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Filigrane melodische Linien und kompakte Klänge

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Matinée mit Kammermusik von Lutz Landwehr von Pragenau im Kulturzentrum Puchheim
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Die Verfügbarkeit über die Komposi­tionsmittel und -techniken der gesamten Musikgeschichte kann zu Beliebigkeit führen, sie kann aber auch bei kluger Auswahl und Beschränkung auf die Erfordernisse der jeweiligen kompositorischen Aufgabe Profil ergeben. Ein solches Verfahren, das den virtuosen Wechsel zwischen Tonalität, Bitonalität und Atonalität einsetzt, das die musikalische Vergangenheit elegant und ironisch zitiert, aber gleichzeitig in der Schwebe lässt und das mit der Reduktion am Rande des Verstummens gegen die Geschwätzigkeit der Welt sich behauptet – dieses Verfahren kennzeichnet die Eigenart der Werke von Lutz Landwehr von Pragenau.

In einer Matinée im Kulturzentrum Puchheim, gefördert durch sudetendeutsche Institutionen, führte der Komponist selbst durch die Werkschau und formulierte dabei sein kompositorisches Credo: Töne und Klänge als Individualitäten, die „durch den Komponisten in die Welt finden“.

In dem Duo „Zu zweit“ für Violine und Oboe wird ein geradezu realistischer Dialog zwischen zwei Personen abgebildet, ein witziges Psychogramm einer Beziehungskiste, schwankend zwischen Wohlklang und scharfer Dissonanz, wie im richtigen Leben sozusagen. Das fein gearbeitete kleine Stück erschöpft sich jedoch nicht in Programmatik. Die außermusikalischen Bezüge sind Anlass für ein scharf profiliertes Spiel und Widerspiel von filigranen melodischen Linien und kompakten Klängen, die sich gegen Ende im Unisono finden und in eine reine Quart münden.

Zwei Sonatinen für Klavier hat Landwehr von Pragenau bisher vorgelegt, zwei sehr gegensätzliche Stücke, die bereits allein die große Spannweite seiner musikalischen Sprache abstecken. Virtuos-wirkungsvoll, klar ge­gliedert und voller witziger und überraschender Details zeigt die erste sich klassizistisch, wenn auch vielfach gebrochen, liebenswürdig, aber auch energisch, gewissermaßen als die kleine Schwester von Prokofjews Symphonie classique. (Eine Betrachtung dieses Werks durch Oliver Fraenzke findet sich in der letzten Ausgabe der nmz 7-8/22.) Die zweite Sonatine, pianistisch an- und aufregend wie die erste, aber von ernster Grundhaltung, bringt weit ausschwingende Melodik und nostalgische Momente im Mittelsatz. Die Randsätze leben von Motorik, unterbrochen von fahlen, ruhigen Abschnitten, immer jedoch harmonisch und klangfarblich fein abgestuft. In dem Solostück für Englischhorn „Auch ich habe in Arkadien gelebt“ nach der gleichnamigen Erzählung von Ingeborg Bachmann wird der seit dem Hellenismus und wieder seit dem Barock häufig aufgegriffene Arkadien-Mythos thematisiert. Die Komposition bietet eine Palette technischer Möglichkeiten des Spiels auf dem Englischhorn – ein Kosmos von Ausdrucksvarianten – und erweist sich so als außerordentlich dankbares Stück für dieses Instrument.

„Yolimba lässt grüßen“, Variationen für Violine und Klavier über die erste Szene aus Wilhelm Killmayers musikalischer Posse „Yolimba oder die Grenzen der Magie“, ist eine ab- wie tiefgründige Hommage an Landwehr von Pragenaus Lehrer Wilhelm Killmayer, woran dieser seine Freude gehabt hätte. Der kindliche Spaß am Zertrümmern der Vorlage, der unversehens umschlägt in die Angst vor den Folgen, stellt eine kongeniale Wiederaufnahme des Titelsongs von Killmayers im wahrsten Sinn postmoderner Operette dar. Der Zuhörer erlebt hier ein Wechselbad von Gefühlen zwischen überschäumender Fröhlichkeit und bizarren Abgründen. Nach der Pause schlagen die „Vier Lieder“ nach Gedichten von Selma Meerbaum-Eisinger (1924-1942) für Mezzosopran und Klavier einen ganz anderen Ton an. Die frühreifen Liebesgedichte eines fünfzehnjährigen jüdischen Mädchens werden sehr zurückhaltend und gerade dadurch sehr eindrucksvoll in Musik gesetzt.

Fulminant abgeschlossen wird das Konzert durch das Scherzo grottesco aus „Drei Stücke“ für Violine solo. Traumhaft-verspielte Flageolett-Passagen wechseln mit markanten Septenparallelen. Zusammengehalten wird die musikalische Girlande aber durchweg und unaufdringlich durch motivische Arbeit.

Die ausführenden Instrumentalisten musizierten allesamt souverän in den virtuosen Partien und auffallend differenziert in den subtilen, sensiblen und atmosphärischen Passagen (Susanne Sonnemann – Violine, Anastasia Zorina – Klavier, Florian Adam – Oboe und Englischhorn). Martina Swandulla (Mezzosopran) sah sich vor die Herausforderung gestellt, als erwachsene Sängerin den vertonten Text eines Teenagers zu interpretieren, was ihr überzeugend gelang.
 

 

 

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