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Fabelhaft vielfältige Lebensepoche

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Kurt Weill Tag für Tag: Ein Almanach zeigt Parallel- und Querverbindungen
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Weill einmal anders: Tag für Tag eines ganzen Jahres – wobei auf den 1. Januar 1926 der 2. Januar 1867 folgt: erst ein Brief Weills an seine Eltern über die Arbeit an „Royal Palace“, dann das Geburtsdatum seines Vaters in einer Rabbiner-Familie im rheinischen Kippenheim. Der 31. Dezember beinhaltet eine Kritik von 1932 zur zeitlosen Gültigkeit von „Mahagonny“ und den künstlerischen Querbezügen. Der Band ist also keine detaillierte Biografie mit chronologischem Ablauf.

Tatsächlich spannt sich der Bogen der mal kurzen, mal ganzseitigen Tageseinträge von 1864 bis 2021. Dadurch werden Herkunft, dann schwerpunktmäßig natürlich die kulturhistorisch fabelhaft vielfältige Lebensepoche Weills von 1900 bis 1950 und auch wichtige Ereignisse seines Nachwirkens als großes Panoptikum und Kaleidoskop erkennbar. Eingestreut sind alle zwei bis drei Seiten teils farbige Abbildungen: Fotos von Zeitgenossen, Notenblätter, Programmzettel, Brief-Faksimiles, Theater- und Bühnenfotos sowie Filmplakate. Der vielfältig brodelnde Kulturraum, in den Weills (durch seinen frühen Herzinfarkt) allzu kurzes Leben eingebettet ist, wird erfreulich lebendig: über die grandiose Theaterepoche und ihre Printmedien-Fülle hinaus mit Schallplatte, Film, Radio und den Anfängen des Fernsehens – die Schwerpunkte Deutschland, Frankreich und die USA – all dies mit vielen, auch Kennern nicht unbedingt vertrauten Details.

Genau das ist die Intention von Andreas Eichhorn, der ausgewählt, gekürzt, ergänzt und komprimiert hat – also als Mischung aus Kompilator, Herausgeber und Autor tätig war: ein geglücktes Multitasking, wobei dem Kölner Musik-Professor seine Mittätigkeit in der „Radio Jazz Research“ und die Kuratierung der Kurt-Weill-Dauerausstellung in Dessau ein fachlich ergiebiges Fundament geliefert haben. Weills Komponieren und Theaternähe: eine Fülle von Verzweigungen, Parallel- und Querverbindungen wird deutlich – und der zerstörerische Bruch durch die braunen Kulturbarbaren.

Über Quellen, Literatur, Hör- und Bildmedien zu Weill hinaus bietet der Band am Ende auf zehn Seiten auch eine chronologische Auflistung aller Tageseinträge – hilfreich für Recherchen zu den hierzulande weniger bekannten „Broadway-Jahren“ Weills.

Für den Musiktheaterfreund, der schon einen Teil der 1950er Jahre miterlebt hat, wird auch klar: Was ging da an künstlerisch herausragender und dennoch sofort eingängiger Musiktheatralik einschließlich des Tanzes verloren – gerade auch im Vergleich zu der oft verkrampften, zunehmend verkopften Nachhol-Moderne in der Klassik, die weitgehend in einen künstlerischen Elfenbeinturm führte!

Wer also über „Babylon Berlin“ hinaus die komplexe Fülle der Kultur vor und kurz nach dem Zweiten Weltkrieg kennenlernen will, kann den Band kontinuierlich oder zeitlich springend, wie auch lexikalisch nachschlagend genießen. Insgesamt eine gelungene Bereicherung der Weill-Bibliografie.

  • Andreas Eichhorn: 365 Tage mit Kurt Weill. Ein Almanach, Georg Olms Verlag, Hildesheim 2022, 311 S., Abb., € 28,00, ISBN 978-3-487-08648-4

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