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Hallo, wer singt denn da ?

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Eine Studie zu (jugendlichen) Chorsingenden im deutschsprachigen Raum
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Etwa zwei Millionen Menschen waren 2017 in Deutschland in Verbänden des vokalen Musizierens eingeschrieben, was etwa fünf Prozent der Gesamtbevölkerung ausmacht1. Wer sind die Sänger/-innen, was bewegt sie zum Sing­en, welche Musikstile gefallen ihnen, was schätzen sie an Proben, Konzerten sowie der Chorleitung, und wie verlief ihre musikalische Laufbahn? Mit diesen und weiteren Fragen haben sich ausgehend von der Universität Mozarteum Salzburg, Standort Innsbruck, zwei Studien (Allgemeinchöre und Jugendchöre) zum Chorsingen im deutschsprachigen Raum mit knapp 2.000 Teilnehmenden im Jahr 2018 beschäftigt. Spannende Ergebnisse brachte vor allem die Jugendchorstudie, da diese Altersgruppe vorher nur selten in den Fokus von Untersuchungen gerückt wurde.

Es zeigte sich, dass typische Jugendchorsänger/-innen im Durchschnitt 15 Jahre alt sind, in weltlichen Chören singen (71 %), Mädchen mit acht und Jungen mit elf Jahren einsteigen und knapp 90 % schon den Kinderchor oder musikalische Früherziehung besucht haben. Über 70 % der jugendlichen Sänger/-innen spielen ein Instrument, welches etwa die Hälfte von ihnen zur Probenvorbereitung verwendet. Im Vergleich zur allgemeinen Chorstudie weisen diese Ergebnisse darauf hin, dass die heutigen Kinder und Jugendlichen ein größeres Angebot und bessere Zugangschancen genießen: Die durchschnittlich 50 Jahre alten Sänger/-innen der allgemeinen Chorstudie begannen etwas später mit dem Singen (mit 15 Jahren) und etwa die Hälfte sangen im Kinder- oder Jugendchor. Deutlich wurde aber, dass zwei Drittel der Personen bis zum 20. Lebensjahr mit dem Singen begannen, was die große Bedeutung der Förderung im Kindes- und Jugendalter unterstreicht (Abbildung 1). Zu vermuten ist auch, dass frühes Chorsingen eine lang andauernde Chorzugehörigkeit mit sich bringt; immerhin blicken die Erwachsenen der allgemeinen Chorstudie im Durchschnitt auf 22 Jahre Chorerfahrung zurück.
Unterbrochen wird das Chorsingen übrigens eher von Frauen, von welchen 62 % mindestens einmal mit dem Singen aufgehört haben (im Vergleich zu 45 % der Männer). Trotzdem nahmen an beiden Studien weitaus mehr Sängerinnen teil, was dem Mangel an Männerstimmen in vielen Chören entspricht.

Auffallend war auch der hohe allgemeine Bildungsstand der erwachsenen und jugendlichen Chormitglieder: 40 % der Erwachsenen haben einen Hochschulabschluss, 28 % das Abitur; 74 % der Jugendchorsänger/-innen besuchen ein Gymnasium oder eine Fachhochschule. Knapp ein Drittel der befragten Jugendlichen geht sogar auf eine Schule mit Musikschwerpunkt und 64 % besuchen Instrumental- oder Gesangsstunden. Auch der Einfluss der Eltern und Bezugspersonen wurde deutlich; so berichten über 60 % der Jugendlichen davon, dass mindestens ein Elternteil ein Instrument spielt, und bei über der Hälfte der Jugendlichen singt zumindest ein Elternteil selbst im Chor. Interessanterweise denkt ein höherer Anteil jener Jugendlichen über einen Choraustritt nach, deren Eltern selbst nicht in einem Chor singen. Als Gründe für einen Austritt gelten der zeitliche Aufwand, fehlende Freude an der Chorliteratur, ein Wechsel des Chores sowie die Beschäftigung mit anderen Hobbys.

Es sticht also durch die Jugendchorumfrage klar hervor, dass überdurchschnittlich viele Sänger/-innen durch ihre Eltern, ihre musikalisch ausgerichteten Schulen oder die Musikschule zum Chor gestoßen sind. Damit auch Personen Chören beitreten, welche nicht über die Eltern, die Musikschule oder eine musikalisch ausgerichtete Schule motiviert werden oder auf eine langjährige Chorzugehörigkeit zurückblicken, wäre gezielte Werbung und Förderung aller Altersgruppen, Berufsgruppen und Schultypen empfehlenswert.

