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Stefan Piendl. Foto: Heike Fischer
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Erweiterte Aufgaben und Möglichkeiten

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Die nächsten drei Jahre Amtszeit im Blick: Stefan Piendl, Geschäftsführer der Musikrats gGmbH
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Vor 30 Jahren hat Stefan Piendl (geb. 1965) den Schritt in die Musikbranche gewagt und war für über zwei Jahrzehnte in leitenden Positionen für Schallplatten-Labels wie Sony Music, EMI Electrola und Bertelsmann Music Group (BMG) tätig. Seit Mai 2007 ist Piendl Geschäftsführer der ARION ARTS music consultants GmbH, die auch BR KLASSIK, das Label für die drei Klangkörper des Bayerischen Rundfunks, betreut. Zum 1. Juli 2018 wurde Stefan Piendl Geschäftsführer der Deutschen Musikrat gemeinnützige Projektgesellschaft mbH. Jetzt verlängerte der Aufsichtsrat seinen Vertrag ab 1. Juli 2021 für drei weitere Jahre. Über das bisher Erreichte, aktuelle Herausforderungen und Piendls Ziele für die nächs­ten Jahre sprach nmz-Chefredakteur Andreas Kolb mit dem Musikratsgeschäftsführer.

neue musikzeitung: Eine dreijährige Amtszeit als Geschäftsführer der DMR gGmbH liegt hinter Ihnen, drei weitere vor Ihnen. Sind Sie derzeit eher im Rückschaumodus oder kommen Sie nun zum Eigentlichen?

Stefan Piendl: Ich bin natürlich viel mehr im „Blick-nach-vorne-Modus“, aber dankbar für 30 Jahre Musikbusiness und froh über diese ersten Jahre beim Deutschen Musikrat. Wenn man seine persönliche Leidenschaft zum Beruf machen kann, dann empfinde ich das als sehr schönes Privileg. Die letzten drei Jahre waren vor allem von sehr wichtigen, eher internen Weichenstellungen geprägt, dazu gehört als Beispiel der Umzug und die Integration von „Jugend musiziert“ in Bonn sowie das Management der Corona-Krise. Ich bin sehr optimistisch, dass unsere Arbeit in den nächsten drei Jahren nach außen deutlicher sichtbar und noch stärker wirken wird.

nmz: Die Pandemie hat vieles verändert, auch beim Musikrat. Ganz aktuell frisch noch im Gedächtnis habe ich den ersten „Jugend-musiziert“-Video-Bundeswettbewerb. Gibt es auch Erhaltenswertes aus dieser in der Not geborenen Wettbewerbsform? Stichwort die Krise als Chance?

Piendl: „Jugend musiziert“ ist erst im November 2020 von München nach Bonn gezogen, was zur Folge hatte, dass die Hälfte des Teams aus bewährten Kolleginnen und Kollegen und die andere Hälfte aus neuen Kolleginnen und Kollegen besteht, die erst am 1. April 2021 ihre Arbeit aufgenommen haben. Gemeinsam mussten sie unter völlig neuen Bedingungen diesen Wettbewerb stemmen, und das haben sie auch erfolgreich getan. Das ist eine Riesenleistung, vor der ich gro­ßen Respekt habe und für die ich wirklich dankbar bin. Es hat sehr gut funktioniert, und zu den Dingen, die sicherlich bleiben werden, gehört Jumu-TV, ein neues Format, in dessen Rahmen wir jeden Tag mehrere Stunden vom Bundeswettbewerb aus Bremen gestreamt haben.

nmz: Die Musikratsbelegschaft ist um 20 Prozent gewachsen. Mit welcher Zielrichtung? Ist nur ein zahlenmäßig großer Verband ein starker Verband?

Piendl: Unser Personalaufwuchs hat in erster Linie mit neuen, erweiterten Aufgaben zu tun. Wir haben uns durch den neu gegründeten Bundesjugendchor vergrößert, aber auch durch das neu etablierte Projekt „Landmusik“. Verursacht durch die Pandemie haben wir mit den beiden NEUSTART KULTUR-Programmen – das „Klassik-Stipendienprogramm“ mit zehn Millionen Euro Fördersumme und „Digitalisierung Musikfachhandel“ mit vier Millionen Euro – völlig neue Aufgaben übernommen. Die Förderprojekte Zeitgenössische Musik legen unter anderem ein neues Programm auf: „InSzene: Vokal“, mit dem junge Vokalensembles, Sängerinnen und Sänger gefördert werden, um ihnen den Weg in die Professionalität zu ermöglichen und die Weiterentwicklung der zeitgenössischen Chor- und Vokalmusik zu fördern.

