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„Ich bin einfach Musiker und Hobbyelektroniker“

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Prof. Ulrich Nicolai feiert seinen 70. Geburtstag
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Ob in China, Amerika oder Europa: Prof. Ulrich Nicolai hat durch sein Wirken schon viel erlebt und kann auf einen reichen Erfahrungsschatz zurückblicken. Zu seinem 70. Geburtstag hatte die nmz die Möglichkeit, ihm persönliche Fragen zu seinem Leben als Dirigent und Pädagoge zu stellen und ihn aus dem Nähkästchen plaudern zu lassen.

neue musikzeitung: Wie kamen Sie von den anfänglichen Studien in Mathematik und Physik zur Musik?

Ulrich Nicolai: Für mich war Musik immer sehr wichtig. Bereits mit vier Jahren erhielt ich meinen ersten Klavierunterricht. Doch natürlich will man erst einmal was „Solides“ machen, daher kam ich dann zu den Naturwissenschaften, weil ich davon auch immer schon fasziniert war. Aber ich habe schnell gemerkt, dass ich ohne Musik nicht kann und nicht glücklich werde. Also habe ich mit dem Schulmusikstudium in Frankfurt begonnen und bin so dann zum Dirigieren gekommen.

nmz: Und Sie meldeten sich zu Kursen bei Größen wie Carl Melles und Herbert von Karajan an?

Nicolai: Als Dirigierstudent kam man damals erst relativ spät vor ein Orches­ter; das ist heute wesentlich besser. Es machte für mich keinen Sinn, zu studieren, ohne die Praxis je erlebt zu haben. So habe ich mich zu Kursen angemeldet.

nmz: Würden Sie sagen, dass Sie dadurch auch geprägt wurden?

Nicolai: (lacht) Ich erinnere mich noch an meine erste Begegnung mit Karajan: Er, in nachtblauem Hemd mit schwarzer Hose und Sonnenbrille. Für uns Studenten hatte er etwas Unnahbares. Doch seine Arbeit mit dem Orchester war faszinierend und hat mich tief beeindruckt.

nmz: Was begeistert Sie daran, Opern und Konzerte zu dirigieren?

Nicolai: Ich glaube, jeder Dirigent will beides, zumindest ich wollte das. Ich habe als Korrepetitor am Theater angefangen und die Werke am Klavier mit den Sängern einstudiert. So lernt man die Opern gründlich kennen, bevor man sich dann auf einmal vor dem Orchester wiederfindet. Meine erste Orchesterprobe war gleichzeitig meine erste Aufführung (lacht). Die Arbeit mit Sängern und Orchester in der Oper ist natürlich auch immer etwas anderes als die Arbeit nur mit einem Orchester bei Konzerten. Im Theater muss ich zunächst als Dirigent den ganzen Laden zusammenhalten und den Abstand zwischen den Sängern auf der Bühne und den Musikern im Orchestergraben überbrücken. Bei einem Konzert ist das einfacher, sodass ich da freier agieren kann.

nmz: Wie fühlt man sich bei Ur- und Erstaufführungen, sei es in der Oper oder im Konzert?

Nicolai: Man geht immer zuerst mit Interesse ran. Dann habe ich mal „Glück“ und das Stück liegt mir oder habe „Pech“ und es ist nicht so meins (lacht). Eigentlich ist es jedes Mal das höchste Ziel, mit der Musik so vertraut zu werden, dass man sich damit identifizieren kann; das sind dann manchmal unglaubliche Glücksmomente. Aber so ist es natürlich nicht immer.

nmz: Ihre Tätigkeit als Dirigent hat sie weit um den Globus gebracht. Gibt es Unterschiede in den Ländern?

Nicolai: Es gibt Eindrücke, die bleiben immer: So bei meiner ersten China-Tournee 1999. In Peking waren noch überall Fahrräder, wie man es aus den alten Filmen kennt. Die Atmosphäre beim Konzert war eher „locker“ und die roten Socken des Konzertmeisters werde ich nie vergessen (lacht). Doch seitdem hat sich sehr viel getan. Ebenso wie in Chile, wo ich als junger Dirigent meine ersten Auslandserfahrungen sammeln konnte. Damals war es eine tolle Chance, als junger Dirigent vor einem Orchester in Südamerika zu stehen. Heute wäre das, frisch von der Hochschule kommend, so sicher nicht mehr möglich.

nmz: Sie sind ein Tausendsassa: Von Physik und Mathe über ein Schulmusikstudium mit Dirigieren, Klavier und Komposition zur Musikwissenschaft. Was geben Sie Ihren Studenten heute mit?

Nicolai: Ich bin einfach ein Musiker, der aber auch andere Interessen hat. Für mich ist die Musik der wundervollste Beruf, den man sich vorstellen kann. Und das möchte ich meinen Studierenden vor allem vermitteln. Doch es ist nicht immer alles so einfach. Man soll Träume haben, aber es sich nie bequem machen. Ich habe den Umweg über die Naturwissenschaften gemacht, um für mich zu merken, dass ich zu hundert Prozent hinter der Musik stehe. Die Begeisterung für Musik muss aber gepaart sein mit einem gewissen Sinn für Realität, sonst schafft man es in dem harten Business nicht.

nmz: Gibt es für Sie auch noch andere Hobbys neben der Musik?

Nicolai: Lesen! Ich lese viel und gerne, alles was mich interessiert. Außerdem bin ich Hobbyelektroniker (lacht). Nicht das moderne Zeug, wie heute, aber ich baue zum Beispiel Kurzwellenradios. Da sehe ich dann, was ich mit meinen eigenen Händen geschaffen habe. Außerdem liebe ich es, Rad zu fahren, zu schwimmen und zu laufen. Nur der Garten ist nicht so meins: Ich liebe die Natur, lasse ihr aber ihre Ruhe. Den Garten betreut meine Frau, die ein großes Talent dafür hat.

nmz: Wenn Sie zurückblicken, was würden Sie noch erleben wollen?

Nicolai: Eigentlich nichts Besonderes. Wenn ich sehe, wie es in der Welt zugeht, kann ich nur große Dankbarkeit dafür empfinden, wie privilegiert ich leben darf. Und als Dirigent habe ich die meisten Werke, die ich gerne dirigieren wollte, auch dirigieren können.

nmz: Beenden Sie die drei Sätze: Dirigieren ist für mich…?

Nicolai: … die Möglichkeit, meine Vorstellungen einer Komposition den Musikern zu vermitteln; und ein unglaubliches Erlebnis (lacht).

nmz: Wenn ich könnte, würde ich … anders machen?

Nicolai: Kann ich kaum sagen. Alles hat sich gut gefügt.

nmz: Zeitgenössische Musik …?

Nicolai: … ist irgendwann alte Musik.

Interview: Madlen Poguntke

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