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Hans-Joachim Hespos wird 80 (siehe auch den Buchtipp auf Seite 14). Foto: Rainer Koehl
Hans-Joachim Hespos wird 80 (siehe auch den Buchtipp auf Seite 14). Foto: Rainer Koehl
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Immer wieder neuAnders

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Ein Interview mit dem Komponisten Hans-Joachim Hespos anlässlich seines 80. Geburtstages
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Am 13. März wird Hans-Joachim Hespos, das immer noch große Enfant terrible der Neuen Musik, 80 Jahre alt. Zeit und Anlass, zurückzublicken, was Ute Schalz-Laurenze zusammen mit ihm getan hat.

neue musikzeitung: Sie sind jetzt 80 Jahre alt, Zeit für Reflexion in jeder Hinsicht. Ich darf mit einem Zitat von Ihnen beginnen: „weitermachen – oder wie Adorno gesagt hat, Dinge tun, von denen wir nicht wissen, was sie sind, welchen Sinn das alles hat. Wir müssen einfach weitermachen. In der Hoffnung, dass die Neugierde nicht stirbt und das Erstaunen nicht aufhört“. Das ist Ihr künstlerisches Motto, das sich vom ersten Ton an bis heute nicht verändert hat. Ich würde von Ihnen gerne wissen, welche historischen Werke oder Komponisten Sie beeindruckt, vielleicht auch beeinflusst haben?

Hans-Joachim Hespos: Vieles, sehr vieles. Historie aus allen Ecken. Jazz, außereuropäische Quellen aus aller Welt und aus allen Zeiten: vieles punktuell, aber nicht minder stark und die Begegnung mit dem Frühwerk Schönbergs und entsprechend auch Weberns. Was mich stets sehr anregt, sind Malerei und Naturwissenschaften.

nmz: Können Sie ein Beispiel nennen?

Hespos: Schriften des Nobelpreisträgers Manfred Eigen, der in Weiterführung jener erhellenden Studie „Zufall und Notwendigkeit“ eines Jaques Monod die genetischen Mechanismen bis in kleinste Entstehungsprozesse des Lebens entschlüsselt hat, besonders Erwin Schrödinger, der geniale Quanten-Physiker, mit seinen faszinierenden Innovationen. Das ist an-/aufregend für ein sich stets erneuerndes Verständnis von Schwingung, von Klang und ihren Gestaltprozessen.

nmz: Können Sie sich erinnern, was oder wer bei Ihnen den Entschluss, professionell zu komponieren, sagen wir mal gepuscht hat – innerlich und/oder äußerlich? Zum Zeitpunkt des ersten Werkes Ihres Werkverzeichnisses, 1964 „für cello solo“, waren Sie 26 Jahre alt, Sie hatten ja immerhin einen Beruf und schon zwei Kinder.

Hespos: Früh begann ich, das Geigenspiel zu erlernen, trat bald schon solis-tisch auf und begann, Kammermusik zu spielen. So habe ich im Laufe der Jahre die ganze Breite dieser Literatur von Purcell bis Schönberg durchlebt. Mit etwa zwölf Jahren begann ich, spontan und unbekümmert eigene Melodien, eigene musikalische Vorstellungen aufzuschreiben und autodidaktisch weiterzuentwickeln, immer stärker begleitet von intensivem Studium der großen Meister, ihrer Partituren, Schriften und Durchhören ihrer Musiken in mustergültigen Schallplattenaufnahmen. Dieser Impuls unaufhörlichen Lernens hält bis heute an: immer wieder neuAnders. Kunst ist das Feld immer neuartiger Fantasien, das Feld völliger DenkTaten-Freiheiten, stets gepaart mit gleichgewichteter Verantwortung.Doch auf solch einsamem Weg aus dem Ostfriesischen braucht es auch immer wieder Glück, das Glück der Umstände, der Begegnungen, Erlebnisse … Und solches Glück habe ich bis jetzt reichlich erfahren dürfen. Im pädagogischen Studium nach dem Abitur traf ich auf den schneidscharf denkenden Kunstprofessor Reinhard Pfennig, der mir schlagartig die Welt der modernen bildenden Kunst eröffnete. Ich traf den als pädagogische Hilfskraft angestellten fabelhaften Pianisten und Maler Max Herrmann, ein unruhevoller Anreger, mit dem mich lebenslange Freundschaft verband. So habe ich vor allem und immer wieder auch von Malern gelernt, haben doch Nur-Musiker zumeist allzu enge Vorstellungen von Musik und viele junge Komponisten heute zumeist leider gar keine mehr. 1964 erstmals bei den Darmstädter Ferienkursen für neue Musik als Stipendiat des Deutschen Musikrates … Ligeti erläuterte seine gerade entstandenen „Aventures“, und Siegfried Palms faszinierende Aufführung von Drei kleine Stücke für Violoncello und Klavier op. 11 von Webern regte mich begeistert an zur Komposition „für cello solo“.

