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Für einen Kulturumbau sollte man gut gerüstet sein. Denkt man zu kurz, bleiben am Ende allein leere Gerüste zurück, die nichts mehr halten müssen als sich selbst (die Strukturwüste). Foto: Martin Hufner
Für einen Kulturumbau sollte man gut gerüstet sein. Denkt man zu kurz, bleiben am Ende allein leere Gerüste zurück, die nichts mehr halten müssen als sich selbst (die Strukturwüste). Foto: Martin Hufner
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Klarmachen zum Ändern – aber was und wie eigentlich?

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Einige Überlegungen zur Kulturpolitik der Piratenpartei und eine Antwort auf den Artikel von Barbara Haack, nmz 12/12
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Vor vier Wochen las ich in der nmz 12/12 den Artikel von Barbara Haack über den Versuch der Bonner Piraten, per Bürgerentscheid die Zuschüsse für das Bonner Opernhaus zu kürzen oder ganz zu streichen. „Zum ersten Mal in der Geschichte der Bundesrepublik kämpfen Bürger nicht für den Erhalt einer Kultureinrichtung, sondern dagegen“, zitiert Haack in ihrem Artikel den Vorsitzenden des Personalrates der Bonner Oper Thomas Schröder.

Phasen massiver bilderstürmischer Kunstfeindlichkeit hat es immer wieder gegeben, man denke an Oliver Cromwell, oder an die Bolschewiki in Russland, die ähnlich argumentierten, ähnlich handelten und ganze Arbeit bei der Zerstörung der „bürgerlichen“ Kultur leisteten. Die Kommunistas der Ostzone machten das vorsichtiger, sie beäugten kritisch die Inhalte, ließen aber die Institutionen in Frieden. Seit nunmehr 22 Jahren höre ich in Gesamtdeutschland aber nun immer wieder von den Politikern aller Couleur: „Wollt ihr (die Bürger) ein Krankenhaus oder das Theater erhalten (wahlweise auch Bibliothek, Museum, Galerie, Volkshochschule, Musikschule)?“ Die Leute wählen immer das Krankenhaus. Das Theater wird geschlossen, und die Kosten für das Theater laufen ein Jahrzehnt weiter. Stichwort Tarifverträge. Ein paar Jahre später wird dann auch das Krankenhaus geschlossen.

Die Recherche beginnt

Also machte ich mich kundig und suchte den Original-Beschluss der Bonner Piraten, den man hier nachlesen kann: „Bürgerbegehren Oper – www.piratenpartei-bonn.de“.

Aktuelle Infos und Medienberichte findet man auf der zugehörigen Facebook Seite: www.facebook.com/zukunftstattoper

Die Bonner Piraten fordern ungeschminkt: „Zauberflöte“ raus, „Musikantenstadl“ rein, denn in großen Hallen ist nur der allerkommerziellste Kommerz kostendeckend. DJ Ötzi und Andrea Berg können dann vom Beethovenorchester begleitet werden, das ja auch kostendeckende Programme, also Unterhaltungsmusik spielen soll. Dazu liest die Trulla aus der Stadtteilbibliothek ihre Beziehungsgedichte und die Kinder der Grundschule hoppeln ein wenig nach Musik aus dem Rekorder (pardon Laptop).

Ich wandte mich an die AG Kulturpolitik der Piratenpartei und schrieb: „… Bei Künstlern wie mir kommen gerade ständig Horrormeldungen über die Piraten in Bonn an, die versuchen, mittels Bürgerentscheid das dortige Opernhaus zu schließen. Das wäre ein Thema für die AG Kulturpolitik. Kommen die Bonner Piraten durch, wird die Piratenpartei für alle Künstler endgültig unwählbar.“

Es kamen innerhalb kürzester Zeit eine Fülle von Antworten. Hier eine kleine Auswahl:

(1) „Ahoi, kurz hier noch die Richtigstellung, dass es den Bonner Piraten ,nur‘ um Bürgerbeteiligung bei der Höhe der Zuschüsse zum Opernbetrieb geht – die Medien (und viele Nachbeter) haben sich schlicht nicht die Mühe gemacht, mal auf unserer HP bzw. unserem Wiki nachzulesen …“

(2) „Kein Bonner Pirat bestreitet, dass es Opern geben muss. Aber keine 300.000 Einwohner Stadt sollte ein Drittel ihrer 'freiwilligen Leistungen' (ca. 20 Mio. im Jahr) in eine einzige Kulturform stecken, wenn das ‚gleiche‘ Angebot 30km weiter (Oper Köln) ebenfalls besteht, ohne dass die Bürger darüber abgestimmt haben …“

(3) „Glaub mir, ich bin als NRWler auch nicht gerade begeistert von der Initiative. Allerdings muss man das auch differenzieren. Wir haben im NRW-Wahlprogramm folgendes stehen: ,Daher halten wir die Subventionen gerade in der vollen Breite der Kultur für sinnvolle Investitionen. Die Hochkultur, die hoch subventioniert wird, muss sich nicht nur an ihrer künstlerischen Qualität messen lassen, sondern auch an ihren Bemühungen, um Rezipienten und Publikum aus allen sozialen Schichten und Altersstufen anzusprechen. Kultur, die den Kontakt zu einem breiten Publikum nicht hat, verliert die Legitimation ihrer Subventionen.‘… Wenn die Bonner das Gefühl haben, dass ihre Oper nicht zur Stadt gehört und man das Geld besser anderswo nutzen sollte – wenn es nach mir geht unbedingt anderswo in der Kultur! – dann muss ich das als Mitglied des AK Kultur und Medien in NRW respektieren.“