Wie in Abbildung 2 ersichtlich, wird in der Freizeit von Sänger/-innen aller Altersgruppen gerne klassische Musik gehört. Interessant wäre hierbei natürlich ein Vergleich mit der nicht im Chor singenden Bevölkerung. Sänger/-innen bis etwa 70 Jahre hören zudem auch gerne Pop- und Rockmusik. Mit steigendem Alter wird häufiger Schlager-und Volksmusik gehört; hingegen immer weniger Pop, Rock, Jazz, Hip-Hop, Reggae und Heavy Metal.

Abbildung 3 zeigt, welche Musikstile im Chor gerne gesungen werden. Hier stechen klassische Musik, Popmusik, Volksmusik und Musical als Präfenzen hervor. Mit steigendem Alter werden Volksmusik, Schlager und klassische Musik lieber im Chor gesungen; Pop-Musik, Rock, Jazz und Gospel werden als Chorliteratur weniger geschätzt. Natürlich hängen diese Singvorlieben damit zusammen, dass gewisse Musikstile nicht für die klassische Stimmgebung sowie Gruppengesang geeignet sind oder spezielle Rahmenbedingungen erfordern (wie elektronische Elemente, Schlagzeug etc.).

Jugendliche und auch Erwachsene wünschen sich moderne, aktuelle Lieder als Chorliteratur, was in beiden Studien klar zum Ausdruck kam. So nannten 60 % der Erwachsenen (sie­he Abbildung 4) der ersten Studie moderne Werke (wie Lieder aus Musicals, Pop-Lieder etc.) als Wunschliteratur. Von Jugendlichen wurde an der Chorleitung unter anderem kritisiert, dass zu wenig aktuelle Lieder gesungen werden oder zu wenig Mitbestimmungsrecht in der Literaturauswahl eingeräumt wird.

Wird vor Chorproben geübt?

Ja, Chorsänger/-innen bereiten sich auf Chorproben vor, sogar zum überwiegenden Prozentsatz von 65 % bei Jugendlichen und 70 % bei Erwachsenen. Über 90 % der Teilnehmenden beider Studien geben an, Chorliteratur anzuhören, vor allem über das Internet. Mit den Jahren der Chorzugehörigkeit nehmen Anhören und Vorbereitung tendenziell ab, wobei dies mit der erweiterten Kenntnis verschiedener Chorstücke und Gesangstechniken und einem daraus resultierenden geringeren Übebedarf erklärt werden kann. Aus der Jugendchorstudie ging hervor, dass Personen bis etwa zum 20 Lebensjahr Literatur vor allem anhören, während der Notentext gelesen wird (54 %). Mit steigendem Alter wird dies mehr in den Alltag integriert: So hören 60 % der über 20-jährigen die Werke unterwegs im Auto oder der Bahn an und nur 31 % lesen den Notentext gleichzeitig mit. Für Chorleitende ist diesbezüglich hervorzuheben, dass über zwei Drittel der Teilnehmenden Übe-CDs hilfreich finden und diese verwenden würden. Zu empfehlen wären digitale Übe-Tracks, welche auch unterwegs angehört werden können.

Chorproben und Konzerte

An Chorproben schätzen die erwachsenen Sänger/-innen Stimmbildung, A-cappella-Singen sowie genaue Konzertvorbereitung. Es wurde ersichtlich, dass eine anspruchsvolle Literatur, das Singen bei lokalen Events und geselliges Singen in der Runde beliebt sind. Weniger wichtig stufen die Sänger/-innen eine Orchester-, Band- oder Klavierbegleitung des Chores ein. Auch die Organisation vieler gemeinschaftlicher Choraktivitäten oder die Häufigkeit der Auftritte wurde den vorher genannten Aspekten untergeordnet.

Bei Konzerten fühlen sich die Sänger/-innen nur mäßig aufgeregt, wobei Frauen und Personen, welche sich auf Chorproben vorbereiten, aufgeregter sind. Wichtig ist ihnen die Stimmsicherheit aller Mitglieder, die Begeisterung des Chores und Publikums sowie viele Zuhörende. Weniger bedeutsam wird es hingegen eingestuft, dass ein ausgefallenes Programm gewählt und Requisiten eingesetzt werden, die Medien vom Konzert berichten und Instrumente den Chor begleiten. Für die Chorleitung bedeuten diese Ergebnisse, dass der Fokus in Bezug auf Proben auf guter Stimmbildung, detaillierte Erarbeitung der Werke sowie genaue Planung von Konzertabläufen im Vordergrund stehen sollte.

