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Intensiver Austausch in Erding. Foto: Ute Pelzer-Gabriel
Intensiver Austausch in Erding. Foto: Ute Pelzer-Gabriel
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Grenzüberschreitende Kooperation

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Musikschulverbände aus Österreich, Deutschland und der Schweiz in Erding
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L–A–CH–D: Was sich, in einem Wort gesprochen, wie eine Aufforderung zum Spaßhaben anhört, meint eine Initiative der deutschsprachigen Länder in der Europäischen Musikschulunion (EMU). Die Musikschulverbände aus Liechtenstein, Österreich, der Schweiz und Deutschland trafen sich zu einer ersten Themensammlung im April 2016 in Feldkirch und vereinbarten dort eine gemeinsame Klausurtagung.

Diese fand nun am 13./14. Januar 2017 in Erding statt. Friedrich-Koh Dolge, stellvertretender Bundesvorsitzender des VdM, konzipierte die Veranstaltung federführend. Von deutscher Seite nahmen Dolge, der Bundesvorsitzende Ulrich Rademacher, Vorstandsmitglied Wolfgang Greth und Bundesgeschäftsführer Matthias Pannes teil. Aus der Schweiz waren vier, aus Österreich drei Teilnehmerinnen und Teilnehmer angereist. Ziel der Veranstaltung waren natürlich Austausch und Information über die Situation bei den Nachbarn. Es sollte aber auch um den Blick in die Zukunft gehen: Wie sieht die Gesellschaft, wie sieht die Bildungslandschaft und schließlich wie sehen musikalische Bildung und öffentliche Musikschule in zehn Jahren aus? Impulsgeber war Stefan Theßenvitz, der über Mega-Trends von heute und über zukünftige Entwicklungen sprach. Dabei beleuchtete er globale politische Entwicklungen (Stichworte: Brexit, US-Wahlen, Türkei …) ebenso wie demografische Entwicklungen in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Digitalisierung ist selbstverständlich ein Mega-Trend, der unser Leben auch zukünftig bestimmen wird; Gleiches gilt für die Themen Migration und Immigration. Theßenvitz erwähnte auch die zunehmende Polarisierung der Gesellschaft, die wegbrechende „Mitte“, die Diskrepanz zwischen ländlichem Raum und Boom-Towns. Schließlich warf er einen Blick auf die sich verändernde Arbeitswelt; Stichworte sind hier neben anderen Enthierarchisierung, Flexibilisierung, Leistungsverdichtung.

Was bedeutet dies alles für die öffentlichen Musikschulen? Kernkompetenzen, die angesichts der Trends zukünftig immer wichtiger werden, können die Musikschulen durch ihre Arbeit verstärken. Zu nennen wären zum Beispiel soziale Kompetenz, Kommunikationsfähigkeit, Teamgeist, Eigeninitiative, Kreativität: alles Eigenschaften, die Musikschulen in die Gesellschaft hineinzugeben in der Lage sind. „Zukunft gestalten“: Diese Option zu aktivem Handeln gab Theßenvitz seinen Zuhörern abschließend mit auf den Weg.

