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Koloratur Frühstück

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Neue Opern von Müller -Wieland und Rihm
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Das Rhein-Main-Gebiet weist mit den Häusern in Darmstadt, Frankfurt, Mainz und Wiesbaden eine sehr hohe Dichte an Musiktheatern auf. Im Staatstheater Mainz herrscht seit jeher eine gewisse Scheu gegenüber kompositorisch avancierteren Werken. Über Jahre hinweg verstreut mal eine Oper von Hans Werner Henze, Gottfried von Einem – seine „Jesu Hochzeit“ in der Spielzeit 1987/88 erhielt vom Mainzer Bischof eine moralische Abmahnung und sorgte für Bürgerproteste gegen die Oper – oder Giselher Klebes „Fastnachtsbeichte“. Die Uraufführung von Volker David Kirchners klangbombastischer Oper „Labyrinthos“ nach Shakespeares „Sommernachtstraum“ dürfte hier eine konservative Grundhaltung eher bestätigen. Immerhin wagt sich der 40jährige Georges Delnon, der nach den Stationen Luzern und Koblenz ab der nächsten Spielzeit die Intendanz in Mainz übernehmen wird, an Alban Bergs Opernfragment „Lulu“, das zuletzt vor fast 30 Jahren in Mainz inszeniert wurde. Wer es nicht weit zur Avantgarde haben will, fährt über den Rhein nach Wiesbaden zur ehemals von Carla Henius und jetzt von Ernst August Klötzke gleiteten Musik-TheaterWerkstatt. Mauricio Kagels Liederoper „Staatstheater“, Gerhard Kürs „Stallerhof“ oder Adriana Hölszkys „Bremer Freiheit“ sind hier in guter Erinnerung. Der Spielplan des Staatstheaters Darmstadt wirkt ebenfalls frisch, abwechslungsreich und Zeitgenössischem gegenüber sehr aufgeschlossen. Die Auftragsopern „Die Nachtigall und die Rose“ nach Oscar Wilde (Spielzeit 1996/97) und jetzt „Die Versicherung“ nach Peter Weiss des 33jährigen Jan Müller-Wieland stehen neben weiteren zeitgenössischen Projekten für musiktheatralische Experimentierfreude. Müller-Wielands lyrisch-phantastische Kammeroper „Die Nachtigall und die Rose“ um eine Nachtigall, die für einen verliebten Studenten einen Rosenstrauch mit ihrem Blut tränkt, wirkte in der szenisch sparsamen, aber nicht minder musikalisch intensiven Inszenierung der Regisseurin Dagmar Birke als Produktion der Werkstattbühne wie eine romantisierte Traumsequenz. Müller-Wielands kompositorischer Zugriff auf das Märchen machte hörbar, daß „am Text entlang“ zu komponieren nicht automatisch einen Mangel an klanglicher Vielfalt und Ausdruckskraft bedeuten muß. Dem Bruch zwischen den Erzählwelten begegnet er sinnig mit einer Gegenüberstellung von Schlaginstrumenten mit einem Streichquintett. Das Klavier steht mit dunklem Akkordspiel und percussivem Intervenieren klanglich zwischen beiden Lagern. Marimba- und Vibraphon werden von Gongs und stark geräuschhaften Becken ergänzt. So schafft der Komponist ein immer hastiger, bruitistischer und farblich kontrastreicher werdendes Klangspektrum. Durchsetzt mit jazzartiger Kontrabaßgrundierung, Endlos-Tremoli und verzehrendem Espressivo illustriert Müller-Wielands Musik stets das Bühnengeschehen. Ganz anders verfährt der Komponist in seiner Vertonung des politischen Stoffs aus der Feder von Peter Weiss. Hier entlarvt die Musik mit bombastischem Getöse das sinnentleert-spießige und überaus konventionelle Gesellschaftsspiel einer neureichen Nachkriegsgesellschaft, die von Schweigen und Apathie gegenüber den nationalsozialistischen Greueltaten gekennzeichnet ist. Ohne Kausalität werden hier revueartig völlig aus dem Ruder laufende Gesellschaftsereignisse abgespult, die sich um einen faschistoiden Polizeipräsidenten drehen, der eine Versicherung gegen jedes Lebensrisiko in einem totalitär anmutenden Staat abschließt. So sind die Läusebisse, die die Präsidentengattin plagen, gleichsam auch eine Allegorie auf das „Leben“ in den Konzentrationslagern und das Vegetieren der russischen Kriegsgefangenen. Eine Vertonung des