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Aktiv am Hängemetallophon: die Neue Musik AG Hertzhaimer-Gymnasium Trostberg mit der Klanginstallation „inversal loop“ von Werner J. Gruber.  Foto: Holger Jung / Video über „upgrade“ demnächst auf www.nmzmedia.de
Aktiv am Hängemetallophon: die Neue Musik AG Hertzhaimer-Gymnasium Trostberg mit der Klanginstallation „inversal loop“ von Werner J. Gruber. Foto: Holger Jung / Video über „upgrade“ demnächst auf www.nmzmedia.de
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Infiziert mit dem Virus „Neue Musik“

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„upgrade“ – der neue Festivalkongress hatte in Donaueschingen Premiere
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Giftgrün leuchtete die Schminke im Gesicht und auf den Armen von Tim und seinen Mitstreitern – echt monsterhaft! Und um ein Monster geht es in Bernhard Ganders „hukl“ für Orchester, 2012 bei den Donaueschinger Musiktagen uraufgeführt. Jetzt kehrte dieses Stück mitsamt dem SWR Sinfonieorchester Baden-Baden und Freiburg an diesen Ort zurück – und wurde noch gruseliger. Dank der grünen Männchen auf der Bühne, die in Ganders Stück zwar nicht vorkommen, sehr wohl aber in der „Transformation“, mit der Schülerinnen und Schüler des Fürstenberg-Gymnasiums Donaueschingen ihre eigene Sicht auf „hulk“ präsentierten.„Explodierende Schubladen“ nannten die Gymnasiasten ihre Performance, mit der sie beim Festivalkongress „upgrade“ Mitte Mai im großen Mozart-Saal der Donauhallen mächtig Aufmerksamkeit weckten. „upgrade“? Das ist die von dem im letzten Jahr verstorbenen „Musiktage“-Organisator Armin Köhler gestartete Initiative, an traditionsreicher Stätte nicht wie gewohnt die arrivierten Komponisten und Interpreten zeitgenössischer Musik zu präsentieren, sondern Kinder und Jugendliche, die mit dem Virus „Neue Musik“ infiziert sind.

Und von denen gibt es quer durch Deutschland eine ganze Menge – mehr als der eine oder die andere meint! Miteinander ins Gespräch zu kommen, sich gegenseitig zuzuhören, sich im Idealfall zu vernetzen, war für die Kongressteilnehmer sicher ein wichtiger Aspekt bei dem dreitägigen, zeitlich eng getakteten Treffen. Allein sechs Konzerte dokumentierten das durch und durch professionelle Niveau der Ensembles wie beispielsweise der AG Neue Musik des Leininger-Gymnasiums Grünstadt, die den Auftakt machte mit der Uraufführung von Dieter Schnebels „Movimento“, einem unglaublich fantasievollen 30-Minuten-Stück. Da konnten die Schülerinnen und Schüler selbst auch jede Menge an Ideen entwickeln, eigene Elemente beisteuern und eine Woche lang mit dem Komponisten höchstpersönlich arbeiten. Auf ebenso hohem Niveau, die Akteure der Neue Musik AG Hertzhaimer Gymnasium Trostberg: Für die Realisation ihrer Kompositionen bedurfte es nur weniger Mittel wie Triangeln, ­Klangsteine und Kugeln oder schwere Ketten mit ihrem gleißenden Scheppern und Dröhnen. Überschaubares Material also, aber von enormer Wirkung. Was unbedingt auch galt für die vielen blauen Luftballons in Händen des Landesjugendensembles Baden-Württemberg! „Shopping 2.1“ von Michael Maierhof entpuppte sich als bizarre Geräuschkulisse im Surround-Sound-Format, denn die sechzehn Spieler verteilten ihr Spektrum an Tönen über den ganzen Konzertsaal. Frappierend!

Ganz ohne Zweifel: Was da vor Ort in sich immer wieder neu konstituierenden AGs (mit durchaus hoher Fluktuation) oder in Orchestern geleistet wird, kann sich rundherum hören lassen. Das „chiffren“-Ensemble Schleswig-Holstein nahm es sogar auf mit einem hochkomplexen Stück wie „CON-fetti“ von Hans-Joachim Hespos – überzeugend und mit Grandezza gemeistert! Eine echt harte Arbeit, technisch wie musikalisch.