Sichtbarkeit

Eine Herzensangelegenheit war mir die Etablierung der neuen Abteilung Öffentlichkeitsarbeit und Marketing mit drei neuen Kolleginnen: Sabine Siemon, Dr. Anke Steinbeck für die Öffentlichkeitsarbeit und Marketingkoordinatorin Julia Böcker. Wir entwickeln gerade das neue Corporate Design für den Deutschen Musikrat; unter anderem wird in alle Projektlogos „Deutscher Musikrat“ integriert. Damit wir strategisch wirklich komplett und gut aufgestellt sind, möchte ich möglichst zum 1. Januar nächsten Jahres noch eine Fundraising-Stelle besetzen.

nmz: Wie wird dieser Personalaufwuchs finanziert?

Piendl: Da spielen verschiedene Faktoren zusammen. Nach vielen Jahren ohne nennenswerten Aufwuchs ist die Förderung in den letzten drei Jahren insbesondere durch unsere beiden Hauptgeldgeber, BKM und BMFSFJ, stetig gestiegen und liegt inzwischen bei einem Plus von rund einer Million. Rund ein Drittel kommt vom Familienministerium, rund zwei Drittel von Seiten der Beauftragten für Kultur und Medien, voraussichtlich für zunächst fünf Jahre. Hinzu kommen beispielsweise eine nennenswerte Mietkostenersparnis in München und weitere Drittmittel. NEUSTART KULTUR und „Landmusik“ sind wiederum Sondermittel aus anderen Töpfen. Die dazugehörigen Stellen sind natürlich auch zeitlich befristet.

nmz: Sie haben in Ihrem letzten Gespräch mit der nmz gesagt, der gesamte Bereich Öffentlichkeitsarbeit, Markenmanagement, Marketing und Social Media müsse mindestens fünf Prozent des Gesamthaushaltes ausmachen. Ist das ist erreicht worden?

Piendl: Unter Einbeziehung der Personalkosten sind wir inzwischen dort angekommen, ja.

nmz: Stichwort Wahrnehmung und Markengefühl: Wie ist denn das Verhältnis zwischen Musikrat e.V. in Berlin und Musikrat gGmbH in Bonn?

Piendl: Es ist natürlich ganz wichtig, dass unsere Arbeit in engem Schulterschluss zwischen Bonn und Berlin erfolgt. Der e.V. und die gGmbH arbeiten viel enger und harmonischer zusammen, als dies früher der Fall war. Wir sprechen eine Sprache und handeln auch gemeinsam.

nmz: Der Musikrat hat gerade ein Jahrbuch für 2022 in Planung und 2020 wurde eine Bonn-Broschüre erstellt. Ist die Stadt Bonn zurück als Förderer?

Piendl: Wir sind bundesweit und international aktiv, sehen uns aber an unserem Unternehmenssitz in Bonn stark verankert. Für die Förderung durch die Stadt Bonn sind wir natürlich dankbar, wenngleich diese eher bescheiden ausfällt und aus unserer Sicht steigerungswürdig ist. Stattdessen hat die Stadt aber ihre Unterstützung für den Deutschen Musikrat seit 2019 um 20.000 Euro pro Jahr gekürzt. Da bei uns 60 steuerzahlende Menschen arbeiten, darf man davon ausgehen, dass die Stadt durch uns deutlich mehr einnimmt, als die Fördersumme, die wir von ihr erhalten. Wir haben diese Programm-Broschüre für die Bonner Bürgerinnen und Bürger gemacht, um zu zeigen, wie viel wir in Bonn und Umgebung anbieten; für das Jahr 2020 waren das immerhin rund 40 Konzerte und Veranstaltungen, die meisten bei freiem Eintritt.

nmz: Im Rahmen von Neustart Kultur hat Monika Grütters den Musikrat als Ausrichter des Programms „Digitale Strukturen im stationären Musikfachhandel“ in Kooperation mit der SOMM und mit dem Forum Musikwirtschaft bestellt. Hier handelt es sich doch um Wirtschafts- und nicht Kulturförderung?

