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Otto Katzameier brillierte in der Rolle der/des Dominique. Foto: S. van Loon
Otto Katzameier brillierte in der Rolle der/des Dominique. Foto: S. van Loon
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In Pampers zum Inferno

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Szenische Uraufführung von Moritz Eggerts Oper „Freax“ in Regensburg
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Die Produktion von Moritz Eggerts Oper „Freax“ im Herbst 2007 im Rahmen des Internationalen Beethovenfestes Bonn endete im Eklat. Nach der Regieverweigerung Christoph Schlingensiefs wurde die Oper konzertant uraufgeführt, mit einem Film Schlingensiefs als Pausenkommentar.

Gut neun Jahre später ging nun die szenische Uraufführung der Oper nach einem Libretto Hannah Dübgens in Regensburg über die Bühne. Der dortige Intendant Jens Neundorff von Enzberg war 2007 Dramaturg in Bonn gewesen. Dirigent Tom Woods hatte die Partitur zusammen mit dem Komponisten an die Regensburger Kapazitäten angepasst. Regie führte Hendrik Müller, der das Konzept des erkrankten Jim Lucassen übernahm, wonach die eigentlich im Zirkusmilieu angesiedelte Handlung in eine Pflegeheim für alternde und demente Künstler verlegt wurde.

Ein Gewitter von Lichtblitzen, Glitter und Glamour. Dahinter – die Tristesse eines Hauses für alternde, demente und unförmige Schauspieler. Bei der szenischen Uraufführung von Moritz Eggerts Oper „Freax“ am Theater Regensburg wurde nicht mit starken Effekten, schnellen Wechseln und Drastik gespart. Vordergründig oder gar oberflächlich war die zwischen beißender Satire und verzweifelter Sehnsucht changierende, zupackende Inszenierung eines schwierigen Themas dennoch in keiner Weise. Worum geht’s? Um Ablehnung und Abscheu, Begehren und Illusionen, um Gier und Geld – und natürlich um Liebe und Verzweiflung, die sich zur Raserei steigert. Ein optimaler Cocktail an Ingredienzien für großes Theater – und eine Welt, die sich heute wieder mehr denn je als solches gebärdet.

„Freax“, die Schreibweise ist der Abgrenzung zum gleichnamigen Film „Freaks“ von Tod Browning aus dem Jahr 1932 geschuldet, auf den sich die Oper bezieht, und Reminiszenz an die 68er-Ideale vom Anderssein. Missgebildete oder andersartige Menschen wurden bis weit ins 20. Jahrhundert hinein in Shows und Zirkussen ausgestellt. Vorgeführt als das Andere, von dem man sich abgrenzen konnte und gleichzeitig fasziniert war. In der Hippiebewegung deutete man den Begriff um. Langhaarige, Drogenkonsumenten und andere, die aus bürgerlichen Zwängen und Normen ausbrechen wollten, bezeichneten sich selbst als „Freaks“, parallel zu Afroamerikanern, die stolz ihr Schwarzsein herausstellten. Einige Jahre später bezeichneten sich Körperbehinderte selbstbewusst als „Krüppel“. Von all diesen und anderen, die heute verstärkt und zunehmend wieder ausgegrenzt werden, handelt Eggerts Oper. Weil aber heute eine Conchita Wurst in vielen Kreisen – zumindest vordergründig – als Normalität angesehen wird und andererseits missgebildete Körper kaum mehr auftauchen, weil diese Menschen in Heimen oder Werkstätten stecken und Normalität strikt zur Norm geworden ist, müssen nicht unbedingt Zwerge und siamesische Zwillinge – wie im Film – die Bühne bevölkern. Um die Fantasie der Zuschauer nicht zu überfordern, rutscht Franz (Matthias Laferi) in der anfänglichen Showszene dennoch in umgeschnallten Stiefeln auf Knien über die Bühne, während seine Lea (Vera Semieniuk) als verwirrte Alte tölpelhaft umherstolpert. In blödsinnigen, Wagner’schem Schwulst nachempfundenen Dialogen singt der den nordischen Krieger Horst verkörpernde Franz (Tenor) davon, dass er „ins Feuer geht, um Feuer zu entfachen!“. Wenn der Vorhang aus glitzernden Lamettalamellen hochfährt, stehen die beiden im tristen Heimzimmer. Sie steigen aus ihren Bühnenklamotten, hoffen auf bessere Zeiten und werden lobhudelnd vom Direktor der Show betätschelt, der sich abwendend rasch die Hände wäscht.

„Freax“ - szenische Uraufführung der Oper von Moritz Eggert from Die Bildmischer on Vimeo.