zeitlich gebundenen und letztlich politischen Theaterstücks ist ein gewagtes Unternehmen, auf das sich Jan Müller-Wieland – auch als sein eigener Librettist – eingelassen hat. Es gehörte einiger Mut dazu, das von Weiss theatralisierte, hermetisch wirkende Beamtendeutsch in schnodd-rigen Umgangsjargon zu übersetzen. In Konfrontation mit Müller-Wielands vokalem Espressivo und vor allem seiner vorlauten Blechbläsermusik entsteht eine große ästhetische Kluft zwischen der banalen Textaussage und dem gesanglich-musikalischen Pathos der abendfüllenden Oper in Darmstadts Großem Haus. Von dieser Gratwanderung zwischen zwar musikalisch nicht unbedingt avancierter, jedoch theaterwirksamer Musik aus Versatzstücken und der ihr zugeordneten Textaussage bezieht die Vertonung ihre Spannung. Warum eine Koloratur über die Sentenz „Mach mir endlich das Frühstück“ dramatisch notwendig ist, bleibt völlig offen – genauso wie bei Hindemiths Arie in einer Badewanne in „Neues vom Tage“. Eben dieser Wanne vom Ende der 20er Jahre ist Müller-Wielands Vertonung mehr verpflichtet als dem Badekübel in Peter Weiss’ späterem „Marat/Sade“-Drama. Weiss selbst experimentierte in „Die Versicherung“ bereits mit dem Wannenmotiv, indem er den Taugenichts und späteren Revoluzzer Leo dort seine Aggressionen aufstauen und onanierend ableiten läßt. Jonathan Moore (Regie) und Conor Murphy (Ausstattung) tauchen die leere Bühne in grelle Komplementärfarben, auf der die korrekt im grauen Anzug gekleideten Biedermänner einer Abendgesellschaft beim tyrannischen Polizeipräsidenten wie schwarze Schafe statt Unschuldslämmer wirken. Man läßt sich hier gerne bevormunden, solange jeder seine gepflegte Konversation über steigende Aktienkurse und geplante Bauvorhaben beibehalten kann. Mit gekonnt überzogener Mimik bis zur Entäußerung führt Moore seine fratzenhaften Hauptfiguren des fulminant agierenden Darmstädter Ensembles sicher durch die ständig wechselnde Szenerie. Hubert Bischof als Polizeipräsident Alfons, Doris Brüggemann als seine Gemahlin, Jyrki Korhonen als ehemaliger KZ-Arzt Kübel und Hans Christoph Begemann als dessen aufmüpfiger Sohn in der Wanne konnten sich stimmlich jederzeit gegen das von Franz Brochhagen bis an seine dynamischen Grenzen geführte Orchester des Staatstheaters Darmstadt eindrucksvoll durchsetzten. Insbesondere dem spielfreudigen Chor gilt ein Lob für die wendig-komische Darstellung der verkommenen Gesellschaft und für die ebenfalls stimmlich eindrucksvoll gegebene Partie. Eine Zeitoper ist „Die Versicherung“, trotz der Aktualisierung der Sprache, gerade wegen des spezifischen Nachkriegsbezugs nicht geworden, und es fehlt ihr ebenso die musikalisch und dramatisch verdichtete Stringenz, um gänzlich als musikalische Groteske durchzugehen. Eher sind die 19 Szenen mit gut zwei Stunden Aufführungsdauer insgesamt musikalisch ein wenig zu lang, wenngleich es auf der Bühne eigentlich nie langweilig wird. In Frankfurt wurde die neue Spielstätte der Oper – das für avancierte Theater und Musikprojekte mittlerweile altbewährte Bockenheimer Depot – mit Wolfgang Rihms Kammeroper „Jakob Lenz“ nach Georg Büchners Novelle „Lenz“ in der Inszenierung des 40jährigen Torsten Fischer, sonst Schauspieldirektor der Bühnen der Stadt Köln, eingeweiht. Ab dieser Spielzeit fungiert Rihm als künstlerischer Berater der Frankfurter Oper. Für Fischer ist die Figur des Jakob Lenz nur scheinbar geistig verwirrt. Lenz ist bei ihm kein Irrer, mit dem die Phantasie durchgeht, und schon gar nicht eine zappelnde Opernfigur, sondern ein selbstredend sensibler Dichter, der sein Recht auf künstlerische Individualität vehement einfordert, und sei es mit scheinbar klinisch auffälligem Verhalten. Nicht jeder ist verrückt, der in einer Wanne ohne Wasser badet, so der Regisseur. Der badende Lenz hingegen muß schon laut Libretto Wasser in der Wanne haben. Wenn der Titelheld