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Das Neue Kollektiv München (v.l.nr.): Julia Schölzel, Tobias Weber, Christoph Reiserer, Stefan Blum. Foto: Marcus Nickel
Das Neue Kollektiv München (v.l.nr.): Julia Schölzel, Tobias Weber, Christoph Reiserer, Stefan Blum. Foto: Marcus Nickel
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Enzyklopädischer Dienst an der Stadtgesellschaft

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Das Neue Kollektiv München setzt auf Schwarmintelligenz
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Neues Kollektiv München oder kurz: NKM. Der Name der neuen Musikinitiative aus Bayern ist assoziationsreich und deutungsoffen, er stellt eher Fragen, als dass er etwas erklärt. Und das ist durchaus programmatisch zu verstehen: Nomen est Omen.

Der zentrale Begriff des „Kollektivs“ verweist auf das vielgliedrige Organisationsprinzip des neuen Klangkörpers. Zum festen Personal gehören die Pianistin Julia Schölzel, der Schlagzeuger Stefan Blum, der Gitarrist Tobias Weber, die Komponisten Christoph Reiserer und Alexander Strauch sowie der Musikwissenschaftler Michael Zwenzner. Dieser betont, dass „selbst für diese spezielle Stammbesetzung ein großer Schatz an Werken vorhanden ist. Es macht Sinn und Spaß, der Furie des Verschwindens hier entgegenzutreten, wobei auch Neuschöpfungen nicht zu kurz kommen.“ Veranstaltet vom Magnet e.V., soll das NKM zudem Gastmusiker anziehen, die das Kollektiv und sein Repertoire flexibel bereichern.

Zu erleben war dieser breite Ansatz bereits beim Antrittskonzert des NKM am 27. Oktober im Münchner Ampere. Neben Chaya Czernowin und ensembleeigenen Produktionen von Alexander Strauch und Christoph Reiserer, bereicherte hier mit Markus Birkle – bekannt von Popformationen wie Fanta 4 und Netzer – ein prominenter Gastmusiker die stilistische Bandbreite. Alexander Strauch zieht für das „Kollektiv“ daher ganz bewusst den Vergleich zu einer Band: „Jeder von uns agiert multifunktional, so dass die Anknüpfungspunkte bei der Popularmusik beginnen mögen, aber bis hin zu komplexer Neuer Musik und aktuellen Strömungen wie dem Neuen Konzeptualismus reichen.“

Konzeptuell zielt das spartenübergreifende NKM weniger auf Crossover, als auf eine Enthierarchisierung der gegenwärtigen Musikkultur. Julia Schölzel etwa benennt im soziopolitischen Wortsinn des Kollektivgedankens ihre auch künstlerische Motivation: „Alternativen zu bieten ist eine der vornehmsten Aufgaben eines jeden Kulturschaffenden.“

Alexander Strauch dagegen denkt „ganz realpolitisch zuerst an das verwandte Wort Kollekte: gar nicht so falsch, wenn man an das Klinkenputzen denkt, um einen neuen Klangkörper zu etablieren.“ Zwenzner verweist ideell auf historische Vorbildkollektive vom Bauhaus und dem Black Mountain College bis hin zu aktuellen Formationen wie den Ensembles Modern und Mosaik. Wie Christoph Reiserer benennt er als Aufgabe des Neuen Kollektivs eine sozioästhetische Utopie: „Eine Zusammenarbeit ohne feste Hie­rarchien.“

Verdeutlichen diese pluralistischen Ansätze die gewollte Heterogenität des NKM, sind sich seine Macher in einem einig: Das Potential der Formation liegt in der Schwarmintelligenz aller Beteilig­ten. So geht es Strauch darum, „unsere Backgrounds als Macher, Denker, Autoren, Komponisten, Künstler, Musiker und Elektroniker im wahrsten Sinne des Wortes in Einklang zu bringen.“ Auch Schölzel spricht „von einem sehr regen kollektiven Austausch: Ideen tauchen auf, werden ausgetauscht, diskutiert, weitergesponnen, modifiziert, erweitert, umgestoßen, verworfen.“ Die Pianistin strebt einen „Prozess nach eigenen Regeln“ an und liefert einen stream of consciousness zu den konzeptuellen Ansätzen des NKM: „experimentell, hinterfragend, hintersinnig, politisch, auf- und anregend, querdenkend, unkonventionell, auch gerne dramatisch und abgefahren, sich verlierend und abgehoben, empathisch und einfühlsam, konsequent und auch verspielt, authentisch und ehrlich, mutig, skandalös, vergnüglich, klug, nie kitschig und geschmacklos, nicht billig und in der Wirkung berechenbar.“

Mit solchen Ansätzen verspricht das NKM neuen musikalischen Wind – insbesondere für München, das verglichen mit anderen Metropolen bezüglich stabiler Ensemblearbeit immer noch erstaunlich unterversorgt ist. Alexan­der Strauch betont, das Kollektiv wolle „eine Art enzyklopädischen Dienst an der Stadtgesellschaft leisten und damit dezidiert das kollektive Musikerleben bereichern.“ Kostproben der Kollektivarbeit sind am 2. und 3. Dezember im Kulturzentrum Schwere Reiter zu erleben.

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