nmz: Und Ihren Lehrerberuf?

Hespos: Nun ja, mein Lehrerberuf, der nach schwierigem Anfang mich immer mehr begeisterte. Gemeinsam mit jungen Menschen Wege der Kenntnisse, Erkenntnisse und neuen Erfahrungen zu gehen, ihnen dabei ihre Fähigkeiten entdecken zu helfen und durch Fertigkeiten zu bestärken, ist eine tolle Aufgabe. Dieses vielfältige Fordern/Fördern ist auch das, was sich in meinen Partituren abzeichnet: immer wieder neuAnders; denn es sind die Schwierigkeiten, die uns weiterführen, nicht die Leichtigkeiten – „cool“, „easy“ und „smart“ bringt um. Die Mitbegründung einer integrativen Versuchsschule für Hauptschüler, die sie zur Fachoberschule führte, mit dem Fachabitur abschließen ließ und ein Fachstudium eröffnete, ermöglichte unserem pädagogischen Team, Schule nach neuem, eigenem Gusto mit hohem Anspruch zu gestalten. Außerdem wurde ein offener stets einjähriger Kurs eingeführt, in dem man ohne Ansehen von Herkunft und Alter den Hauptschulabschluss machen konnte. Ein Novum in damaliger Zeit. Diese neuen Prozesse, die andere Methoden und Praktiken zur Folge hatten, gerieten für Schüler und bei Eltern derart erfolgreich – immerhin wurde der gesellschaftlich eingerichtete Unterschied zwischen Oben–Mitte–Unten aufgelöst! –, dass die Sache zum Politikum geriet und „unsere“ innovative Schule nach acht Jahren von der Regierung zerschlagen wurde. Für mich war das mitentscheidender Auslöser, nach 20 Jahren aus dem niedersächsischen Schuldienst auszuscheiden und in die künstlerische Selbständigkeit zu gehen. Der Auftrag des Oldenburgischen Staatstheaters, zum 125. Jubiläum des Hauses eine zweistündige Oper zu schreiben („itzo-hux“), brachte just dazu die willkommene finanzielle Unterstützung. Der Lehrerberuf, den ich neben meiner Kompositionsarbeit ausübte, hatte mich auch künstlerisch frei entwickeln lassen: keine faulen Kompromisse, kein Schielen auf Erfolg und Geld. Heute begeht man den Fehler, allzu jung und früh von künstlerischen Arbeiten leben zu wollen.

nmz: Ihre „Karriere“ begann zu explodieren …

Hespos: Ja, 1967 überschlagen sich die Ereignisse: Kompositionspreis der Stiftung Gaudeamus. Hans Otte erteilt den ersten Kompositionsauftrag („Endogen“) für sein pro musica nova-Festival von Radio Bremen. Der Dirigent des Rheinischen Kammerorchesters Köln, Thomas Baldner, bestellt eine Komposition für Saxophon und Streichorchester („Dschen“). Heinz-Klaus Metzger schreibt den großseitigen Artikel in der damals linksgerichteten Zürcher „Weltwoche“ mit dem Titel „Einspruch des Subjekts“. Ein Jahr später: 1. Preis für Komposition der Fondation Royaumont, Paris, der Uraufführungsskandal mit „Break“ beim Weltmusikfest der IGNM in Hamburg. Danach Aufträge, Aufführungsreisen durch Deutschland, Europa, Nord- und Südamerika, Villa Massimo, Japan, Israel …

nmz: Sie sind bis heute in keinem Verlag, machen alles, aber auch wirklich alles selbst. Was war der Anlass für diese Entscheidung und wie hat sich die damalige Einschätzung in den letzten 50 Jahren verändert, verbessert oder verschlimmert?

