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Sinfonische Uraufführung: Jeffrey Chings „Fenghuang Singing“ für Sopran, Trompete und Orchester. Foto: Peter Adamik
Sinfonische Uraufführung: Jeffrey Chings „Fenghuang Singing“ für Sopran, Trompete und Orchester. Foto: Peter Adamik
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Kräftige Farben, lecker angerichtet

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IMPULS – ein Festival für neugierige Ohren, in und um Sachsen-Anhalt
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Festivals, zu deutsch Festspiele, sind gewöhnlich Ballungen von Aufführungen schon länger bekannter und beliebter Bühnen- oder Podiumswerke, an illustrem Orte dargebracht von renommierten Interpreten, zu dem Marktwert der prominenten Künstler angemessenen Eintrittspreisen. Bei IMPULS, dem „festival für neue musik sachsen-anhalt“, trifft allerdings nichts davon zu. Dass IMPULS dennoch in diesem Herbst zum zwölften Mal – eine eher politische aber existenzielle Zitterpartie überwindend – stattfinden konnte, war vor allem der Kompetenz, Erfahrung und Zähigkeit des Initiators und Intendanten, Hans Rotman, zu danken, der den 2019er-Jahrgang gemäß seinem ursprünglichen Motto „Neue Musik lecker machen“ angekündigt hatte.

Nach welcher Rezeptur Hans Rotman Neue Musik als Leckerei anzurichten versteht, wurde im Rundfunk – MDR Kultur – schon einmal knapp zusammengefasst: „Mit ‚Jungen Meistern‘ und Masterclasses, Amateur- und Kulturorchestern, Präsenz im ländlichen Raum und Städten arbeitet das Festival weiter an einem System, das Hochkultur mit Bildung, Praxis und Basis verknüpft.“ Tatsächlich hat Rotman von Anfang an alle Orchester des Landes, sowohl die größeren in Magdeburg, Halle/Saale und Dessau, dazu das MDR Sinfonieorches­ter Leipzig, als auch die kleineren in Halberstadt/Quedlinburg und Wernigerode, zur regelmäßigen Mitwirkung gewinnen können, darüber hinaus werden im Wechsel Kleinstädte wie Stendal, Köthen, Eisleben und Schönebeck mit Projekten oder Aufführungen einbezogen; so trat in diesem Jahr das Landes-Akkordeon-Ensemble Sachsen-Anhalt mit „Sonnenfeuer“ von Jens Klimek als Auftragskomposition des Festivals mit einhelligem Erfolg sowohl im Magdeburger Opernhaus als auch in der kleinen „Künstlerstadt“ Kalbe auf. Hinzu kommen regelmäßig Konzerte in Leipzig, Berlin, Brüssel oder Strasbourg, mit denen IMPULS Perlen des Musiklebens in Sachsen-Anhalt auch jenseits der Landesgrenzen vorzeigt.

In dem mitteldeutschen Bundesland, das selbst über keine Musikhochschule verfügt, werden mit den internationalen Masterclasses für Komponisten, Dirigenten und Solisten, in diesem Jahr allein acht Pianist/-innen, junge Talente entdeckt und gefördert; auch die dieserart aktive Auseinandersetzung junger Künstler mit neuerer und neuer Musik, im Ausbildungsprozess häufig vernachlässigt, stellt zweifellos ein besonderes Verdienst von IMPULS dar. Dabei kann es zudem zu erneuter Mitwirkung herausragender Musiker bei späteren IMPULS-Jahrgängen oder auch außerhalb des Festivals kommen: Die junge japanische Pianistin Mikiko Motoike, Teilnehmerin an der von Prof. Jochen Köhler aus Halle betreuten Masterclass für junge Solisten und bereits 2017 bei IMPULS mit dem Klavierpart in Hans Rotmans Kammeroper „Spiel im Sand“ hervorgetreten, eröffnete nun das „Porträtkonzert“ von acht Pianist/-innen, zu erleben in Halle, Kalbe und in der Berliner Landesvertretung Sachsen-Anhalts, mit Klavierstücken von Arnold Schönberg op. 23; danach wurde sie als Solistin in Aufführungen des virtuosen Klavierkonzerts „The Shining One“ von Guillaume Connesson (Frankreich) mit verschiedenen Orchestern und IMPULS-Dirigenten stürmisch gefeiert.

Kurzweilige Ergänzungen

Bereits bei dem mit „BrennWeite“ betitelten Eröffnungskonzert des Festivals im Steintor-Varieté Halle waren  Auftragskompositionen an fünf Teilnehmer der Komponisten-Masterclass (Leitung: Annette Schlünz) zu erleben, sämtlich Musik zu überwiegend abstrakten „Bauhaus“-Kurzfilmen, die zwischen 1921 und 1932 entstanden, wobei neben Jungkomponisten aus China, Japan, Chile und Italien besonders die Hochbegabung des erst 17-jährigen Ferdinand Heuberger (Deutschland) auffiel. Dieses Programm wurde ebenso kurzweilig ergänzt durch Bernard Herrmanns Musik zu Alfred Hitchcocks Thriller „Psycho“ sowie Steve Reichs „Eight Lines“, gespielt von der Staatskapelle Halle unter der sicheren Leitung von Bar Avni (Israel) und Armando Merino (Spanien), die beide im weiteren Verlauf des Festivals noch mit größeren Aufgaben betraut waren.