Piendl: Auch wenn es nicht unsere ureigene Aufgabe ist, Gelder an Dritte zu verteilen, hat der Deutsche Musik­rat früh signalisiert, dass wir in der Pandemie-Situation natürlich helfend zur Verfügung stehen würden. Die BKM hat dann das „Klassik-Stipendienprogramm“ mit zehn Millionen Etat und „Digitalisierung Musikfachhandel“ mit vier Millionen Etat in unsere Hände gelegt. Der Anstoß zum Programm „Digitalisierung “ kam vom Wirtschaftsverband SOMM (Society of Music Merchands), die Ausführung und Administration liegt jedoch beim Musikrat. Der Grund für den Zuschlag durch die BKM insbesondere auch bei dem Thema Digitalisierung des Musikhandels lag darin, dass der Musikrat eben kein Wirtschaftsverband ist, sondern eine unabhängige und gemeinnützige Organisation, die zudem über entsprechende Erfahrung im Umgang mit Fördergeldern und öffentlichen Mitteln verfügt.

nmz: Beim Stipendienprogramm Klassik ging es darum, Gelder in Höhe von 10 Millionen Euro an rund 1.600 Stipendiaten zu verteilen. In den sozialen Medien herrschte zu Beginn der Ausschreibung Unmut über eine Praxis, gestandene Musikerinnen und Musiker wieder zu Stipendiaten zu machen, um deren Honorarausfälle durch die Pandemie zu kompensieren. Auch wurden einige Details in Bezug auf den Status der Stipendien bei der Künstlersozialkasse (KSK) bisher nicht abschließend geklärt und müssen noch per Erlass vom Bundesfinanzministerium und Bundesarbeitsministerium festgelegt werden. Und es geht auch um Steuerfreiheit der Stipendien für die Empfänger. Dies veranlasste den Musikrat zu einer Pressemitteilung mit der Überschrift: „DMR, DTKV, VdM und DKV fordern Klärung offener Fragen zu NEUSTART KULTUR-Stipendien“.

Piendl: Diese Pressemitteilung und der Klärungswunsch bezüglich spezieller Aspekte der Künstlersozialkasse, hat ihre Berechtigung, das sind offene Fragen. Das lief aber relativ unabhängig von dem, was wir mit NEUSTART KULTUR ermöglichen. Das eine ist die operative Umsetzung und das andere ist die Klärung grundsätzlicher Fragen. Wir haben das nicht voneinander abhängig gemacht, weil wir bei der Verteilung der Fördergelder nicht auf die Bremse treten, sondern den Menschen so schnell wie möglich helfen wollten. Man muss immer bedenken, dass das alles unter einem wahnsinnigen Zeitdruck umgesetzt werden musste und für alle Beteiligten Neuland war – und teilweise auch immer noch ist. Als Musikrat können wir natürlich auch nicht nach Gutdünken das fördern, was wir fördern möchten, sondern es gibt Fördergrundsätze der BKM, die vom Bundesrechnungshof auch geprüft werden. Letzten Endes geht es um den verantwortungsbewussten Umgang mit Steuergeldern.

nmz: Müsste der Deutsche Musikrat die KSK-Abgaben für die 1.600 Stipendien nachträglich zahlen, käme ein schöner Batzen zusammen, oder?

Piendl: Wir haben auch über dieses Szenario gesprochen. Mittel dafür sind nicht vorgesehen und wir müssten uns gemeinsam mit der BKM um Lösungen bemühen. Aber das träfe dann ja alle rund 40 Organisationen, die NEUSTART KULTUR derzeit umsetzen!

nmz: Zum dritten Programm: Auch „Landmusik“ mit den Landmusik-Orten ist für die erste Bewerbungsrunde abgeschlossen. Wie sind da die Erfahrungen?