Hespos: Da will man ‚hespos‘ bis heute nicht; denn ‚hespos‘, das bedeutet keine digitalisierten Schreibprogramme, sondern Handschrift, keine Kopier-CDs, keine Einzelstimmen, sondern das Herstellen von jeweils kompletten Stimmen-Partituren. In meinen Werken, auch für Orchester und Oper, spielen stets alle Beteiligten aus kompletten Partituren. Das macht Arbeit und kostet. Verlage hingegen wollen verdienen. Es war der Wiener Hans Wewerka, der mich unerschrocken 1967 in seine Münchner Edition Modern aufnahm. Bis 1978 haben wir beiden ‚Verrückten‘ abenteuerlich gut zusammengearbeitet. Dann, nach genügender Erfahrung, wollte ich auch in diesem Bereich meine Eigenständigkeit.

nmz: Trotz Ihres geradezu besessenen Suchens und Verfolgens des Neuen, das Sie so konsequent entwickelt haben wie kein zweiter Komponist, durchzieht Ihr Gesamtwerk auch die Reflexion historischer Gattungen. Am wichtigsten ist dabei wohl die Oper. Was ist an dieser Gattung für Sie so faszinierend? Auch in den Untertiteln beziehen Sie sich ja oft auf die Gattungsgeschichte.

Hespos: Oper, ein Tat-Ort vielfältiger Zusammenarbeiten: Maul, Musike, Dinge, Handwerk, Optik, Licht, Farben, Aktion, eine vieldimensionale Puzzle-Palette, ein faszinierendes Kaleidoskop an Ausdrucksmöglichkeiten, wobei ich Literatur und Wortlereien in unserer aktuellen Zeit der Fakes und permanenten Lügenworte konsequent ausschließe. Es geht um Großerweiterungen von Musik, was sie nicht bemerken – unsere kümmerlichen Modernsky/Fäkal-Regisseure, die Wahrnehmung von Musik zer/stören. Vermeintlich „außermusikalische“ Dinge sollten auf die Ebene von Musik gehoben werden! Literatur gehört ins Schauspiel, Aktualitätengeplapper in die Gazetten, Moralbekenntnisse in den Beichtstuhl.

Wohl-UN-an-ständigkeiten

nmz: Wie beschreiben Sie Ihre Faszination für den italienischen Belcanto, dem Sie ja in vielen Werken einen Ausdruck verliehen? Zum Beispiel in der Arie der Virgina in „Itzo-Hux“ und auch in Ihren letzten drei Stücken, wo der Sopran im Fokus steht, ich denke auch an die pianissimo-Arie in „iOPAL“. Und Ihre Interpretationsanweisungen dazu können als perfekte Studiengrundlage für den Gesangsunterricht angesehen werden.

Hespos: Das Maul wird so hoch differenziert eingesetzt, da ist kein Platz mehr für Text. Belcanto sensibilisiert den Gesang und umfasst große Spannen … Callas, Holiday, Panzera, Armstrong …

nmz: Sie haben in „spil“ viele Zitate von Donizetti: Um was geht es da?