Die eigentliche Klausurtagung sollte nach der Vorstellung von Friedrich-Koh Dolge auch eine Art Think Tank sein: „ein Nachdenken auf der Meta-Ebene über die Musikschule der Zukunft“. Gearbeitet wurde zunächst in den drei Ländergruppen an der Frage, wie sich die Gesellschaft in den kommenden zehn Jahren entwickeln wird. Zentrale Begriffe wie Digitalisierung, Individualisierung, demografische Veränderung, Migration finden sich in den Ergebnissen aller drei Gruppen. Die anschließende „Vernissage“ erlaubte es den Teilnehmern, die Ergebnisse der jeweils anderen AGs in Ruhe anzuschauen und zu verarbeiten. In einer zweiten Runde ging es dann – schon konkreter – um die Veränderungen in der Bildungslandschaft der drei Länder. Auch hier finden sich viele Überschneidungen. Exemplarisch genannt seien hier die zunehmende Ökonomisierung und Funktionalisierung von Bildung, die Verlagerung von Verantwortung aus dem Elternhaus in die Institutionen, die Frage der Chancengleichheit, der Einfluss der digitalen Welt auf Bildung, die Ganztagsschule. Aber auch neue pädagogische Ideen, neue Vorstellungen von „Lernorten“ und die Diskussion eines Qualitätsbegriffes stehen im Zentrum, wenn es um die Bildungslandschaft der Zukunft geht. In einem dritten Arbeitsgang sollten dann die gewonnenen Ergebnisse und Erkenntnisse auf die Entwicklung der öffentlichen Musikschulen heruntergebrochen werden. Welche Trends sehen wir in den nächsten zehn Jahren – und was tun wir bereits? Klar wurde, dass in allen drei Ländern wesentliche Veränderungen zu erwarten sind. Spezialisierung, Profilierung, neue Zielgruppen, neue Erwartungen der „Kunden“ wurden in dieser Runde detailliert benannt und gelistet.

Der anschließende Austausch zeigte auf, wo es Überschneidungen gibt, wo Entwicklungen unterschiedlich sind. Deutlich zum Beispiel die Feststellung, dass die gesellschaftliche Wertschätzung der musikalischen Bildung in Österreich offenbar auf einem wesentlich höheren Niveau stattfindet als in Deutschland. Das macht sich natürlich auch in der öffentlichen Finanzierung und Förderung bemerkbar. Die Fortbildung von Führungskräften sieht in Deutschland und Österreich ähnlich aus – hier wurde auch über gemeinsame Veranstaltungen nachgedacht. In der Schweiz hingegen ist dieser Bereich Angelegenheit der Berner Hochschule in Zusammenarbeit mit dem Schweizerischen Musikschulverband.

Am zweiten Tag erarbeiteten die Ländergruppen dann Strategien und Maßnahmen. Hier wurde es sehr konkret, so Dolge: „Ergebnis für den VdM war zum Beispiel, dass wir die Führungskräfte noch professioneller ausbilden wollen, dass wir das, was wir bereits haben, weiterentwickeln werden. Berufsbild und Entwicklung eines Anforderungsprofils waren wichtige Themen. Es ging auch um Organisationsentwicklung für die öffentlichen Musikschulen. Wir haben aber auch politische Ideen gehabt, haben visionär gearbeitet und zum Beispiel über Landes- und ein Bundesmusikschulgesetz diskutiert. Des Weiteren haben wir auch über ganz handfeste Ziele wie zum Beispiel die Umsetzung des VdM-Strukturplans gesprochen: Wie können wir den Mitgliedsschulen Hilfestellungen geben, um den Strukturplan im Sinne des Verbandes umzusetzen?“

Ergebnis der Klausur war auf jeden Fall: Der Austausch soll fortgesetzt und intensiviert werden. Alle Teilnehmer waren sich einig, dass hier Potenziale liegen. Einig war man sich auch, dass gemeinsames Ziel ist, den Stellenwert musikalischer Bildung in der Gesellschaft zu erhöhen. „Musikschulen in allen drei Ländern müssen mutiger und selbstbewusster werden und zeigen, was sie können“, erklärte Dolge.

Erwähnt werden soll auch der gemeinsame Abend, der neben dem informellen Gespräch ein „Dinner Speach“ von Reinhart von Gutzeit bot. Auf humorvolle Weise berichtete von Gutzeit, der in allen drei Ländern zu Hause war oder ist, über Unterschiede und Gemeinsamkeiten des Musiklebens und der musikalischen Bildung in Österreich, Deutschland und der Schweiz. Spätestens hier durften die Teilnehmer dann auch tun, was ihr Kürzel L–A–CH–D bereits suggeriert: Sie konnten gemeinsam und herzhaft lachen. 

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