Das Philharmonische Kammerorchester Wernigerode lieferte unter der Leitung des IMPULS-Intendanten Hans Rotman ein Programm der „Verführung in 4 Gängen mit Nachtisch“, nämlich mit Bezug zum gleichzeitig die Stadt kulinarisch schmückenden Schokoladenfest: Loïc Le Roux, bereits 2017 bei IMPULS in Erscheinung getreten, ließ als Entree ein speziell für diesen Anlass komponiertes „Parfait d’Amour“ zubereiten, orchestral angerührt mit einem hintersinnigen Wagner-Zitat aus „Rheingold“ und von zwei Schlagzeugern auch im verbalen Dialog kommentiert – ein musikalischer Spaß. Mit „Un „petit rien“ einer Hörspielmusik, verabreicht in sieben Appetithäppchen, konnte man sodann Bernd Alois Zimmermann einmal als Autor amüsanter klanglicher Aphorismen kennenlernen. Die das Programm ergänzenden zwei Werke von Guillaume Connesson, „Night Club“ und „The Shining One“, stellten zwar größere Anforderungen an das Orchester, doch bewährte sich Rotman ein weiteres Mal als Dirigent wie auch als locker aber treffsicher agierender Moderator (aus der Schule von Leonard Bernstein!), der damit seinem Anspruch, Neue Musik „lecker“ zu machen, gerade an diesem Abend in der „Provinz“ voll gerecht wurde.

Breites Spektrum

Das 3. Sinfoniekonzert der Magdeburgischen Philharmonie, auch in diesem Jahr in Kooperation mit IMPULS gestaltet, enthielt in einem breiten stilistischen Spektrum Werke von fünf lebenden Komponisten, darunter der gebürtigen Schottin Thea Musgrave, einst Schülerin von Nadia Boulanger in Paris, deren „Phoenix Rising“ von 1998 damit seine deutsche Erstaufführung erfuhr. Das Phönix-Motiv des aus der eigenen Asche wieder auferstehenden Vogels stellt denn auch gezielt einen von mehreren Bezugspunkten dar für Jeffrey Chings „Fenghuang Singing“ für Sopran, Trompete und Orchester. Der in Berlin lebende Komponist chinesischer Herkunft (*1965) hat in seinem Kompositionsauftrag für IMPULS 2019 zwei Gedichte des seit 1985 in Magdeburg lebenden Syrers Wahid Nader vertont, in denen der Zerstörung der Elbe-Stadt wie auch ihrer Partnerstadt Braunschweig gegen Ende des Zweiten Weltkriegs gedacht, aber auch das Neuerstehen beider Städte dargestellt wird. Die „interkulturellen“ Bezüge, in Chings Partituren stets ausgeprägt, sind in diesem Werk besonders vielfältig, teilweise hintergründig konstruiert, jedoch in der Aufführung nur teilweise klanglich wahrnehmbar. Zur vollen Geltung kamen hingegen der leuchtende Sopran von Andión Fernández wie auch der Trompeter Lukasz Gothszalk.  Zusätzliches Gewicht erhielt dieser Konzertabend im ersten Teil durch ganz unterschiedlich mit kräftigen Farben aufwartende Werke von Unsuk Chin, Bernd Franke und Marko Nikodijevic, das Dirigat teilten sich der aus Hongkong gebürtige Wilson Ng und der ebenfalls bereits international erfahrene Armando Merino, die das Orchester sorgfältig vorbereitet hatten und abwechselnd sicher durch das anspruchsvolle Programm führten.

Der jungen israelischen Dirigentin Bar Avni war die Leitung des Abschlusskonzerts von IMPULS 2019 mit den Harzer Sinfonikern in Halberstadt und Quedlinburg anvertraut: Nach der Uraufführung eines „Szenischen Konzerts für Sopran, Schauspieler und Orchester nach Yves Navarre“ des jungen Julian Lembke und der wohl bündigsten Version des Klavierkonzerts von Connesson mit Mikiko Motoike am Flügel begeisterte Avni mit Ravels bezaubernder Ballettversion der Suite „Ma mère l’oye“ nicht nur das Publikum, sondern erhielt für ihre überzeugende Leistung erkennbar auch die dankbare Zustimmung des Orches­ters – somit ein strahlender Schlusspunkt des in nahezu allen seinen Facetten gelungenen Festivals, verteilt auf mehr als ein Dutzend Spielstätten in Sachsen-Anhalt, mit bescheidenen finanziellen Mitteln zumeist lecker angerichtet.

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