Hespos: Um Edelparty, um dirty-Exzess unserer satten Wohl-UN-an-ständigkeiten, um Zerfall und eine Morbidezza, die ich auch aus seinen Musiken höre. So werden süßeste, geradezu klitorale Momente aus seiner Kannibalen-oper „Il furioso all’isola di San Domingo“ als delikate Farben eingeflochten.

nmz: Ich möchte noch die Bedeutung der Musikinstrumente ansprechen: Sie verweisen mit Curt Sachs’ „Wesen und Werden der Musikinstrumente“ auf deren archaische Herkünfte und Bedeutungen. Zugleich haben Sie aber immer auch nahezu verschwundene Instrumente wieder hervorgeholt, wie das Bassetthorn beispielsweise oder die Hoch-As-Klarinette, das Contrabass-Sarrusophon, die Bassposaune et cetera, aber auch Trumscheite, Businen, also „Volksinstrumente“ wie das Cimbalom oder auch Alphörner. Das Tárogató, das Euphonium, und und und … Hat sich das in 50 Lebensjahren verändert? Geht das immer weiter? Wir treffen auf „Kreischlache“, den „Materialsack“ oder auch auf den „Improvisierschrank“.

Hespos: Auch hier geht es immer wieder um Erweiterung. Es sollte vornehme Aufgabe von Komponisten und Interpreten sein, den Noch-Reichtum unserer wunderbaren Kulturinstrumente zu bewahren und mit faszinierenden Neuschöpfungen zu erweitern. Vor kurzem noch habe ich ein Werk für Lupophon geschrieben. Leider haben von alledem die meisten meiner Kollegen keinerlei Ahnung. Wer hat denn schon einmal den wunderbaren Klang einer Heckelphonklarinette gehört!

Macht Dinge, die ihr nicht könnt … und hört nicht auf zu lernen!

nmz: Noch eine Frage zu den Verbalanweisungen in Ihren Partituren, von denen Ludolf Baucke bis 1981 schon um die 2.500 sich nie wiederholende Vorschriften aufgelistet hat. Während man „sich andickende Hektik“ und „ins locker flockige sich lösend“ und von „schrill aufkreischender Fürchterlichkeit (das zudem noch präzisiert wird durch „knarrender Schrillriß in beißender Verklirrung“), durchaus vorstellen kann, dürften „extrem heißes dichtGELÄRM“ und „protuberante ZERRschleuderungen oder „unvorhersehbare Einschlüsse von Blubbs (pulsgeklump dumpf/ schroff aufplatzend)“ schon schwieriger zu gestalten sein. Geht so etwas immer weiter ins Utopische, am Ende gar nicht mehr Machbare? Sind „visionäre nachklang-gemischte Flatterungen“ dann noch erreichbar?

Hespos: Nein, nein. Das hat nichts damit zu tun. Diese Dinge entstehen unvorhersehbar im Moment des Komponierens spontan mit der Klangvorstellung, die sich anders nicht präzisieren lässt. Metzgers Hinweis auf die „Unmöglichkeit, Musik notieren zu wollen“, scheint da auf.

nmz: Was ist die Wirkung von Musik?

Hespos: Sie trifft! Und braucht keine Vermittlung.

nmz: Was muss sich ändern im Musikbetrieb heute?

Hespos: Man ist dabei, „Musik“ abzuschaffen. Besser sollte man an Schulen und Hochschulen grassierende Verdummungen abschaffen.

nmz: Sie haben viele Initiativen an Ihren Wohnorten gestartet, seit fast 50 Jahren „Neue Musik in Delmenhorst“, immer am 11. November. Dann aber auch Initiativen, die mit Fremdberufen zusammen angefangen haben: die „Kulturreibe, Zentrum aktueller Taten“, die „Wiese GmbH, inspirierendes feld für erprobungen“, die UMAC, „Universitäre Manufaktur Composition“. Wozu?

Hespos: Um mein gesellschaftliches Umfeld anzuregen, zu beleben …!

nmz: Was bedeutet Ihnen die Einrichtung des „hespos archivs“ an der Berliner Akademie der Künste?

Hespos: Die willkommene Einsehbarkeit in meine Arbeit, in meine Werke für eine interessierte Öffentlichkeit.

nmz: Was sagen Sie heute jungen Leuten, besonders denen, die komponieren wollen?

Hespos: Macht Dinge, die ihr nicht könnt … und hört nicht auf zu lernen!

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