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Martin Valeske. Foto: Burkhard Schäfer
Martin Valeske. Foto: Burkhard Schäfer
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„Hören Sie sich die Musik an!“

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Pfarrer Martin Valeske hat den Spätromantiker und Reger-Zeitgenossen Anton Beer-Walbrunn wiederentdeckt
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Alles begann mit einem Artikel in der oberpfälzischen Tageszeitung „Der neue Tag“. Martin Valeske, evangelischer Pfarrer in Kohlberg, las im Jahr 2009 den Bericht zum 80. Todestag des Komponisten Anton Beer-Walbrunn und wurde sofort hellhörig: Ein oberpfälzischer Tondichter, geboren am 29. Juni 1864 in Valeskes Pfarrgemeinde, der bis zu seinem Tod am 22. März 1929 das Musikleben der Stadt München maßgeblich beeinflusst hatte und dessen Namen gänzlich in der Versenkung verschwunden war?

Valeske beschloss, dieser ungewöhnlichen Musikerbiographie nachzugehen und er tut dies bis heute mit unvermindertem Elan, detektivischem Geschick und viel Erfolg. Zehn Jahre später – und dieses Frühjahr nun passend zum 90. Todestag Beer-Walbrunns – hat der „vergessene Komponist“ dank der unermüdlichen Arbeit des Pfarrers aus Kohlberg seine musikalische Stimme zurückbekommen – und das auf ganz verschiedenen Wegen: Zwei CDs sind mittlerweile beim Label Bayer Records erschienen, eine dritte ist in den „Startlöchern“, seit 2014 werden jährlich die Beer-Walbrunn-Tage veranstaltet und Martin Valeske hat schon viele Transkriptionen der ausgegrabenen Partituren mit Hilfe elektronischer Programme erstellt, indem er die Noten von den Autographen abschrieb. Eine Tätigkeit, die er heute immer noch fortsetzt. Viele Glanzlichter hat Valeskes Spurensuche also schon gesetzt und auch aus dem Leben des Tonsetzers weiß Valeske trefflich und kenntnisreich zu erzählen, denn: „Die Autobiographie, die Beer-Walbrunn unter dem Titel ‚Mein Leben. Keine Dichtung – reine Wahrheit‘ verfasst hat, liegt handschriftlich in der Münchner Monacensia-Bibliothek vor.  In dieser Bibliothek findet sich auch das eigenhändige Werkverzeichnis. Es umfasst ungefähr 200 Titel mit 70 Opera, dazu zahlreiche Werke ohne Opuszahl. Aber auch dabei handelt es sich um sehr schöne, gelungene Kompositionen. Die Werke selbst werden in der Münchner Musikbibliothek, also in der Stadtbibliothek im Gasteig, aufbewahrt.“ Und dort haben die Verantwortlichen Pfarrer Valeske aufgrund seines Ansinnens quasi mit offenen Armen empfangen: „‚Endlich‘, so sagte mir Konrad Foerster, der damalige Leiter der Musikbibliothek‚ interessiert sich mal jemand für Beer-Walbrunn.‘“

Was hat Martin Valeske so sicher gemacht, hier einem wichtigen Komponisten auf der Spur zu sein? „Ich habe mich ja zeitlebens, neben meinem Amt als Pfarrer, auch mit Musik beschäftigt, spielte viele Jahre Violine im Sinfonieorchester Weiden und habe dazu noch Klavier und Oboe gelernt sowie ein D-Examen auf der Orgel obendrauf gemacht. Eine Weile hatte ich sogar mit dem Gedanken gespielt, Musikwissenschaft zu studieren. Kurzum, aufgrund all meiner Erfahrung auf diesem Gebiet bemerkte ich sofort, dass es sich dabei um erstklassige Musik handelt. Und so fragte ich einige Zeit später bei der Leiterin der Weidener Max-Reger-Tage, Petra Vorsatz, an, ob es nicht im Zusammenhang mit den Max-Reger-Tagen einmal zu einer Aufführung von Beer-Walbrunn-Werken kommen könnte. Da bekam ich von ihr die Kontaktdaten des Rodin Quartetts vermittelt. Der zweite Geiger des Ensembles, Gerhard Urban, besuchte mich und ich überreichte ihm die Noten. Mit dabei  war unter anderem das Opus 34, die ‚Shakespeare-Sonette‘. Nachdem Urban sich die Abschriften durchgesehen hatte, rief er mich wieder an, geradezu empört darüber, dass diese Musik bisher noch niemand kennt. Zufälligerweise ist seine Frau Angela Huber Sängerin und konnte den Gesangspart dann übernehmen. Der an diesem Projekt ebenfalls beteiligte Pianist Kilian Sprau unterrichtet unter anderem an der Musikhochschule in München. Alle waren völlig begeistert von den Werken Beer-Walbrunns.“ Mit diesem Elan der Musiker war der Grundstein für die weitere Wiederentdeckung des Oberpfälzers gelegt.