im dramaturgisch wichtigen sechsten Bild der Kammeroper seine nicht nur ästhetische Freiheit als Künstler, sondern schlechthin als Mensch von der Gesellschaft einfordert, redet diese in Person des vermeintlichen Freundes Kaufmann ihm ein, daß er irre sei. So deutet Fischer das auffällige Verhalten von Jakob Lenz als Provokation der Gesellschaft und nicht als neurotisches Symptom. Wer handelt hier, und wer wird behandelt? Fischer meint, daß nicht der Dichter krank sei, sondern die Gesellschaft, in der er sich befindet. Für den Regisseur ist die Geschichte über die Zeit des Sturm-und-Drang-Dichters Jakob Michael Reinhold Lenz bei dem elsässischen Pfarrer Oberlin eine sehr reale Parabel auf den Umgang der Gesellschaft mit allem, was fremd und irgendwie anders ist. Der politische Schriftsteller Georg Büchner ist Fischer folgerichtig auch näher als das auf den psychischen Zustand von Jakob Lenz abhebende Libretto von Michael Fröhling. In der temporeichen, szenisch äußerst dichten Inszenierung und schauspielerisch sehr durchdachten Personenführung verortet Fischer die Kammeroper in Herbert Schäfers (Ausstattung) weiß getünchtem, nach hinten sich sinnbildlich verengendem und windendem Guckkasten als nachtstückartiges Schattenspiel und gerade nicht als in Szene gesetzte, alptraumhafte Krankenakte. Die sechs sehr eindringlich agierenden Chorstimmen kehren zwar auch in dieser Inszenierung das Innerste von Lenz nach außen, als unheilvolle Chimären verankert sie Fischer hingegen in die reale Welt. Dort spielt sich das Drama ab und nicht im Kopf der Hauptfigur. Wenn Lenz statt „Ich bin der verlorene Sohn“ bei Fischer nach Büchners Originaltext deklamiert: „Ich bin der ewige Jude“, weht freilich auch ein Hauch 70er Jahre herüber, nun mit umgekehrten Vorzeichen: Die Gesellschaftskritik findet auf der Opernbühne statt. In diesem Teufelskreis stetigen Aneckens wird auch die Figur des heilkundlich bewanderten Pfarrers Oberlin als bereits resignierter Seelsorger gezeichnet, der von der zwielichtigen Person Kaufmann auf die Seite der Ignoranten gezogen wird. Entweder soll Lenz in Fischers Inszenierung als Gameboy funktionieren, oder die Gesellschaft läßt ihn fallen. Die Musik, „immer auf dem Sprung in die Hauptperson“ (Rihm), muß sich dafür immer wieder Fischers sehr schauspielerischem Umgang anpassen. Genauso wie die Bühnenhandlung erwächst die Musik hier aus der Stille der nicht gesagten Worte und nicht geschriebenen Dramen, was Rihms Konzept eines Musiktheaters aus der Suggestivkraft dieser streng durchgestalteten Kammermusik einigermaßen widerspricht, dem Werk letztlich aber nicht zuwiderläuft. Waren bislang die zitathaft eingestreuten Volksliedfloskeln auch dramatische Haltepunkte, so wird in Frankfurt über sie hinweggespielt. Die Schwerfälligkeit des „So ein Tag ...“, mit der Oberlins Gottvertrauen charakterisiert wird, geht in dem hastigen Geschehen ziemlich unter. Gleichwohl gelingen der Frankfurter Kapellmeisterin Catherine Rückwardt und ihrem klanglich sehr ausbalancierten Ensemble gerade die lyrisch-verhaltenen Szenen und Zwischenspiele. Nicht minder intensiv singt und spielt Bariton Johannes Martin Kränzle den Lenz. Die sozialpsychologische Gefährdung der Titelfigur macht er durch ein kurz vor dem Überschlag in die Kopfstimme stehendes Vibrato in den hohen Lagen seiner kraftzehrenden Partie eindringlich hörbar. Bodo Schwanbeck als Oberlin bildet zum hektischen Lenz gleichsam auch gesanglich ein ausgleichendes Gegengewicht. Als Racheengel der Gesellschaft verübt Hans-Jürgen Lazar in der Rolle des vermeintlichen Lenz-Gönners Kaufmann verbal das von Regisseur Fischer dargestellte Attentat am mundtoten Dichter. So ist es nur konsequent, wenn Lenz bereits zu Anfang vor der Bühne auf einem Berg unbeschriebener Blätter über der Schreibmaschine zusammenbricht.

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