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Udo Schmidt-Steingraeber bei einer Führug durch die Klaviermanufaktur. Alle Fotos: Susanne van Loon
Udo Schmidt-Steingraeber bei einer Führug durch die Klaviermanufaktur. Alle Fotos: Susanne van Loon
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Ein verpasstes Jubiläum und einige ergriffene Chancen

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Wie die Bayreuther Klaviermanufaktur Steingraeber & Söhne der Pandemie Paroli bietet
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88 Veranstaltungen kündigt die „Piano Time“ an, der Jahreskalender für Kulturveranstaltungen 2021/2022 im Steingraeber Haus Bayreuth. Unter dem Namen piJAZZo soll es ein Frühlings-Jazzfestival geben – vom Bayreuther Jazzforum als Open Air im Steingraeber Hoftheater in der Himmelfahrtswoche geplant. Vom Kulturreferat der Stadt Bayreuth soll im Rahmen des großen Franz Liszt Klavierwettbewerbs Weimar-Bayreuth im November ein Lisztfestival aus der Taufe gehoben werden. Viel Kulturoptimismus also in Bayreuth, und das, obwohl der dritte Lockdown sich schon drohend am Horizont abzeichnet. nmz-Chefredakteur Andreas Kolb unterhielt sich mit Steingraeber Geschäftsführer Udo Schmidt-Steingraeber über das Bayreuther Musikleben, aber auch über die Initiativen, die eine exklusive Klaviermanufaktur wie Steingraeber & Söhne in Pandemiezeiten ergreifen muss, um gut übers Jahr zu kommen.

neue musikzeitung: Herr Schmidt-Steingraeber, 2020 wollten Sie und Ihre Mitarbeiter 200 Jahre Klavierbau Steingraeber & Söhne begehen. Was hatten Sie geplant und was davon fiel der Corona-Pandemie zum Opfer?

Udo Schmidt-Steingraeber: Wir können immer zweimal Jubiläum feiern: Einmal die erste Gründung 1820 durch den Klavierbauer Christian Gottlieb Steingraeber in zwei thüringischen Städten – in Rudolstadt und Neustadt an der Orla – , die in die Firma Steingraeber und Company in Neustadt-Orla mündete. Sein Sohn Eduard und mein Ur-, Ur-, Urgroßonkel ging bei ihm in die Lehre und gründete 1852 hier in Bayreuth die Pianofortefabrik Steingraeber. Heute führe ich das Familienunternehmen in sechster Generation. Wir haben uns letztes Jahr auf dieses zweihundertjährige Jubiläum bezogen und drei Grand Dames der Pianistik eingeladen: Elisabeth Leonskaja, Martha Argerich und Edith Fischer. Weiter planten wir eine große Tagung mit dem Bund Deutscher Klavierbauer im Mai 2020 und zu den ers­ten Bayreuther Barockfestspielen „BAYREUTH BAROQUE“ im September 2020 haben wir eine Barockausstellung gemacht, zu der wir viele Eigenbauten beigetragen haben, vor allem Donner-, Blitz- und Regen-Maschinen aus dem Barock. Da kann man sich natürlich Fragen, was gibt es für thematische Verbindungen zu einer Klavierfabrik aus einer ganz anderen Musikepoche? Erstens ist Joseph Saint-Pierre, der Architekt des markgräflichen Opernhauses auch der Architekt des Liebhardtschen Palais in der Friedrichstraße, seit 1871 unser Steingraeber Haus, und zweitens haben wir uns einfach gefreut, dass es zu den Bayreuther Wagnerfestspielen, zum Klavier-Festival Bayreuth, zum Format „Zeit für neue Musik“  und den Filmfestspielen jetzt zusätzlich noch Barockfestspiele gibt.

Franz Liszt im Zentrum

nmz: Dann kam die Pandemie …

Schmidt-Steingraeber: Dann haben wir erstmal verschoben: nämlich Leonskaja auf 24. Juli 2021, Argerich auf 24. Juli 2022. Der Termin mit Edith Fischer muss noch geklärt werden. Die Dame ist inzwischen an die 90, wir wissen noch nicht, wann sie denn wieder aus Chile zu uns kommen kann. Im Sommer 2020 haben wir es geschafft, von 120 geplanten Events im Jubiläumsjahr immerhin 70 zustande zu bringen. Davon gut die Hälfte im Monat August. Da hatten wir  ein Bayreuth Summertime Festival, an dem sich alle Kulturträger beteiligt haben, nur eben leider nicht die Richard Wagner Festspiele, weil die nun wirklich nichts machen konnten in ihrem Haus. Auch die Tagung des Bundes deutscher Klavierbauer (BDK) in unserem Haus musste abgesagt werden und wird 2022 nachgeholt.

nmz: Was planen Sie für 2021?

