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Kurswechsel nicht alleine aus der Kirchenmusik heraus

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Antwort der KDL auf den offenen Brief des Allgemeinen Cäcilienverbandes, nmz 3/2022, Seite 20
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Sehr geehrter Herr Dr. Marius Schwemmer, vielen Dank für Ihre Glückwünsche, die ich gerne stellvertretend für den neuen Vorstand der Konferenz der Leiterinnen und Leiter katholischer ­Kirchenmusikalischer Ausbildungsstätten und in Abstimmung mit meinem Vorgänger Prof. Stefan Baier entgegennehme.

In der Tat – die von Ihnen erwähnten Jubiläen fallen in eine Zeit, in der es eher angebracht erscheint, in den Abgesang der Kirchen mit einzustimmen, als optimistisch in die Zukunft zu blicken. Gerade deshalb habe ich mich im Februar dazu bereiterklärt, mich als Vorsitzenden der KdL zur Verfügung zu stellen. Ich hoffe, in den (noch immer sehr großen und lebendigen) Kirchen Mitstreiter zu finden, die Willens sind, sich dem Abwärts­trend entgegenzustellen. Denn zu den vielen Stimmen (sowohl außerhalb als auch innerhalb der kirchlichen Institutionen), die das Scheitern der Kirchen vorhersagen und sich dem vermeintlich unausweichlichen Schicksal ergeben, gesellen sich viele, die es bedauern, dass die Institution, die lange Zeit für viele Menschen wichtiger geistlicher Impulsgeber, ein kulturelles und identitätsstiftendes Zentrum war, aus unserem Leben zu verschwinden droht.

Sie zitieren unter anderem die Leitlinien zur Erneuerung des Berufsbildes „Kirchenmusikalische Dienste” aus dem Jahr 1991. Viele Punkte in diesem Bericht lesen sich, als wären sie angesichts der heutigen Situation geschrieben worden. Eine zentrale Forderung in diesem Bericht betrifft die kirchenmusikalische Ausbildung: die Kirchenmusikerinnen und Kirchenmusiker sollen zusätzliche Kompetenzen erwerben (u.a. Musizieren mit Kindern, Umgang mit Popmusik usw.), um den Herausforderungen des „veränderten Berufsbildes“ adäquat begegnen zu können. Meines Erachtens greift dieser Bericht einerseits zu kurz, andererseits trug der erweiterte Fächerkanon dazu bei, das ohnehin schon anspruchsvolle Kirchenmusikstudium noch mehr zu überfrachten und die Studierenden zu überfordern.

Der Bericht geht meiner Ansicht nach nicht weit genug, da er die etablierte Musikpraxis in den Kirchen nicht hinterfragt, sondern lediglich ergänzt. Wir klassisch ausgebildeten Musiker sind vertraut im Umgang mit his­torischer Musik, im Studium historischer Quellen. Und doch übersehen wir – fokussiert auf die Aspekte der „authentischen Wiedergabe“ historischer Musik – das Wesentliche: Alle unsere großen Vorbilder waren in ers­ter Linie Schöpfer neuer Musik, ihre Kompositionen dienten zudem als Lehrwerke, als Vorbilder für ihre Zeitgenossen. Kein Musiker hätte im Barock eine Anstellung in einer Kirche oder an einem Hof erhalten, hätte er sich auf die Aufführung historischer Musik „spezialisiert“. Wenn wir also etwas verbessern wollen in der kirchenmusikalischen Praxis, dann sollten wir hier ansetzen. Wir müssen es unseren Vorbildern gleichtun und es uns zur Hauptaufgabe machen, aktuelle Musik zu erschaffen. Dazu gehört auch die oft mühsame Auseinandersetzung mit der Frage, was denn nun aktuell ist, welche Inhalte wir wie transportieren können.