 

Die Disposition ist gesetzt: Hier die nach Geld und Ruhm gierende Welt des Direktors (Steven Ebel) und anderer Normalos, wie Conferencier Hilbert (großartig Matthias Wölbitsch), die geile Oberschwester Isabella (Michaela Schneider), Techniker und aufreizend gekleidetes Pflegepersonal (Chor). Auf der anderen Seite die voller Träume, Wünsche und Zweifel steckenden „Freax“, die zwar den Kern der Shows bilden, von den Normalen aber verachtet und ausgenutzt werden. In einer Reihe kurzer Szenenbilder werden die/der intersexuelle Dominique (Otto Katzameier) mit seinen unerfüllten Sehnsüchten, die kratzbürstigen siamesischen Zwillinge Anne-Marie (Theodora Varga) und Marie-Claire (Ruth Müller) und andere vorgestellt. Isabella umgarnt Franz, der sich in sie verliebt hat. Währendessen lässt sie sich aber in herrlich ironisch anmutenden Szenen vom hinreißend gespielten und gesungenen Hilbert – „Was für ein Körper!“, „Was für ein Mann“– vögeln. Es ist eine bizarre Welt voller Kitsch, Skurrilitäten und Monstrositäten, die sich aus den Handlungen und Verhaltensweisen ergeben. Andeutungen finden sich in den possenhaften Kostümen (Marc Weeger). Eine Welt, die den „Freax“ immer wieder übel mitspielt und in der Lea von Albträumen heimgesucht wird. Sie durchschaut Isabellas böse Pläne – den vermögenden Franz zu heiraten und um die Ecke zu bringen. Dominique zerbricht als erste an der schroffen Zurückweisung und kaltblütigen Verhöhnung, die ihm entgegenschlägt. In einer atemraubenden Szene singt und spielt er seine Verzweiflung in einer anrührenden Arie, wobei er permanent zwischen Kopf- und Bruststimme und damit zwischen den beiden Geschlechtern hin und her wechselt.

Hoffnungslos im Elend versinkend, wendet er/sie seine Kraft selbstzerstörerisch gegen sich, während daneben die rauschende Hochzeitsfeier von Franz und Isabella weitergeht. Doch auch da deutet sich schon ein tragisches Ende an, als die Stimmung im fortgeschrittenen alkoholisierten Stadium kippt und bedrohliche Züge annimmt. Immer aggressiver fordert der Chor Isabella auf, über einen Schluck aus einem Kelch mit der Spucke aller den Bund zu besiegeln. Das bildet sich auch musikalisch in dumpfen Trommelschlägen auf den Toms und drohend-drängenden Klängen ab. Immer mehr spitzt sich die Situation zu, läuft auf einen erstickenden Blutrausch zu. In einem grotesken Kettensägen-Massaker wird Isabella von ihrem Geliebten Hilbert, der sich ihren Mordplänen widersetzt, verstümmelt. Nach ihrer Entlassung aus dem Krankenhaus bittet sie ihren einst selbst verachteten Mann Franz um Verzeihung. Sie gehört jetzt selbst zu den „Freax“, wird aber von Franz abgewiesen. „Verschwinde, elendes Geschwür. Du ekelst mich an“, schleudert ihr der verratene Gatte entgegen.

Im Film war das die Szene, als am Ende der Erzählung über die schöne Artistin die Kamera über die Brüs­tung einer Manege schwenkt und ein flehentlich krähendes Wesen ohne Gliedmaßen in Blick nimmt. Schreiend fällt eine Zuschauerin in Ohnmacht. Die schillernde und durchgehend überzeugende Inszenierung von Hendrik Müller von Eggerts Oper endet hoffnungs- und erbarmungslos in einem Inferno von Feuer, Rauch und Tod von Shakespeare’scher Dimension. Entfacht von einem zutiefst verletzten Rachsüchtigen in Pampershosen für inkontinente Erwachsene, der nicht die Kraft und Größe hat, zu seiner ersten Liebe Lea zurückzukehren. Aus einer durchaus amüsanten Groteske ist eine verheerende Tragödie geworden, die durch Hilberts letzten Hinweis auf „die kommende Fortsetzung“ noch einmal ins Absurde getrieben wird.

Eggerts Musik entspricht diesem Sammelsurium an Ideen, Stimmungen und blühenden Schwenks zwischen Komik und Tragik. In der ersten Hälfte wird das Überbordende musikalische Geschehen mit Anspielungen und Reminiszenzen an Wagner, Beethoven, die Comedian Harmonists, Jazz und Was-noch-alles manchmal fast zuviel. Im zweiten Teil, der mit einer absurden Abendmahl-Szenerie der in schmutziggelbes Licht getauchten Hochzeitsgesellschaft beginnt, wirkt die ungeheuer dichte und fesselnde Musik, trotz ihrer Fülle und Vielfalt, zielgerichteter, stringenter. Da klingen Trommelwirbel wie Zirkusmusik auf, Erinnerungen an Vaudeville-Orchester werden wach, ein Banjo lässt Bluesiges aufscheinen, schweres, donnerndes Blech schwenkt die Fahne höchster Dramatik. Fazit: Eine großartige Ensemble-, Chor- und Orchesterleistung, die weit über das hinausgeht, was erwartbar ist. Einige wenige Figuren, wie die zu leidend-blass geratene Lea, hätten etwas mehr Tiefenschärfe vertragen. Und der Einfall, den gekreuzigten Christus mit Maria und Magdalena als stumme Randfiguren durch die Szenen geistern und den – blutigen – Dreck aufwischen zu lassen, muss man nicht verstehen können. Ein nihilistisch-böser Bibelkommentar vielleicht?

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