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Krešimir Baranovic, Komponist und Dirigent, lange Jahre Leiter der Oper in Zagreb und der Philharmonie in Belgrad. Foto: Nat. Theatermuseum Serbien
Krešimir Baranovic, Komponist und Dirigent, lange Jahre Leiter der Oper in Zagreb und der Philharmonie in Belgrad. Foto: Nat. Theatermuseum Serbien
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Große Oper im Kalten Krieg

Untertitel
Zur Wiederveröffentlichung einer beachtlichen Belgrader Ensembleleistung bei Decca Eloquence
Publikationsdatum
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Als Anfang März 1953 die Politbüro-Granden der KPdSU Stalin fünf Tage lang an den Folgen von Hirn- und Magenblutungen sterben ließen, kursierte wenig später in der KP Jugoslawiens unter der Hand die Geschichte, im Nachttischchen des Generalissimus hätte sich eine Botschaft des Genossen Tito gefunden: Stalin solle aufhören, Killer auf ihn anzusetzen, man hätte ja schon vier erwischt, andernfalls würde er, Tito, auch einen vorbeischicken, und der würde sich nicht erwischen lassen.

Wie dem auch sei: Bereits am 16. März 1953 dampfte die Staatsyacht Galeb“(Möwe) die Themse aufwärts, wo der alte Verbündete Churchill gemeinsam mit Prinz Philip den Marschall und Präsidenten zu dessen erstem Staatsbesuch im Westen empfing. Ränke, Machtspiele, Geschichtsträchtiges, mit glanzvollen Tableaus und allerlei Niedertracht in Hinterzimmern und Kellern. Große Oper halt, und Vorlagen wie geschaffen für Meyerbeer oder Mussorgsky.

Nach dem Bruch mit Stalins kommunistischem Internationalismus des Kominform 1948 und der Aufnahme Jugoslawiens in den Marshall-Plan 1950, bedeutete der Staatsbesuch in England einen weiteren Schritt der Annäherung des eigentlich kommunistischen Landes an den, nun ja: „Klassenfeind“. Im laufenden Kalten Krieg und auch später sollte diese Nähe vermittels Krediten und anderen Vergünstigungen Jugoslawien nützen, bis es ab Mitte der 80er selber nutzlos geworden sein wird. Was dann kam, ist aus der jüngeren Geschichte bekannt. Unterdessen schuf die Nähe seinerzeit auch für Künste und Künstler ein angenehmes Klima. Mit Ivan Generalics großer Pariser Ausstellung 1953 bekommt die Naive Kunst einen ersten internationalen Auftritt, 1954 besucht Milko Kelemen die Darmstädter Ferienkurse, und der Dirigent Lovro von Matacic erhält seinen Reisepass wieder, um eine, für einen Bonvivant und als Ustaša-Kollaborateur Verurteilten beachtliche Weltkarriere hinzulegen. Einzigartig jedoch ist das Unternehmen, das die englische Plattenfirma Decca 1955 nach Jugoslawien brachte: In zwei Blöcken von einmal sieben Wochen im Februar bis April und nochmal vier Wochen im September und Oktober galt es, gleich sieben Hauptwerke des russischen Opernrepertoires auf einen Streich aufzunehmen – mit dem Ensemble der Nationaloper Belgrad und state-of-the-art, also in Stereo. Eine schon damals und heute erst recht außerordentliche Leistung für ein Haus von etwa mit der Staatsoper Hannover vergleichbaren Größe, handelte es sich doch dabei fast durchweg um aufwändige, komplexe Einstudierungen in Originalsprache. Tschaikowskys „Eugen Onegin“ und „Pique Dame“ sind dabei noch vergleichsweise konventionell, Glinkas „Ivan Susanin“ und Rimsky-Korsakovs „Schneeflöckchen“ schon schwieriger. Als „Elefanten der Mittel“, wie Nono es genannt hätte, nehmen sich jedoch Borodins „Prinz Igor“ sowie Mussorgskys „Boris Godunov“ und „Khovanshchina“ aus. Von all diesen hatte die Belgrader Oper lediglich „Onegin“ und den „Boris“ im Repertoire – allerdings auf Serbisch. Aber das politische Frühlingslüftchen und sicherlich auch der eine oder andere staatsdirigistische Wink mobilisierten reichlich Energien, um den Sowjets auch in deren ureigenstem Nationaloperngenre mal zu zeigen, wo Hammer und Sichel hängen: zumal es sich bei den Werken von Glinka, Borodin und Mussorgsky um ausgesprochene Volksdramen handelt. Und was die Plattenfirma anbelangt, so waren die hervorragenden Bedingungen sowie die Möglichkeit, den eigenen Katalog ebenso kostengünstig wie üppig aufzufüllen, sicher Motivation genug.