Die Forderung nach „stilistischer Vielfalt“ (gemeint ist meist ein „Bedienen“ von klassischer Musik verschiedener Epochen sowie populärer Musik) erscheint mir mehr ein Ausdruck einer gewissen Fantasielosigkeit und mangelnder Bereitschaft, sich den grundsätzlichen musikalischen Fragen zu stellen. Glauben wir denn wirklich, wir wären in der Lage, norddeutsche Barockmusik und französische Romantik „authentisch“ wiederzugeben? Gehen wir tatsächlich davon aus, wir würden uns nach vier Jahren Studium oder nach Absolvierung einer Fortbildung überzeugend in der Stilistik des Jazz oder der Popmusik bewegen?

Natürlich entfaltet imitierte Musik immer noch eine gewisse Wirkung. Doch wir können aus verschiedenen Quellen ableiten, dass die historische Musik eine ganz andere Wirkung auf die zeitgenössischen Zuhörer hatte als heute; den Unterschied zwischen der im kirchlichen Umfeld produzierten Musik im Bereich Pop, Jazz und Rock und den authentischen Vorbildern hat vermutlich jeder im Ohr. Und so haftet dem Reproduzieren historischer Musik und dem Imitieren aktueller Musikrichtungen immer der Hauch des Zweitklassigen an.

Auf der Suche nach einer Antwort möchte ich auf einen Kirchenmusiker verweisen, der es wissen muss, schließlich hatte er bei keinem Geringeren als J. S. Bach Unterricht: Johann Christian Kittel. Anders als sein Lehrer hinterließ er uns ein verbalisiertes Lehrwerk: „Der angehende praktische Organist“ (Erfurt, 1808). Bei der Lektüre der ersten Seiten wird schnell klar, was er unter einem „Organisten“ versteht: ein Musiker, der – geschult durch das Studium von Vorbildern, charakterlich gestärkt durch die Beobachtung der Natur – zu einer reflektierten Künstlerpersönlichkeit heranreift, die in der Lage ist, überzeugende Musik zu kreieren. Ich bin davon überzeugt, dass der Fokus der Kirchenmusikausbildung wieder auf das Schöpferische gerichtet werden muss: das Komponieren, Improvisieren, Arrangieren, Bearbeiten und so weiter. Damit verbunden: die Auseinandersetzung mit der Frage, wie ich meine Zeitgenossen am besten anspreche, wie ich der heutigen Zeit künstlerisch überzeugend begegne.

Dies würde auch die unglückliche Frontenbildung zwischen Pop- und klassischer Musik auflösen. Eine inspirierte Auseinandersetzung mit den aktuellen Musik- beziehungsweise Kunstströmungen während des Studiums ist eine wichtige Voraussetzung dafür, dass wir letztendlich eine eigene, eine originäre und authentische Sprache finden. Nicht das Nachahmen von an anderer Stelle (oder in vergangenen Zeiten) erschaffener Musik darf unsere Hauptbeschäftigung sein, sondern die aus dem Studium dieser Musik gewonnenen Erkenntnisse sollen uns leiten, um überzeugend Musik für den jeweiligen Anlass, für die aktuelle Zeit schaffen zu können.

Dazu gehört auch die Beherrschung des Instrumentariums unserer Zeit und der souveräne Umgang mit den heutigen Medien und Technologien sowie die Kompetenz, zu erkennen, wann und wo ich die Zusammenarbeit mit Professionisten auf mir fremden Gebieten suchen muss. Genauso selbstverständlich brauchen wir den ständigen Gedankenaustausch mit unseren Partnern: den Theologinnen und Theologen.

Es ist höchste Zeit, dass wir die Studienpläne an den Musikhochschulen grundsätzlich hinterfragen: Was dient dem Ziel, überzeugende, authentische und kommunikative Künstlerpersönlichkeiten mit unterschiedlich ausgeprägten Profilen heranzubilden? Was ist diesem Ziel hinderlich? Wie kann das Studium so flexibel gestaltet werden, dass wir den verschiedenen Stärken und Schwächen der Studierenden entgegenkommen beziehungsweise adäquat begegnen können? Wir dürfen dabei nicht außer Acht lassen, dass das Studium letztendlich eine Anleitung zum Selbststudium ist, dass die Studierenden die Hochschulen nicht als „fertig“ ausgebildete Musikerinnen und Musiker verlassen, sondern dass wir alle unser Leben lang studieren und uns weiterbilden müssen.