Valeske erzählt weiter: „So kam ich auf die Idee, ein Mal im Jahr in Kohlberg Konzerte mit Werken von Beer-Walbrunn auszurichten. Nachdem am Anfang die Gemeinde half, gründeten wir ziemlich zügig den ‚Kunst- und Kulturverein Beer-Walbrunn‘. Die ersten Beer-Walbrunn-Tage im Jahr 2014 waren an drei aufeinanderfolgenden Tagen und da spielte das Rodin Quartett dessen erstes Streichquartett, dazu noch ein Quartett von Haydn sowie eine Reger-Bearbeitung. Am nächsten Tag war ein Liederabend mit Angelika Huber und Kilian Sprau, am Sonntag noch ein Orgelkonzert mit der großen Orgelsonate und einer Orgelfuge. Bei dieser Gelegenheit hielt ich dann noch einen kleinen Vortrag, um in das Leben Beer-Walbrunns und sein Werk einzuführen. Dieses Jahr, zum 90. Todestag, richten wir die Beer-Walbrunn-Tage also bereits zum sechsten Male aus. Außerdem hat sich die Veranstaltung mittlerweile in der Form etabliert, dass samstagabends Kammermusik oder ein Klavierabend gegeben wird und am Sonntag ein kirchenmusikalischer Gottesdienst stattfindet. Das Resümee, das Martin Valeske nach fünf Jahren Festival ziehen kann, ist mehr als positiv: „Wer zu uns kommt, kommt immer wieder gern und ist begeistert. Wir sind gut besucht. Natürlich wünscht man sich immer, dass das Haus voll ist, aber es ist grandios, dass auf dem Land ein Festival zu Ehren eines vergessenen Komponisten so viel Anklang findet.“

Zuviel Eklektizismus?

Bei all dem Erfolg, hat sich Valeske auch mit den immer wieder aufkeimenden Vorurteilen gegen Beer-Walbrunn beschäftigt: zu viel Eklektizismus, zu wenig Moderne, zu ländlich. Valeske kontert: „Beer-Walbrunn schreibt selbst in seiner Biographie, dass er aufgrund seines Lehrers  Joseph Rheinberger am Ende seiner Ausbildung sehr stark im Eklektizismus steckengeblieben war. Doch es ging für ihn zu dieser Zeit nicht anders, obwohl er immer an anderer Musik Interesse hatte. Aber an seiner Akademie war die Beschäftigung damit nicht erlaubt. Die Schüler mussten sich heimlich mit französischer, russischer, neuerer deutscher Musik vertraut machen. Für Rheinberger hörte eben die Musik bei Beethoven auf“, erzählt der Kenner Valeske, „aber Beer-Walbrunn, dem schon zu Lebzeiten aufgrund seines großartigen Könnens vorausgesagt wurde, als eine Konkurrenz zu Strauss gehandelt zu werden, hat sich sehr für Kollegen wie Liszt oder Wagner interessiert.“

Neben Rheinberger waren noch Ludwig Abel und Hans Bußmeyer seine Lehrer an der Akademie der Tonkunst in München gewesen. Zwischen 1891 und 1901 war Beer-Walbrunn als freischaffender Künstler tätig und in dieser Zeit sind viele Werke entstanden, die er selber dirigiert oder am Klavier begleitet hat. Im Schwabinger Atelier wurden seine Werke damals mit Begeisterung aufgenommen. Zum „ernsthaften“ Konkurrenten für Richard Strauss konnte er sich in der Musikwelt Zeit seines Lebens aber nicht wirklich entwickeln, was der Qualität seiner Musik aber keinerlei Abbruch tut. Denn, so Valeske: „Es stimmt nicht, dass in Beer-Walbrunns Musik nicht ein einziger moderner Ton zu vernehmen sei. Er wurde nur immer in der Musikwelt zurückgedrängt. Ich denke, man hat von Anfang an seine dörfliche Herkunft als Makel angesehen. Strauss hatte einen berühmten Vater, der Berufsmusiker war, das konnte Beer-Walbrunn nicht vorweisen. Er kam vom Land, von der Volksmusik her, deshalb findet sich in seiner Musik ein volkstümlicher Klang, der auch ins Ohr geht, was ja nichts Negatives ist. Keine so schwere Kost wie bei Max Reger, auch wenn er im Kompositionsstil Reger teilweise schon ähnlich war, gerade in Sachen Kontrapunktik. Obwohl Beer-Walbrunns große musikalische Begabung schon früh im Kindesalter entdeckt und gefördert wurde, hatte sich sein Vater, der Lehrer, Kantor und Mesner Anton Walbrunn, strikt gegen die Berufung des Sohnes gestellt, Musiker zu werden – obschon es der Vater selbst war, der ihn einst in Klavier, Violine, Horn, Cello und Orgel unterrichtet hatte. Allerdings – und dies erinnert an Lebensläufe wie Schopenhauer oder Nietzsche – ermöglichte der frühe Tod des Vaters die Musikerlaufbahn am Ende doch. „Trotzdem musste er beklagen, dass er wegen seines Vaters nicht schon früher in das Konservatorium kam – weil er Jahre verloren hatte und deshalb lange Zeit benötigte, um alles nachzuholen.“