Russische Schlüsselwerke

Diese, bis auf den „Boris“, überhaupt ersten „westlichen“ Studioaufnahmen russischer Haupt- und Schlüsselwerke in Originalsprache brachte die Decca ab Ende der 50er dann auf den Markt, für Europa zunächst monophon, stereophon nur für die USA (dort hatten Kunden die Geräte schon früher angeschafft), und sie waren bis in die 70er Jahre noch erhältlich. Unbearbeitete Wiederveröffentlichungen gab es auf CD nur vereinzelt bei Liebhaber-Labels wie Line, später dann zum Download bei Naxos. Nun ist es aber Eloquence Classics, dem australischen Ableger der längst von Universal Music geschluckten Decca zu verdanken, dass man sich heute wieder durch dieses ambitionierte Kapitel der Opern- und Plattengeschichte hindurchhören kann – remastered auf CDs ebenso wie auf Spotify und iTunes. Dass man dabei, neben einigen Verlusten, auch viel gewinnen kann, das wird wohl auch Cyrus Meher-Homji gespürt haben, der als CEO und zuständiger Produzent bei Eloquence Classics mit viel Geschmack für spannende Wiederveröffentlichungen aus den Decca- und DG-Archiven sorgt.

Verluste verspürt man hinsichtlich der eingespielten Fassungen. Für Glinkas original betitelten „Ivan Susanin, von Nikolaus I. vor der Uraufführung und nachher in der postsowjetischen Plutokratie dann wieder in „Ein Leben für den Zaren“ umbenannt, nahm man die Libretto-Fassung von Sergej Gorodetzky, die 1939 in Stalins Sinne von Zar und Kirche auf Volk und Vaterland modulierte. Mussorgsky und Borodin wurden in den jeweiligen Orchestrierungen beziehungsweise Vollendungen von Rimsky-Korsakov beziehungsweise Rimsky und Glasunow eingespielt. Das aber entsprach aber dem philologisch wenig skrupulösen Geschmack der Zeit. Ohnehin war der auf den üppig-spätromantischen Sound getrimmt, weniger auf Mussorgskys dissonanzreichen Originalklang, und die Einrichtung der „Khovanshchina“ von Schostakowitsch etwa gab es nicht vor 1960. Dass allerdings der „Boris“ in der Rimsky-Fassung von 1896 mit einem gerade halben Polen-Akt aufgenommen wurde, ist bitter und lässt ohne den finsteren Rangoni die Verschwörung in der Luft hängen. Anscheinend wollte man es bei sechs LP-Seiten belassen. Ihrer zehn gönnte man dagegen Borodin, und so durfte „Prinz Igor“ den oft gestrichenen 3. Akt behalten. „Historische Aufführungspraxis“ der 50er-Jahre eben, währenddem der musikalische Ertrag auch nach heutigen Maßstäben überzeugen kann.

So auf jeden Fall in den großen Chorpartien bei Borodin und Mussorgsky, die alle drei innerhalb des ersten Blocks aufgenommen wurden, „Khovanshchina“ und „Prinz Igor“ zum Teil gleichzeitig. Ebenso kraftvoll wie kultiviert macht der Chor der Belgrader Nationaloper stets großen Eindruck, unterstützt durch eine vom Aufnahmeleiter James Walker auf Transparenz und räumliche Staffelung gestimmte Aufnahmetechnik – was bei Ensembles minderer Güte gefährlich hätte werden können, den Volksauf- und Mönchsumzügen bei Mussorgsky jedoch zugute kommt. Und wenn dann im „Ivan Susanin“, um den stark beanspruchten Opernchor zu entlasten, der Chor der Jugoslawischen Volksarmee seine Auftritte mit Verve hinlegt, dann kann nicht nur im historisch informierten Hörer der Gedanke aufkeimen, dass manch einer von denen, die da gegen die Invasoren ansingen, zehn Jahre zuvor den Kampf gegen Besatzer ganz anders gestaltet haben mag. Schade nur, dass die JNA ihre musikalische Karriere nicht weiter ausgebaut hat.

An Entlastung war für das Solisten­ensemble freilich nicht zu denken. Es handelte sich ja nicht um handverlesene, lange vorab disponierte Produktionen à la Wien oder Mailand, eher um planwirtschaftliche Sollerfüllung. Auch waren viele Nachtsitzungen angesetzt, da der Aufnahmeraum, das Haus der Kultur, tagsüber als Hörsaal und Kino ausgebucht war. Also galt es, in den engen Produktionszeiträumen kleine Rollen nicht eingerechnet, an die 50 große und mittlere Partien zu besetzen. Das gelang, was allein schon Qualität voraussetzt, mit rund 16 Sängerinnen und Sängern. Vorneweg mit dem damals 27-jährigen Kavaliersbariton Dušan Popovic, der bei gleich sechs der sieben Opern mitwirkt. In den 60ern und 70ern lange Jahre an den Staatstheatern in Braunschweig und Saarbrücken engagiert, macht er hier bei seinem Plattendebüt stets eine glänzende Figur und ist ein Onegin und Fürst Igor von Format. Dieses besaß Mela Bugarinovic, erster Mezzo in Belgrad, länger schon als Verdi- und Strauss-Heroine der Wiener Staatsoper oder als Bayreuther Erda. Sie ist in fünf Rollen zu hören, eindrucksvoll als Konchakova (Igor), Marfa (Khovanshchina) und Marina (Boris). Fünf Mal auch der Bass Miroslav Čangalović, einer der Granden der Belgrader Oper: als Boris Godunov, als Dosifej (Khovanshchina) und als Susanin in den Hauptrollen, und selbst als Gremin (Onegin) in XXL. Ein Sänger-Darsteller vom Rang eines Christoff, wenn nicht so durchschlagend, so mit feinster Pianokultur. Feinen Gesang bieten auch, um nur wenige noch zu erwähnen, Valeria Heybal als Jaroslavna (Igor), als Tschaikovskys Tatyana und Lisa, Drago Starc als Golitzyn (Khovanshchina), Lensky (Onegin) und Sobinin (Susanin) oder Biserka Cvejic. Sicher, es gibt auch weniger befriedigende Besetzungen, und der zusammengestrichene „Boris“, zumal die einzige Monoaufnahme der Serie, ist bedauerlich. Was jedoch einnimmt, das ist insgesamt die Ensembleleistung. Es wird miteinander musiziert, man kennt und vertraut sich, und so durchzieht alle Aufnahmen eine konzentriert-entspannte Geschlossenheit. Schier hört man ganzen Aufführungen zu, aus einem Guss und in einem Fluss, und nicht kunstvoll geschnittenen Produktionen.