Dies alles ist keine kleine Aufgabe – es ist in meinen Augen ein Kurswechsel. Dieser kann nicht alleine aus der Kirchenmusik heraus stattfinden. Wir brauchen Inhalte, wir brauchen den Diskurs, wir sind auf Verbündete angewiesen. Wir brauchen den intensiven Austausch mit Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens, mit angehenden Theologinnen und Theologen, Pries­tern, Pastorinnen und Pastoren und nicht zuletzt mit den engagierten Menschen unserer Gemeinden.

So würde ich als übergeordnetes Ziel formulieren: Die Gemeinden werden wieder zu Zentren, von denen wesentliche geistige und kulturelle Impulse ausgehen. Gottesdienste oder andere „Veranstaltungen“, deren Inhalte außerhalb der Kirche überzeugender vermittelt werden, machen sich überflüssig. Auch das oft verzweifelte Bestreben, die Kirchen „attraktiver“ zu machen, halte ich für nicht zielführend. Von einer Institution wie der Kirche erwarte ich mir Antworten auf fundamentale Lebensfragen. Zu oft erlebt man in den Gottesdiensten einen Abklatsch politischer Debatten und das Imitat außerkirchlicher Kultur.

Kurz: In den Gottesdiensten muss wieder Elementares, Wesentliches in einer aktuellen Sprache vermittelt werden. Etwas, das ich in dieser Form auf keinem Parteitag, in keinem Workshop und in keinem Konzert erfahre und erlebe. Dies betrifft Wort und Musik gleichermaßen.

Und: Zur Vermittlung brauchen wir die richtigen Werkzeuge, die richtigen Medien. Dazu bedarf es einer breiten Auseinandersetzung mit der Frage, was unsere Sprache ist, was unserer Zeit gemäß ist. Wenn wir uns mit diesem Gedanken rein theoretisch beschäftigen, wird dies zu keinem Ergebnis führen. Ein solcher Diskurs kann nur mittels vieler Versuche, vieler Beispiele erfolgen. Dafür brauchen wir eine breite kreative Basis, aus der heraus sich dann wiederum Großartiges entwickeln kann. Ohne einen solchen selbstverständlichen Zugang zum Kreativen bleiben die einzelnen komponierenden Musikerinnen und Musiker eher Einzelkämpfer, die durch die gewohnte Praxis an den Rand gedrückt werden.

Erste Schritte in diese Richtung sehe ich in den Änderungen der Studienordnungen an einzelnen Musikhochschulen. Zwei Beispiele möchte ich hier herausgreifen: den Masterstudiengang „Neue Geistliche Musik“ an der Hochschule für kath. Kirchenmusik und Musikpädagogik in Regensburg und die Ausrichtung der Kirchenmusikausbildung auf das Profil „Improvisation, Komposition, Neue Medien“ an der Musikhochschule Lübeck. Beide Initiativen verfolgen Gedanken, die ich oben skizziert habe.

Die Kirchen verfügen über einen unglaublichen Reichtum an inspirierenden Schätzen: beeindruckende Räume, wertvolle Instrumente, ein Meer an geistigen Werken sowie phänomenale Vorbilder. Zudem: Es gibt noch viele Menschen, die sich nach wie vor mit ihrer Gemeinde stark verbunden fühlen. Eigentlich müsste dies ein Traum für jede Musikerin, für jeden Musiker sein: Menschen, die ich regelmäßig sehe, ein Publikum, mit dem ich regelmäßig kommunizieren, eine Gemeinschaft, in der ich etwas aufbauen kann.

Und so erlaube ich mir, Ihre Hoffnung zu wiederholen und etwas abzuwandeln: Lassen Sie uns die Forderung, „das Leben in den Kirchen in Deutschland im Hier und Heute neu zu gestalten“, tatsächlich umsetzen!

 

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