An Festivals, zumal an renommierten Klavierfestivals, ist eigentlich kein Mangel – sollte man meinen. Die Frage muss deshalb erlaubt sein: Braucht die musikalische Welt eine weitere Veranstaltung dieser Art? Wer das Glück hatte, in der Woche vom 26. bis zum 31. März in Freiburg das neu ins Leben gerufene Emil-Gilels-Festival zu besuchen, weiß, dass die Antwort schlicht „ja“ lautet!
Dass der Russe Emil Gilels (1916–1985) zu den bedeutendsten Pianisten des 20. Jahrhunderts zählt, dürfte sich herumgesprochen haben. Ihm jetzt ein eigenes Festival zu widmen, ist einerseits konsequent, macht aber andererseits nur Sinn, wenn, ökonomisch gesprochen, Mehrwert erzeugt wird, der über den „festlichen“ Aspekt und die rauschenden Konzerte hinausweist. Genau das ist Felix Gottlieb, Professor der Musikhochschule Freiburg und treibende Kraft hinter der pianistischen Festivität, eindrucksvoll gelungen. Gottlieb, einst selbst Schüler von Gilels, hat 2009 die „Emil Gilels Foundation“ gegründet, und diese Stiftung hat es sich zur Aufgabe gemacht, den Künstler Gilels verstärkt ins öffentliche Bewusstsein zu bringen und – vor allem – seine Lebensspuren (Briefe, Fotos etc.) aufzuarbeiten, zu digitalisieren und so für die Nachwelt zu dokumentieren. Der Enkelsohn von Gilels verfügt in Moskau über ein umfangreiches Familien-Archiv, das nun nach und nach aufgearbeitet werden soll. Besonders begrüßenswert ist, dass im Zuge der Archivierung, deren erste Ergebnisse während des Festivals auf großen Rollups im Foyer der Musikhochschule ausgestellt waren, auch bislang unveröffentlichte Schallplattenaufnahmen von Emil Gilels ans akustische Tageslicht gefördert werden.
Eine erste CD ist pünktlich zum Festival erschienen. Sie trägt den Titel „Emil Gilels plays Frédéric Chopin“ und enthält vor allem dessen 24 Präludien op. 2 in einer interpretatorisch brillanten und technisch akzeptablen Mono-Aufnahme aus dem Jahr 1953. Das eigentliche Juwel dieser CD sind aber Chopins „Variationen über ‚Là ci darem la mano‘ aus Mozarts Don Giovanni, op. 2“. Dieser wahrhaft beglückende Live-Mitschnitt in Stereo aus dem Jahr 1963 zeigt die ganze Klasse des viel zu früh verstorbenen Ausnahme-Pianisten. Allen Gilels- und Tonträger-Fans sei gesagt: es gibt etwas Neues zum Sammeln! Leider nur wird die bisher erschienene CD (noch) nicht vertrieben, wer die Silberscheibe in seinen Besitz bringen möchte, wendet sich am besten direkt an die Stiftung.
Das zweite „Standbein“ des Festivals waren die Meisterkurse, die von Lilya Zilberstein, Dmitri Bashkirov und Robert Levin gegeben wurden. Robert Levin etwa brachte mit seiner lebhaften, absolut überzeugenden Art, seinen Adepten nicht nur die Tastentöne, sondern quasi im selben Atemzug auch noch (die) Musikgeschichte(n) bei.
Das Beste am Schluss: die Konzerte. Wahrlich, die Großen ihrer Zunft – Grigory Sokolov, Martha Argerich, die schon erwähnte Lilya Zilberstein und Evgeny Kissin – waren angetreten, um das kleine Freiburg an drei Abenden in eine Klaviermetropole von Weltrang zu verwandeln. Nicht zuletzt war es den guten Beziehungen von Professor Gottlieb zu verdanken, dass diese Stars sich im Breisgau die Ehre gaben. Aber auch sein Konzept überzeugte die Künstler, wie Gottlieb mit spürbarem Stolz in der Stimme betonte: „Grigory Sokolov hat mir gesagt, dass er es begrüßt, dass das Gilels-Festival unabhängig von einem konkreten Anlass wie etwa einem runden Geburtstag ausgerichtet wird und in Zukunft regelmäßig, nämlich alle zwei Jahre, in Freiburg stattfinden soll.“
Und so waren die Konzerte einfach grandios. Martha Argerich und Lilya Zilberstein im „Doppelpack“ mit Werken für zwei Klaviere, unter anderem von Brahms, Liszt und Schostakowitsch oder Evgeny Kissin mit Klaviersonaten von Beethoven, Barber und Chopin – absolut meisterhaft. Zwar hatten Argerich und Zilberstein effektvollere Werke als Brahms‘ „Variationen über ein Thema von Haydn“, B-Dur op. 56b im Gepäck, so etwa Franz Liszts „Concerto pathétique“ für zwei Klaviere oder das „Concertino“ in a-Moll op. 94 von Dmitri Schostakowitsch, dennoch ging das Variationswerk besonders unter die Haut. Und was Kissin aus Beethovens Sonate Nr. 14 in cis-Moll op. 27 Nr. 2 herausholte, war schlicht atemberaubend – was übrigens auch für seine grandiose Lesart der es-Moll-Sonate von Samuel Barber und seine nicht minder meisterhafte Interpretation von Chopins Klaviersonate Nr. 3 in h-Moll galt. Nach dem Festival ist vor dem Festival. Fest steht schon jetzt: Die Klavierwelt darf sich auf das Jahr 2014 freuen.