Schmidt-Steingraeber: Das Jahr 2021 wird stark geprägt sein von Franz ­Liszt. Im Herbst wird der 10. Klavierwettbewerb Franz Liszt Weimar/Bayreuth hier stattfinden. Der neue Kulturreferent Benedikt M. Stegmayer will das dazu nutzen, in Bayreuth ein kleines Liszt Festival zu veranstalten. Wir bei Steingraeber werden das bei uns im Kammermusiksaal eröffnen mit der Ur-Enkelin, mit Nike Wagner. Sie wird einen Vortrag halten zu ihrem Ur-Großvater und der heutigen Liszt-Rezeption.

nmz: Bis zum Herbst ist noch Zeit. Was tut sich bis dahin?

Schmidt-Steingraeber: Während des Lockdowns haben wir im Wochenturnus hier CD-Aufnahmen in unserem unfreiwillig stillgelegten Konzertsaal: Das sind hauptsächlich ganz junge Musiker, die jetzt natürlich die größten Leidtragenden der fürchterlichen Bremse im Kulturleben sind. Die auf der anderen Seite aber dadurch Zeit haben, hier CDs aufzunehmen oder auch Streamings fürs Internet oder die Bewerbung für Klavierwettbewerbe oder Jugend musiziert-Wettbewerbe. Anstelle unseres Kulturprogramms haben wir im Steingraeber Haus derzeit ein Jugendförderungsprogramm.

nmz: Mit Ihnen in der Geschäftsleitung ist Steingraeber in der sechsten Generation. Da gab es Höhen und Tiefen – wie stellen sich die Produktions- und die Absatzzahlen in Pandiemiezeiten dar?

Schmidt-Steingraeber: Also die größten Tiefen waren 1945 ein produziertes Klavier, 1946 0, bis 1948 7 Stück. Im Jahr 1949 haben wir dann wieder mit 70 produzierten Instrumenten weitergemacht. Das letzte Jahr 2020 fing grandios an. Januar Februar 2020  haben wir mit 44 Stunden Wochenarbeitszeit – also mit dem vollen Betrieb riesig Überstunden gefahren – , um dann auf 0 abzubremsen im März. Ab 16. März hatten wir dann wirklich auch geschlossen. Es kamen auch keine Aufträge mehr. März und April 2020 waren die schlimmsten Monate in meiner 40-jährigen Berufserfahrung. Es ging dann im Mai eigentlich wieder einigermaßen erfrischend los, aber noch nicht richtig gut. Im Juni wurde es richtig lebhaft und sogar die Chinesen kamen mit Bestellungen zurück – im Juni mussten wir Hals über Kopf Container nach nach China schicken – ab September kamen die Amerikaner zurück. Insgesamt aber war der deutsche Markt zwischen Mai und November für uns grandios, sodass wir als eigentlich exportlastiges Unternehmen plötzlich zum deutschen Markt Versorgungsunternehmen – in unserem kleinen Stil natürlich – geworden sind und das ganze Jahr 2020 mit dem besten Abschluss aller Zeiten abschließen konnten. Durch die Heiß-kalt-Dusche des Jahres 2020 entsprechend gestählt, sind wir jetzt im 2021 angekommen, ein Jahr mit leider Gottes weniger positiven Zukunftsaussichten. Bei einem Teil unserer Kundschaft herrscht Verzweiflung, angefangen bei den selbständigen Künstlern bis hin zu den Privatleuten, die Ausgaben in unsicheren Zeiten scheuen. Wir hoffen sehr, aus dieser Lethargie bald herauszukommen.

nmz: 2021 ist nicht die erste Krise des Klavierbaus. Wie kann man als Unternehmen reagieren?

Schmidt-Steingraeber: Wir machen zum Beispiel verrückte Aktionen wie „Holen Sie sich für vier Wochen kos­tenlos einen Flügel oder ein Klavier nach Hause“. Das kostet weder Miete noch Versicherung noch Transportkosten und gilt für ganz Deutschland. Wir verlangen maximal 290€Euro Rücktransportgebühr, wenn man das Klavier nicht längerfristig mieten oder kaufen oder ratenkaufen will. Wir haben dank der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KFW) sehr gute Angebote machen können und haben ein eigenes Kreditprogramm aufgelegt, dank dessen wir als Privatunternehmen mit unseren Kunden Kredite auf 10 Jahre Laufzeit mit 2,5 Prozent oder 5 Jahre 1,5 Prozent Zinsen anbieten. Eine Anzahlung entfällt. Das wird stark angenommen.