Piendl: In diesem Konstrukt fließen die Gelder über die BKM, kommen aber ursprünglich vom Landwirtschaftsministerium, um den ländlichen Raum zu stärken. Tilman Schlömp, der erst am 22. Februar die Programmleitung übernommen hat, hat das innerhalb von wenigen Monaten sehr effizient umgesetzt. Wir haben mehr Anträge bekommen, als wir erwartet haben im Hinblick auf die Kürze der Zeit. Die Mittel werden aber wahrscheinlich nochmal aufgestockt. Ob das Programm dann auch über 2022 hinaus weiterläuft, hängt sicherlich von der im September neu gewählten Bundesregierung und deren Umgang mit dem Thema ländlicher Raum ab.

nmz: Es soll weitere Neustart Kultur-Programme für den DMR geben?

Piendl: Der Musikrat wurde von der BKM für die professionelle und zuverlässige Art und Weise, wie wir die bisherigen Programme umgesetzt haben, sehr gelobt. Nun stehen drei weitere Programme in Aussicht. Das Größte davon würde den freien Ensembles helfen, dann geht es um eine modifizierte Fortsetzung des Klassik-Stipendienprogramms. Zum Dritten gibt es auch noch mal die Überlegung, etwas für die Personengruppe zu tun, die am Ende ihres Studiums stand oder steht und in das Berufsleben durchstarten wollte oder will – dieses aber seit vielen Monaten gar nicht sattfinden kann. Diese drei Programme hätten ein Volumen von weiteren etwa 55 Millionen. Das bedarf letzten Endes auch eines Beschlusses des Aufsichtsrates und der Unterstützung des Präsidiums des Alleingesellschafters Deutscher Musikrat e.V.

Neue Angebote und Konzerte

nmz: Was sind denn jüngere Aktivitäten?

Piendl: Am 28. August wird in der Berliner Philharmonie das Eröffnungskonzert des Bundesjugendchores stattfinden. Das Jubiläum 30 Jahre Dirigentenforum steht mit dem dritten Deutschen Dirigentenpreis im Oktober in der Kölner Philharmonie an und dann der deutsche Chordirigentenpreis im November in Berlin. Das Dirigentenforum hat die Initiative „Zurück ans Pult!“ (ZaP!) für junge Dirigentinnen und Dirigenten gestartet. Das Bundesjugendorchester wird im Rahmen der Sommerakademie der Jeunesses Musicales Deutschland auf Schloss Weikersheim elfmal „Carmen“ in einer auf anderthalb Stunden gekürzten Version spielen und im Anschluss Konzerte in Berlin und Moskau geben. Im September findet der zweite Teil des „Jugend musiziert“-Bundeswettbewerbs in Präsenz in Bremen statt und ebenfalls in Präsenz auch der zweite Teil des Deutschen Musikwettbewerbs (4. bis 13. August in Freiburg). Seit Beginn des ersten Lockdowns haben wir in den letzten 12 Monaten 48 Online-Seminare für über 1.800 Teilnehmer durchgeführt, um mit den von uns geförderten Musiker*innen in Kontakt zu bleiben. Dieses neue Angebot werden wir natürlich fortführen.

nmz: Im Wahljahr 2021 wählt auch der Musikrat ein neues Präsidium und eine neue Präsidentin oder Präsidenten. Was hat die Wahl für eine Bedeutung für die gGmbH, schließlich ist der Präsident auch Aufsichtsratsvorsitzender.

Piendl: Wenn es dabei bleibt, dass Martin Maria Krüger diese beiden Ämter weiterhin ausführt, setzen wir natürlich auf eine bewährte und sehr gut funktionierende Zusammenarbeit, die trotz gelegentlicher Meinungsverschiedenheiten der Akteure Martin Maria Krüger, Christian Höppner und mir allgemein als sehr konstruktiv wahrgenommen wird. Wenn es einen Wechsel geben sollte, wird man eben schauen, wie wir in einer neuen Konstellation ähnlich erfolgreich zusammenarbeiten. Unsere Erfolgsbilanz, die weitgehend spannungsfreie und kollegiale Zusammenarbeit, die Erhöhung der Fördermittel, die Vergrößerung der Belegschaft und Ausweitung der Aufgaben des Musikrats, das alles wird auch von den Geldgebern beobachtet. Man hat dort offensichtlich das Gefühl, beim Musikrat sind Steuergelder in guten Händen und „honoriert“ das damit, dass der Musikrat mit zusätzlichen Aufgaben betraut wird und erweiterte Möglichkeiten erhält.

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