Und die Chorleitung?

Teilnehmende Jugendchöre haben zu zwei Drittel einen männlichen Chorleiter, 23 % haben Chorleiterinnen, und 15 % der Teilnehmenden sprechen von wechselnden Leitungspersonen. Charakterlich sollte die Chorleitung dazu in der Lage sein, die Sänger/-innen zu motivieren, eine große fachliche Kompetenz haben und auch Verständnis und Geduld zeigen können. Die eigene Chorleitung wurde von den Jugendlichen überwiegend positiv eingeschätzt; teilweise wird übertriebene Strenge, Literaturauswahl oder fehlende Geduld kritisiert. Auch Erwachsene haben schon negative Erfahrungen gemacht, dabei vor allem mit der Ungeduld, mangelnden Organisation, fehlender Respekt oder Diskriminierung von Seiten der Chorleitung.

Hat das digitale Zeitalter die Chöre erreicht?

Im Rahmen der Jugendchorstudie drängte sich auch die Frage auf, ob Jugendliche Apps oder digitale Sing-Spiele für ihren Chor oder in der Freizeit verwenden. Erstaunlicherweise wurde diese Annahme nicht bestätigt: Nur 14 % aller Jugendlichen gaben an, chorbezogene Apps zu verwenden; davon eher die über 20-jährigen. Allerdings handelt es sich dabei nicht um chorspezifische Applikationen, sondern vor allem um die App „Sprachaufnahme“ des Smartphones. Es wird vermutet, dass dieses Programm zum Aufnehmen innerhalb von Chorproben verwendet wird oder zum Abspielen von Übe-Tracks.

Auch digitale Sing-Spiele werden nur von etwa 23 % der Personen verwendet, wieder deutlich häufiger von über 20-jährigen und Frauen. Öfters genannt wurden die Spiele „Singstar“ und „Karaoke“.

Welche Implikationen ergeben sich daraus?

Zusammenfassend verweist diese Untersuchung auf die Bedeutung der Förderung im Kindes- und Jugendalter, welche zu einer langjährigen Mitgliedschaft in Chören motivieren. In diesem Sinne wäre es, wie bereits Studien zuvor nahelegen2, ratsam, dafür zu sorgen, dass in Zukunft Zugangschancen für alle Personen unterschiedlicher sozialer Hintergründe geschaffen werden, um eine heterogene Chorsingendengruppe zu ermöglichen.

In den Chorproben ist es zu empfehlen, den Sänger/-innen ein Mitbestimmungsrecht bezüglich Literatur zu gewährleisten und sich als Chorleitende kritisch zu reflektieren (respektvoller Umgang, didaktische Fähigkeiten, Planung von Konzerten etc.).

Für die Forschung bleiben auch nach dieser umfangreichen Erhebung viele Fragen offen, beispielsweise zu den Perspektiven der Chorleitenden, zu unterschiedlichen Arten von Chören (wie Projektchöre, Schulchöre, geistliche Chöre), zum Umgang mit dem Singen in Familien sowie zur Chorliteratur und konkreten Wünschen der Singenden.

1 Pietrangeli, N. (2018). Orchester, Ensembles, Chöre und Mitglieder in Verbänden des Amateurmusizierens. Deutsches Musikinformationszentrum 5/2018. URL: http://www.miz.org/downloads/statistik/49/49-Amateurmusizierenstatistik…, Zugriff am 22.06.2018.
2 Im deutschsprachigen Raum: Kreutz, G. & Brünger, P. (2012). Musikalische und soziale Bedingungen des Singens: Eine Studie unter deutschsprachigen Chorsängern. Musicae Scientiae, 2012, 1–17.

  • Die komplette Studie ist abrufbar unter www.researchgate.net, Suchwort „Chorsingende“
  • Das Team des Mozarteums, Standort Innsbruck arbeitet derzeit an einer Studie über Chorleitende im deutschsprachigen Raum. An der Online-Befragung, die 20 bis 30 Minuten in Anspruch nimmt, kann man online teilnehmen unter: https://www.soscisurvey.de/Chorleiterbefragung/

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