Innovation 2021

nmz: Was heißt eigentlich heute Innovation beim Klavierbau?

Schmidt-Steingraeber: Das Klavier hat eine Geschichte von ungefähr 320 Jahren und eine Kerngeschichte von ungefähr 120 Jahren – eben die Spanne zwischen Mozart und Schönberg. Im ausgehenden 18. und beginnenden 19. Jahrhundert gab es viele Virtuosen und Komponisten, die auch gleichzeitig Klavierfabrikanten waren: Das reicht von Clementi über Kalkbrenner, Henri Herz über Pleyel bis zu Erard. Nachdem das Klavier zum stilbildenden Hauptinstrument des 19. Jahrhunderts geworden war, kam die Uniformität und die Beschränkung auf das scheinbar Wesentliche: nämlich schwarzer Kasten, 3 Pedale, 88 Tasten. In dieser Form hat es mehr oder weniger die nächsten hundert Jahre dann viele Höhen in der Interpretation gegeben, aber keine kreative Weiterführung des Klavierbaus – mit Ausnahme der kleinen Blütezeit zwischen den Kriegen mit Iwan Wyschnegradsky und Alois Hába, mit Mikroton-Musik, Viertelton-Musik, Neo-Bechstein und Sauter-Mikroton Klavier. Das wurde durch den Faschismus komplett ausgemerzt und ist nicht mehr zum Wiedererblühen nach dem Zweiten Weltkrieg gekommen.

Klingende Kundenwünsche

Wir Klavierhandwerker haben den Pianisten Interpretationsmaterial entzogen, weil wir ihnen nicht mehr den Reichtum an Registriermöglichkeiten bieten, den unsere Vorgänger der künstlerischen Seite unseres Metiers geboten haben. Denken wir an die 6 Pedale, die in einem Graf- oder einem Erard-Flügel waren. Entfallen sind auch Register-Balancierungen wie der zweite Resonanzboden, der oben aufliegt und weitere klavierbauliche Finessen, die die Interpretation von Komponisten wie Schubert, aber eben auch die zweite Hälfte im Leben des Ludwig van Beethoven bis hin zu Chopin geprägt haben und sogar noch den frühen Brahms – Schumann auf jeden Fall.

nmz: Gefahr erkannt. Was tut Steingraeber?

Schmidt-Steingraeber: Wir haben das Sordino-Pedal, wir haben den Mozart-Zug, wir haben den zweiten Resonanzboden, wir haben leichtere Flügeldeckel und anderes mehr. Spielen Sie einmal eine Scarlatti-Sonate statt auf einer normalen Klaviatur mit 10,3 Millimeter Tiefgang mit zugeschaltetem Mozartzug mit 8 Millimeter Tiefgang. Mit dem sordino kann man ein fortepiano „fp“ à la Schubert endlich spielen. Mit den leichten Deckeln versuchen wir die Nachhallzeit der oberen Tenor- und der Diskant-Lage so zu beleben, dass man in die historische Balance zwischen Bass und einer recht kräftigen oberen Lage wieder zurückkommt. Kurz: Wir versuchen Hilfestellungen für die Interpretation von Werken aus unterschiedlichen Epochen zu geben.

nmz: Wie arbeiten Sie heute mit Kunden und Pianisten zusammen? Nehmen wir das Beispiel der Transducer-Technologie: Wie entsteht so etwas?

Schmidt-Steingraeber: Wir sind Handwerker. Zu uns kann man auch kommen, wenn man etwas ganz Individuelles will. Der Pianist Jura Margulis war etwa mit dem Wunsch nach einem Sordino zu uns gekommen. Der Komponist HP Platz brauchte für sein Stück „Branenwelten“ die Transducer-Technologie und wurde zum Impulsgeber für den Steingraeber Transducer-Flügel.

Für dieses Instrument gibt es eine Vielzahl von professionellen Einsatzmöglichkeiten, etwas das Spielen in allen historischen oder fremden Stimmungen, Umstimmen innerhalb einer Sekunde, Live-Aufführungen von Vierteltonmusik aus dem frühen 20. Jahrhundert, Kompositionen für Klavier mit Liveelektronik aus einem Klangkörper: dem Resonanzboden.

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