Kolossale Orgelsonate

Sinfonien, Burlesken, Kammermusik und Opern: von Anton Beer-Walbrunn gibt es noch viel, was der (Wieder-)Entdeckung harrt und, wie Valeske betont, auch nach und nach den Weg auf die Silberscheibe finden soll. Zwei CDs sind, wie gesagt, bereits erschienen, und was darauf zu hören ist, weist Beer-Walbrunn tatsächlich als einen erstklassigen Komponisten auf der Höhe seiner Zeit aus: Die mit knapp 40 Spielminuten wahrhaft monumentale Orgelsonate in g-Moll op. 32 aus dem Jahr 1906, ein Meilenstein der Gattung, die Beer-Walbrunn keinem Geringeren als Karl Straube widmete – der sie bewunderte und als „kolossal“ bezeichnete – steht in ihrer gedanklichen Tiefe, handwerklichen Meisterschaft und kontrapunktischen Verdichtung den großen Orgelwerken von Max Reger in nichts nach. Der Organist Hanns-Friedrich Kaiser bringt die Qualitäten der Musik an der Max-Reger-Gedächtnisorgel (Michaelskirche Weiden) kongenial zum Ausdruck. 

Auch als Liedkomponist spielt der Oberpfälzer in der Ersten Liga, was vor allem in den zwei Teilen der „Shakespeare Sonette“ op. 34 zum Ausdruck kommt. Schon die Zeitgenossen erkannten den Wert der insgesamt zehn Lieder: „Einer der großartigsten lyrisch-dramatischen Zyklen der neueren deutschen Musik“, urteilte Wilhelm Zentner, und man kann ihm nur beipflichten. In der Tat bilden Text und Musik in diesem Zyklus eine derart homogene Einheit, dass man – vor allem angesichts der Qualität der literarischen Vorlage, an die Beer-Walbrunn sich hier herangewagt hat – nur staunen kann. Dass diese Lieder der Vergessenheit anheimfielen, will man, hört man die intensive und einfühlsame Aufnahme mit Angela Huber (Sopran) und Kilian Sprau (Klavier), einfach nicht glauben.

Welche Werke „seines“ Kohlberger Komponisten liegen Valeske besonders am Herzen? „Die einst erfolgreiche Violinsonate op. 30, die voraussichtlich bei den Beer-Walbrunn-Tagen 2020 zur Aufführung kommt, das grandiose späte Klavierquintett, für das ich noch Musiker suche, die tolle E-Dur-Sinfonie op. 36 und die drei Burlesken nach Josef Ruederers Komödie ,Wolkenkuckucksheim‘ op. 40.“ Elektronisch erfasst habe er aber längst noch nicht alle großen Kompositionen von Beer-Walbrunn, ergänzt Valeske mit einem Seufzer. „Die Liste der Wiederentdeckungen, gerade auch in Sachen potenzieller CD-Veröffentlichung, könnte also länger werden. Langfristig ist das aber alles auch eine Kostenfrage.“

Martin Valeske möchte sich auch in den nächsten Jahren – und verstärkt in seinem Ruhestand – um den „zu Unrecht vergessenen Komponisten“ kümmern. Dass es sich lohnt, daran zweifelt er keine Sekunde: „Beer-Walbrunns Musik ist auf der einen Seite volkstümlich, auf der anderen Seite muss man sich reinhören. Das geht auch mir so. Man nimmt immer wieder neue Feinheiten wahr. Er schrieb eine Musik von großer emotionaler und geistiger Tiefe, die sich teilweise nicht sofort erschließt. Das war sicherlich auch einer der Gründe, wieso seine Werke nicht sofort die ihm gebührende Anerkennung gefunden haben: Sie sind nicht jedem sofort zugänglich. Da muss man intensiv zuhören. Wer berieselt werden will, für den wäre es zu anstrengend. Ich kann nur jedem raten, hören Sie sich Werke von Beer-Walbrunn an, beschäftigen Sie sich damit! Man wird von der Tiefe dieser Musik angesprochen; jedenfalls all diejenigen Zuhörer, die sich dafür öffnen.“

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