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In der Hochschule für Musik und Theater Rostock. Foto: Juan Martin Koch
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Erinnern und Gegenwartsbewusstsein schaffen

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Das Zentrum für Verfemte Musik an der Hochschule für Musik und Theater Rostock hat sich neu aufgestellt
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Experten zufolge ist die momentane Lage höchst beunruhigend: Immer mehr Bürgerinnen und Bürger scheinen rechtsextreme Gedanken zu hegen. „Das hat durch Corona an Fahrt aufgenommen“, bestätigt Yvonne Wasserloos, die als Co-Leiterin des reorganisierten „Zentrums für Verfemte Musik“ der hmt Rostock zu „Rechtsextremismus und Musik“ forscht. Aktuell beschäftigt sich die Professorin mit dem Phänomen der Verschleierung rechtsextremer Inhalte durch Musik und visuelle Darstellung in Videos.

Die erfolgreiche Bekämpfung von Rechtsextremismus wird als Lackmustest für unsere Gesellschaft angesehen. Noch fällt dieser Test negativ aus – was womöglich an der neuen Diffusität der Phänomene liegt. „Man kann zum Beispiel nicht mehr an die Erwartungshaltung anknüpfen, wie rechtsextreme Musik klingt“, sagt Yvonne Wasserloos. Inzwischen werde jeder Musikstil für rechtsextreme Musikclips missbraucht. Die Spanne reiche von Popmusik über Schlager bis hin zu Liedermachersongs. „Oft muss man auch länger draufschauen, um zu identifizieren, was ein vordergründig harmloses Video eigentlich thematisiert“, erläutert die Forscherin. Oder was  es bewusst verschweigt.

Wie nachhaltig es sich auswirkt, wenn junge Menschen exzessiv Musik mit rechtsextremen Inhalten hören, ist eine Frage, die viele Fachkräfte aus Jugendhilfe und Jugendarbeit bewegt. Yvonne Wasserloos kann sie nicht beantworten: „Das wäre eine Aufgabe von Soziologen, ich beschreibe ja nur die Phänomene.“ Ihre Vermutung geht jedoch dahin, dass solche Musik eine Verstärkerfunktion haben könnte. „Sie ist auf ein junges Zielpublikum abgestimmt, die Videos selbst sind in technischer Hinsicht meist hochqualitativ“, sagt sie. Wer solche Filme schaut, wird natürlich nicht sofort rechtsextrem: „Aber womöglich wird derjenige allmählich in die Szene hineingezogen.“

Dem Know-how-Transfer zu Themen des Rechtsextremismus kommt aufgrund aktueller Entwicklungen eine wachsende Bedeutung zu. „Ich selbst erhalte oft Einladungen zu Lehrerfortbildungen“, sagt Yvonne Wasserloos. Vor allem Englisch- und Geschichtslehrer wenden sich an sie, weil sie Input benötigen. Dies zum Beispiel dann, wenn Schüler mit fragwürdigen Videos in den Unterricht kamen. Um Wissen zu vermitteln, engagiert sich die Co-Leiterin des „Zentrums für Verfemte Musik“ auch im hochschulübergreifenden Netzwerk „Bildung & Demokratie“ von Meck­lenburg-Vorpommern.

Schwerpunkt Rechtsextremismus

Wie ist es möglich, dass es Menschen ganz in Ordnung finden, was im Dritten Reich geschah? Wie kann man es erklären, dass sie von nationalsozialistischen Gedanken fasziniert sind? Diese Frage stellt sich für Menschen, die sich intensiv mit verschiedenen Formen des Rechtsextremismus beschäftigen. Zu beantworten ist sie kaum, sagt Yvonne Wasserloos: „Auch ich bin immer wieder erschüttert darüber, wie Menschen dazu kommen, Ausgrenzung und Diffamierung gutzuheißen.“ Einen Grund dafür, dass rechtsextreme Tendenzen zunehmen, sieht sie darin, dass die NS-Zeit immer weiter wegrückt: „Auch Zeitzeugen sind ja kaum noch vorhanden.“

Ein Online-Seminar, das von April bis Juli letzten Jahres stattfand, zeigte, wie groß das Interesse von Rostocker Studierenden an der Thematik ist. In der Veranstaltung, bei der Yvonne Wasserloos mit Rostocker Politologen kooperierte, ging es um den Bedeutungszuwachs von Musik in der rechtsextremen Szene und deren Ausdifferenzierung an Medienformaten und Stilen. „Die 20 Seminarplätze waren sofort voll“, so die Musikwissenschaftlerin. Sowohl Studierende der Musikwissenschaft als auch Lehramtler der Fächer Musik und Sozialkunde waren eingeladen. Das Interesse übertraf die vorhandene Platzzahl bei weitem: „Wir hatten eine lange Warteliste.“

Yvonne Wasserloos sieht es als eine Pflicht an, über Rechtsextremismus aufzuklären und gegenzusteuern: „Gerade weil sich rechtsextreme Menschen immer enthemmter geben, man denke nur an den Sturm auf die Reichstagstreppe am 29. August 2020.“ Sie selbst be­obachtet die Szene nun schon seit über zehn Jahren. 2010 entdeckte sie das Thema „Prozesse der Instrumentalisierung von Musik“ als Forschungsschwerpunkt für sich. Den Anstoß, sich dezidiert mit Musik von Rechtsextremen zu beschäftigen, gab ihr in eben diesem Jahr ein Thementag für angehende Polizisten aus Duisburg zu „Musik und Rechtsextremismus“, zu dem sie als Referentin eingeladen war.

