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Erkenntnis ist ein spielerischer Spaß

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Festivalkultur heute: pendeln zwischen Kulinarik und ästhetischer Erziehung
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Festival, Festival, Festival – so beschrien französische Zeitungen vor 50 und mehr zurückliegenden Jahren die wachsende Flut musikalischer und theatralischer Festivitäten allüberall im Lande, vor allem natürlich im sonnigen Süden, wo höchstens der Mistral einmal für unangenehme nächtliche Kälte sorgte. Inzwischen hat sich die Festivalitis über alle Länder, Landschaften, malerischen Ortschaften verbreitet. Musik im Freien, auf Burgen und Schlössern, in Scheunen und Kuhställen ziehen die Massen magisch an. Und jede Kritik in einer Zeitung ist eine kostenlose Werbung fürs Städtchen oder die Region. Alles verständlich, aber auch gut?

Die Beliebigkeit dieser Festivalprogramme ist bekannt und wird klaglos hingenommen. Hauptsache Spaß. Fast könnte man denken, an der Themenkonferenz einer ARD-Anstalt teilzunehmen. Die Einschaltquote gibt die Zielrichtung vor. Dass es auch anders geht, haben gerade wieder einmal die Salzburger Festspiele gezeigt. Nicht, weil sie die Salzburger Festspiele sind und eine Klientel bedienen, die es sich gern bequem, luxuriös und mit Promi-Namen ge-spickt wünscht, sondern weil es halbwegs engagierte und kundige künstlerische Leiter gibt, die ein Festspiel nicht als „Dauerparty“ (Zitat aus einer Pressekonferenz) betrachten, sondern als ein Instrument zur ästhetischen Erziehung des leicht zu Oberflächlichkeit neigenden Menschengeschlechts. Das hört sich zwar ziemlich pädagogisch streng und trocken an, muss es aber nicht sein, im Gegenteil: Auch in der Erkenntnis liegt ein sinnlich-kulinarisch erfahrbarer Kern, der gehobenes Vergnügen bereitet.

So wenn man in Salzburgs „Komponisten-Szenen“ viel erfährt, in welchem Umfeld ein Schumann, ein Brahms, ein Gustav Mahler ihre Werke schufen. Oder in den sogenannten „Kontinenten“, die jeweils einem zeitgenössischen Komponisten gewidmet waren, nicht als Solo-Auftritt, sondern im Kreis gleichgesinnter Musiker, die sich auf gleichen Wegen bewegten. Da lernt man Musikgeschichte und genaues Zuhören gleichsam spielerisch. Erkennen als Spaß, als gehobenen Spaß natürlich.

Diese Methode in ein großes Festspiel eingebracht zu haben, ist das Verdienst des derzeitigen Intendanten Markus Hinterhäuser. Er war, leider nur für ein Jahr, Interimschef der Festspiele, davor aber vier Jahre schon für das Konzertprogramm zuständig. Und wenn man es ganz genau betrachtet: Eigentlich schon seit 1993, als er in der Mortier-Ära an der Seite Hans Landesmanns, der damals gleichzeitig kaufmännischer Direktor und Konzertreferent war, sein alternatives „Zeitfluss“-Festival in das große Festspiel einbrachte, zum Segen für alle. Seither erscheinen die Salzburger Festspiele so verjüngt wie nie zuvor. Der kommende Intendant, Alexander Pereira, darf daran anknüpfen.

P.S. Apropos lebendig und verjüngt: Kurz vor den Salzburger Festspielen fanden sich in Edenkoben einige illustre Musiker der Avantgarde zu einer Art Klassentreffen ein. Die aktuellen Ardittis musizierten mit drei Ehemaligen: Irvine Arditti, der ewige Jüngling, mit seinen Mitstreitern Ashot Sarkissjan, Ralf Ehlers und Lucas Fels wetteiferten noch einmal mit den „Alten“, mit Garth Knox, Graeme Jennings und Rohan de Saram. Und siehe da: die Alten hatten nichts verlernt. 40 Jahre Neue Musik wurden wieder lebendig und was am wichtigsten war: was für hinreißende, substanzreiche Werke sind in all den Jahren entstanden. Zwischen Weinbergen, idyllischen Orten und lukullischen Genüssen veranstaltete die Neue Musik im Herrenhaus zu Edenkoben ein wahres Festspiel. Das hätte sich auch in Salzburg bestens ausgenommen. So eng liegen manchmal die großen Ereignisse beieinander.

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