Was das Publikum im Rahmen von „upgrade“ auf den Bühnen der Donauhalle erleben konnte, war geprägt von einer großen musikalischen Bandbreite. Partituren von Louis Andriessen und Harrison Birtwistle, gespielt­ vom Studio Musikfabrik – dem Jugendensemble für Neue Musik des Landesmusikrates NRW – standen neben Bildern und Geschichten, mit denen das Jugendensemble baUsTeLLe KUNSTRAUM Tosterglope Assoziationen weckte. Anleihen an den Jazz und synthetische Klänge fanden sich in Stücken, die das Landesensemble Thüringen mit nach Donaueschingen gebracht hatte. Viel Buntes also – aber nichts Banales! Denn dem Anspruch, den die Jugendlichen an ihr eigenes Musizieren stellen, liegen professionelle Maßstäbe zugrunde.

Neben „Festival“ war der Treff aber auch dezidiert „Kongress“ – also ein Forum für Gedankenaustausch, Reflexion, Diskussion und nicht zuletzt visionäre Ideen, wie denn die Sache der Neuen Musik aus ihrer Nische heraus und in die Köpfe der Jugendlichen von heute hineinkommen kann. Das ist ja schon bei dem, was man landläufig unter „Klassik“ subsummiert, ziemlich schwierig. „Musikvermittlung“ heißt da ein Zauberwort, „neue Konzertformate“ ein zweites. Man war eigentlich gut beraten, den mit Avantgarde „infizierten“ Nachwuchs am besten selbst nach seinen Vorstellungen zu fragen, was anders, was besser werden müsste. „upgrade“ bot in dieser Hinsicht Werkstattgespräche und Workshops mit erfahrenen Profis aus der pädagogischen und/oder wissenschaftlichen Ecke. Immer auf Augenhöhe mit den jungen Musikerinnen und Musikern, Brainstorming ohne Barrikaden.

Was dabei herauskam? Visionen, die teilweise längst Realität sind! Gewiss nicht flächendeckend, aber punktuell: das Aufbrechen eines strengen Dresscodes war einer der Wünsche, Interaktivität zwischen Interpreten und Publikum ein anderer. Musik an ungewöhnlichen Spielstätten, an heutige Rezeptionsgewohnheiten angepasste Programmgestaltungen, musikalische Überraschungs-Begegnungen in Privathäusern oder im Rahmen einer „Nacht der Museen“ – das alles gibt es schon. Wäre zu fragen, ob solche existierenden Angebote von den Ensembles, Orchestern und Konzertveranstaltern, die sie machen, nicht noch besser, zielgruppenorientierter und vor allem untereinander kommuniziert werden müssen. Und ob diese Formate sich nicht vielleicht „exportieren“ lassen. „Bei Facebook für einen Abend mit Neuer Musik zu werben, das ginge dort unter“, meinte ein junger Musiker auf die Frage, wie er seine Schulfreunde dazu bewegen könnte, mal mitzugehen, mal ein Konzert live zu hören. Stattdessen? „Mund-zu-Mund-Propaganda“. Donnerschlag! Und das im Social Media-Zeitalter. Noch drastischer ein anderer Ensemble-Spieler: „Man muss meine Mitschüler einfach dazu verpflichten, in ein Konzert zu gehen“ – eine erstaunliche Stimme aus dem Kreis der Jugendlichen selbst!

Und die Frage nach der konkreten Vermittlungsarbeit vor Ort? Um die war es beim „upgrade“-Konzept aus Sicht vieler Teilnehmer offenbar nicht so gut bestellt, wurde sie in der Abschlussdiskussion auch nur in den allerletzten Minuten als Defizit thematisiert. Schade, denn genau davon hätten sich einige der Akteure durchaus mehr gewünscht: Handwerkszeug, wie zeitgenössische Musik einem durchaus generationen­übergreifenden Publikum schmackhaft gemacht werden kann. Aber vielleicht findet eine „upgrade“-Neuauflage, so  es sie geben sollte, darauf eine ergiebigere Antwort. Wichtig war und bleibt diese Festival-Premiere allemal. Weil es sich wirklich lohnt, dass sich die kleinen grünen Männchen und alle anderen Jugendlichen aus ganz Deutschland mit Affinität zum Experimentieren regelmäßig treffen.

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