(4) „Deutschland wird in der ganzen Welt vor allem wegen seiner Theater, Orchester, Museen und weiterer Kulturinstitutionen, also wegen seiner Hochkultur respektiert. Das wollt ihr abschaffen für ein bisschen Stadtteilkultur mit der Halbwertzeit von 24 Stunden? ...Wie kann man im Lande der Dichter und Denker mit einer der traditionsreichsten jahrhundertealten Kulturtraditionen der Welt, Hochkultur abschaffen wollen?“

(5) „Oper ist doch keine Hochkultur. Spätfeudaler Manierismus!
Da steht ein Barbarenhäuptling und jault: ‚Gleich werde ich ermohohorrdet!‘ Und dann jagt ihm jemand den Speer in den Rücken. Atavistisches Verhalten – mit Steuergeldern gefördert.
Über Schauspiel kann man reden. Oder Bach, Schein, Schütz, Telemann, Orff …Uuuups! …“

(6) „Wenn uns Kultur irgendwann zu teuer ist, dann werden wir wieder Barbaren. Kultur ist engstens mit Bildung verbunden – schlechte Bildung = kein Interesse und Verständnis an (Hoch-)Kultur. Daher nur fünf Prozent Zuschaueranteil für ‚Hochkultur‘, weil das Volk bereits verblödet ist …“

(7) „Es geht hier letztendlich um die gerechte Verteilung der Mittel für Kunst. Und das ist Kulturpolitik. Wie aber sollen diese Mittel verteilt werden? Ein gutes Orchester, Sänger, Opernkulissen/-kostüme und so weiter kosten klar mehr als einen freischaffenden Künstler zu unterstützen, der sich zum Beispiel nur auf die Bildhauerei beschränkt. Können wir – Schwarm hilf – eine Lösung finden? …“

Kultur unter dem Scheckbuch

Liebe Bonner und andere Kulturpiraten, lasst Euch sagen, dass Kulturpolitik und Kulturwirtschaft heikle und spezielle Themen sind, bei denen es immer auf die großen Zusammenhänge ankommt. Denn jeder Euro, der in die Hochkultur, speziell in Theater und Orchester gesteckt wird, wird siebenmal wieder ausgegeben; kleine Handwerker erhalten Aufträge, die örtliche Schneiderei, der Tischler, der Blumenladen, die Druckerei, die Wäscherei, die Zeitung. Reiseunternehmen, Taxifahrer und Hotels partizipieren daran, die Restaurants und der Weinhändler. Die Musiker brauchen Saiten und Noten, die Verlage können Umsatz machen, der Musikalienhändler vor Ort auch, die Instrumentenbauer können Instrumente verkaufen, die örtliche Musikschule hat qualifizierte Lehrer für alle Instrumente. Bildende Künstler können sich am Bühnenbild austoben, Musikstudenten sich ausprobieren, Theaterwissenschaftler als Dramaturgen oder als Theaterpädagogen arbeiten. Die Studentinnen der BWL verdienen was dazu an der Abendgarderobe und beim Verteilen der Programmhefte.

Das Publikum kauft CDs und DVDs, und auch mal ein Buch über klassische Musik, edle Abendkleider oder Schmuck. In kleinen und mittleren Städten ist das Theater ein wichtiger Arbeitgeber. Und: Eine mit 250 Euro geförderte Opernkarte erwirtschaftet einen Umsatz von 1.750 Euro, allein die vom Staat erzielte Umsatzsteuer dieses Betrages ist höher als die gezahlte Subvention. Die Kulturwirtschaft ist der drittwichtigste Wirtschafszweig des Landes nach Autoindustrie und Chemie. 

Vom Traurigen

Das eigentlich traurige an der Position der Bonner (und sicher auch anderer) Piraten ist aber, dass mit Forderungen dieser Art Kunst und Kultur nach US-amerikanischem Vorbild installiert werden. Der Staat gibt nichts (oder sehr wenig); Kunst und Kultur liegen in den Händen reicher Spender. Die Hochkultur wir vom „Sponsoring“ abhängig und verkommt zur elitären Veranstaltung, deren Genuss und Teilhabe ausschließlich am Geldbeutel hängt.

Die Piraten, die in der Kultur größere Demokratie, Verteilungsgerechtigkeit und Teilhabe wollen, werden exakt das Gegenteil erreichen: keinerlei Demokratie und keinerlei Teilhabe, sondern Kunst als Repräsentanz von privatem Reichtum. Aber es ist ja gerade die Stärke der etablierten deutschen Kulturlandschaft, immer wieder Bildungs- und Erlebnisangebote für alle Schichten und zu bezahlbaren Preisen zu machen, und soll es bitte auch bleiben.

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