Eigentlich hat sich unsere Gesellschaft dem Prinzip der Inklusion verschrieben. Aus diesem Grund ratifizierte die Bundesrepublik 2009 die UN-Behindertenrechtskonvention. Auch das ein Jahr davor gegründete „Zentrum für Verfemte Musik“ kann im weitesten Sinne als Teil der Inklusionsbewegung angesehen werden. Diese Bewegung wird stetig größer. Wobei es eben auch die anderen gibt, so Wasserloos: „Für sie stellt Pluralisierung keine Bereicherung, sondern eine Bedrohung dar.“ Der Kampf gegen das, was bedroht, spiegele sich zum Teil im Klangcharakter jener Musikwerke, mit denen Videoclips untermalt werden: „Die Musik ist heroisierend und monumental.“

Es gehört ein Quantum Nervenstärke dazu, um sich so intensiv, wie Yvonne Wasserloos das tut, mit rechtsextremem Gedankengut konfrontieren zu können. Das sei am Anfang auch nicht leicht gewesen, gibt die Musikwissenschaftlerin zu: „Als ich mich vor einigen Jahren damit beschäftigt habe, wie Musik im KZ funktioniert hat, war ich über das, was ich erfahren habe, schon sehr erschüttert.“ Mit den Jahren gewann sie an professioneller Distanz. Den Zustand unserer Gesellschaft zu analysieren, treibt sie an. Dies war auch der Grund für die Reorganisation des „Zentrums für Verfemte Musik“: „Wir wollen nicht mehr nur erinnern, sondern auch das Gegenwartsbewusstsein schulen.“

Schwerpunkt verfemte Musik

Wie die Nazis einst zur Herrschaft gelangen konnten, ist eine Frage, die Menschen aktuell wieder stark bewegt. Eine eindeutige Antwort, so Volker Ahmels, künstlerisch-pädagogischer Leiter des Zentrums für Verfemte Musik, gibt es sicher nicht. Ahmels Anliegen war es in den vergangenen Jahren, Begegnungen mit Zeitzeugen zu ermöglich: „Das war in der Anfangszeit unseres Zentrums auch noch vergleichsweise einfach möglich.“ 2009 zum Beispiel kam die Tochter des österreichischen Komponisten und Musikpädagogen Eric Zeisl aus Los Angeles nach Rostock. Inzwischen gibt es nur noch wenige Zeitzeugen, die noch die Kraft für Begegnungen haben. Weil Menschen hierzulande nach wie vor aufgrund von Rassismus benachteiligt werden, bleibt die Arbeit des Zentrums für Verfemte Musik wichtig. Eine der Hauptaufgaben besteht aktuell darin, Werke unbekannter Künstler, die während der NS-Zeit verfolgt wurden, zugänglich zu machen. Volker Ahmels beschäftigte sich zuletzt intensiv mit Dick Kattenburg, einem heute unbekannten holländischen Komponisten, der 1944 mit 24 Jahren im KZ Auschwitz ermordet wurde. „Durch Zufall wurden die Werke dieses unglaublich begnadeten Komponisten von Familienangehörigen wiederentdeckt, sie befanden sich in einem Koffer auf einem Dachboden“, erzählt er.

Eine sorgfältige qualitative Überarbeitung der Werke ist Grundvoraussetzung dafür, dass die Kompositionen sinnvoll aufgeführt werden können. Zusammen mit seiner Frau befasste sich Volker Ahmels fast drei Jahre lang mit Kattenburgs Klavierwerk für vier Hände. „Wir sind jede einzelne Note im Manuskript durchgegangen“, so der Pianist und Musikpädagoge. Stilistisch spannend ist Dick Kattenburgs Werks dadurch, dass sich der junge Komponist durch die Einflüsse des Jazz leiten ließ. Rund 50 Kompositionen sind überliefert. Volker Ahmels würde sich wünschen, dass die Werke Dick Kattenburgs nun weite Verbreitung fänden: „Sie sind inzwischen auch über Spotify zu hören.“

Kommt die Rede auf Dick Kattenburg, gerät Volker Ahmels leicht ins Schwärmen. Wobei es viele verfemte Tonkünstler gibt, für die er sich begeistert. Auch Arnold Schönberg zählt zu ihnen. Ab dem 13. Oktober wird es eine vom Zentrum konzipierte Ausstellung zu Schönberg im Zentrum für Verfemte Musik geben. Und zwar mit einem sehr besonderen Aspekt: „Es geht um Arnold Schönberg als Erfinder.“ Der Komponist erfand unter anderem das „Koalitionsschach“, was Ahmels fasziniert, da er selbst leidenschaftlicher Schachspieler ist. Bei dem Ausstellungsprojekt kooperiert das Zentrum mit dem Festival für Verfemte Musik.

 

 

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