den Notentext eingearbeitet. Sehr empfehlenswert.

Wolfgang Amadeus Mozart: Konzertarien für hohen Sopran, Konzertarien für Sopran, Konzertarien für tiefen Sopran und Alt, Klavierauszug nach dem Urtext der Neuen Mozart-Ausgabe von Christian Beyer, Zusammenstellung, Hinweise und Vorschläge zur Aufführungspraxis von Thomas Seedorf. Bärenreiter Verlag BA 9181 / BA 9182 / BA 9183; ISMN 979-0-006-54130-0 / 54131-7 / 54132-4

Fast alle Konzertarien schrieb Mozart damals mehr oder weniger bedeutenden Sängerninnen und Sänger „in die Gurgel“. Seine lebenslange Beschäftigung mit dem Sujet galt einerseits der Demonstration künstlerischer Präsenz und Technikbeflissenheit ihm bekannter Interpreten (Zitat: „die aria einem sänger so accurat angemessen sey, wie ein gutgemachts kleid“). Zum anderen benutzte er das Genre zum Erweis eigener handwerklicher Fähigkeit bis hin zur Krönung kompositorischer Meisterschaft. Konzertarien sind Unikate, nicht Teile von Opern, Oratorien oder geistlichen Werken. Trotzdem liegen ihnen zumeist italienische Texte aus Opern zugrunde, deren szenische Darstellung dem Interpreten hohe Anforderungen abverlangt.

Zum heiklen Thema „Verzierungen“ in Mozarts Werken sowie dem allgemeiner Aufführungspraxis ist der neuen Mozartausgabe ein Extra-Heft beigelegt worden. Darin wird jede einzelne Arie umfassend analytisch beschrieben. In punkto Entstehungszeit, Anlass und dramaturgischem Kontext bietet das gegenwärtige Know-how des Musikwissenschaftlers Thomas Seedorf reichlich Information.

Den Arien sind etliche ausgearbeitete Modelle zur Aufführungspraxis von Kadenzen zugeordnet. Es fehlt auch nicht der Hinweis darauf, dass Kadenzen in künstlerischer Freiheit, dem seinerzeit hohen Stand musikalisch ästhetischer Bildung und darüber hinaus dem seinerzeit gültigen Geschmack verpflichtet, neu zu erfinden wären. Nicht zu unterschätzen sind die Anleitungen zur Ausführung von Rezitativen zum Beispiel die der Anwendung von Appoggiaturen. Bei intelligenter Textgestaltung achte man weniger auf „cantare legando continuamente la voce“, stattdessen aber auf die grammatische Gliederung der Sätze, gerade so, wie ein gebildeter Mensch spricht. Dem Klavierauszug ist der Text in Originalsprache unterlegt, im Beiheft jeweils die Übersetzung ins Italienische, Deutsche und Englische. Die Bände IV für Tenor und V für Bass sind zum ersten Halbjahr 2014 angekündigt.

An der 2013 veröffentlichten, nun vorliegenden Ausgabe in zwei Teilen, 1. dem Notenband mit Klavierauszug, 2. dem Beiheft zu verschiedenen Aspekten musikalischer Aufführungspraxis, kommt keine Mozart-Sängerin, Monate später auch kein Mozart-Sänger vorbei. Sie setzt den Maßstab.

Gioachino Rossini: Arietten, Canzonetten und Chansons. Für hohe/mittlere Stimme und Klavier. Ricordi Fondazione Rossini Pesaro, ISMN 979-0-2042-2818-8, ISBN 978-3-938809-74-7

Reto Müller, Vizepräsident der Deutschen Rossini Gesellschaft und Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats der Fondazione Rossini in Pesaro, befasst sich in seinem aufschlussreichen Editorial mit der „Anthologie vokaler Kammermusikwerke“. Diese bildeten eine Konstante durch alle Lebensabschnitte Rossinis. 120 Vokalstücke für eine oder mehrere Stimmen, fast ausschließlich mit Klavierbegleitung, gehören in die Kategorie Belcanto-Literatur auf allerhöchstem Niveau. Davon sind nur wenige hierzulande bekannt. Es handelt sich meistens um Dedikations- oder Gelegenheitswerke.

Salonmusik? Ja! Im Musikleben, nicht nur in Paris, spielten die Salons, in denen kammermusikalische Werke zur Aufführung kamen, mindestens eine so bedeutende Rolle wie Opern- oder Konzertaufführungen. Richard Wagners Kommentar: „Rossini ist fromm – alle Welt ist fromm, Pariser Salons sind Betstuben geworden.“ Betstuben? – Die Textinhalte teils unbekannter Poeten reichen von allerhand Menschenschicksalen über Patriotismus, Natur, Tier- und Pflanzenwelt bis zu Liebeslust und -leid. Das Milieu des 19. Jahrhunderts schließt religiös-pietistisches Gedankengut keineswegs aus. So handelt „Le Dodo des enfants“ vom innigen Gebet einer Mutter, die Gott um die Rettung ihres Sohnes bittet.

Rossini komponierte Lieder, mit nur wenigen Ausnahmen, asemantisch. Liedtexte betrachtete er oft als Silbenlieferanten. Das lässt sich besonders in den Stücken auf Rousseaus Texte nachweisen. Umgekehrt lässt sich auch Sprache pur musikalisieren, etwa in „En medio a mis colores“, einer Canzonetta spagnuola auf die andalusische Volksliedform „Polo“. Die neue Ausgabe enthält zu allen Texten eine deutschsprachige Übersetzung.

Sämtliche Arietten, Canzonetten und Chansons komponierte Rossini für mittlere Stimmlagen. Manche Text-
inhalte bestimmen vielleicht die Besetzungsentscheidung. Nach Meinung des Herausgebers sind auch Transpositionen nicht als Sakrileg zu verurteilen. Der Schwierigkeitsgrad einzelner Stücke ist unterschiedlich zu beurteilen, er reicht von sehr leicht bis mittelschwer. Wer sich seinem „Vaccai“ verpflichtet fühlt (fühlte), wird virtuose Passagen meistern. Ähnliche Einschätzung gilt auch dem Klavierpart. Der Notentext ist stets klar, durchsichtig, oft virtuos. Er wird niemals die Singstimme überdecken.

Maximale Forderung des Tondichters Gioachino Rossini: „Il cantar che nell’ anima si sente“ („Das Singen, das man in der Seele fühlt“).

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