Dirigentenpersönlichkeiten

Was jedoch diese sieben Einspielungen und mithin das Ensemble über den engen Zeitplan hinaus zusammenhält und darüber emporhebt, war vor allem das Verdienst der beiden Dirigenten, zweier exemplarischer Künstlerpersönlichkeiten, in denen sich vielfach spezifisch Jugoslawisches spiegelt: musikalischer Glanz und das Elend der Zeitläufte. Krešimir Baranovic (1894–1975), in Zagreb und Wien auch als Komponist ausgebildet, dirigierte an der Kroatischen Nationaloper bereits ab 1915 seinerzeit avanciertes Repertoire, Janáček, Rimsky-Korsakov, Strauss, Stravinsky-Ballette, und er war von 1929 an deren Leiter, förderte dabei Talente wie Zinka Milanov. 1941 trieb ihn das faschistische Ustaša-Regime aus dem Amt und sperrte ihn, weil Freimaurer, ins berüchtigte Lager von Nova Gradicka, von wo er nach Bratislava entkam und dort das Rundfunkorchester übernahm. Zurückgekehrt ist er nach Belgrad, lehrte an der Musikakademie und war 1951 bis 1961 Chef der Philharmoniker, als welcher er hier die Einspielungen der beiden Mussorgsky-Opern übernommen hat sowie von „Schneeflöckchen“ und „Pique Dame“. Denen kommt Baranovics umsichtige Routine zugute, sowohl dem lyrischen Parlando Tschaikovskys als auch der Schnitt- und Montagetechnik der „Khovanshchina“ etwa, mit kluger Balance und natürlichem Puls.

Ein Talent impulsiverer Art war Oskar Danon (1913–2009), bei diesen Gesamtaufnahmen musikalischer Leiter bei „Igor“, „Susanin“ und „Onegin“. Er, der die erste Jazz-Band seiner Heimatstadt gründete und in den 30ern im linksgerichteten Milieu Prags studierte, musste 1941, als die Ustaša mit den Verfolgungen begann, als bosnischer Jude aus Sarajevo in die Berge fliehen und schloss sich den Partisanen an. Dort, so erzählte er, hörte er einmal Beethovens „Eroica“ vom Reichssender Berlin und beschloss, diese nach der Befreiung aufzuführen, was er mit den Belgrader Philharmonikern im November 1944 dann auch tat. Im Februar 1945 ließ er dann die erste Opernaufführung im Nationaltheater folgen: „Eugen Onegin“, womit sich für ihn zehn Jahre später als Chefdirigent der Oper ein Kreis schloss. Kann man diese Bedeutung des Werks aus seinem innigen Ausmusizieren heraushören, so sind sein „Susanin“ und „Igor“ von kernigem Drive. Bewegende Volksdramen halt und als Wiederveröffentlichungen auf CD eine Bereicherung, wie auch diese Edition insgesamt.

Dass sich allerdings ein weiterer Kreis schloss, das hätte sich Oskar Danon gerne erspart: Als im April 1992 in Sarajevo bei der Großdemonstration für ein demokratisches und ethnisch vielfältiges Bosnien und Herzegovina serbische Nationalisten das Feuer und den Bürgerkrieg eröffneten, war er unter den Demonstranten und musste abermals fliehen. Und so gilt hier wie auch sonst: Als Oper lässt sich Geschichte immer noch am besten ertragen.

Diskografische Angaben zu Decca in Belgrad

www.EloquenceClassics.com

Glinka, Ivan Susanin 482 6924 (3 CD)
Borodin, Fürst Igor 482 6935 (3 CD)
Mussorgsky, Boris Godunov 482 6883 (2 CD)
Mussorgsky, Khovanshchina 482 6893 (3 CD)
Tschaikovsky, Eugen Onegin 482 6944 (2 CD)
Tschaikovsky, Pique Dame 482 6903 (3 CD)
Rimsky-Korsakov, Schneeflöckchen 482 6913 (3 CD)


 

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