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Nicht für die Rolle „Dienstleisterin“ geschaffen: Anne-May Krüger. Foto: Michael Fritschi
Nicht für die Rolle „Dienstleisterin“ geschaffen: Anne-May Krüger. Foto: Michael Fritschi
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Man zahlt immer einen Preis

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Die Mezzosopranistin, Musikwissenschaftlerin und Librettistin Anne-May Krüger
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Anlässlich des nmz-Dossiers „Geschlechtergerechtigkeit“ im Interview gefragt, ob es für eine (Mezzo-)Sopranistin ein Gender-Thema gäbe, kommt von der Sängerin und Musikwissenschaftlerin Anne-May Krüger Klartext: „Ja. Auch wenn wir Sängerinnen – außer in der Alten Musik vielleicht – keine männliche Konkurrenz im eigenen Fach haben, spielt das eine Rolle. Wenn wir uns den sogenannten Markt anschauen, dann dominieren die Männer doch in den meisten entscheidenden Positionen: als Veranstalter, Intendanten, Dirigenten, Komponisten, oft sogar auf den zu besetzenden Solisten-Positionen, obwohl man unter den Interpretierenden doch mittlerweile 50/50 ausbildet. Will man hier etwas ändern, muss man vermutlich doch mit Quoten und ähnlichen Werkzeugen arbeiten. Gleichzeitig möchte ich aber betonen, dass Emanzipation für mich bedeutet, dass wir uns auf Augenhöhe begegnen und auch von Seiten der Frauen auf das Spiel mit Genderstereo­typen verzichten. Also weg mit patriarchalen Gesten, aber auch mit ‚sex-sells‘-Attitüden. Wir sollten zuallererst Kolleg*innen sein. Oder besser vielleicht noch: einfach Menschen.“

Zur Genderfrage gehört – frei nach Dario Fo – auch der Dauerbrenner ‚Kinder, Künstler, Karriere‘: „Als Mann würde mich das niemand fragen. Wie hast du das geschafft? Für mich verbieten sich mit Kindern größere Auswärtsproduktionen; ich will den Kindern Stabilität bieten. Zusammen mit meinem Mann, Mike Svoboda, habe ich eine Konstellation gefunden, wo das möglich ist. Ich möchte auch eine Vorbildfunktion für die jungen Frauen übernehmen, die jetzt bei mir studieren. Aber: Man kann nicht alles haben ohne Preis. Man zahlt immer einen Preis.“

Eine Gesangskarriere nicht von der Stange

Am Beginn der Sängerkarriere von Anne-May Krüger steht die Ballettstange. Mit vier Jahren bringt ihre Mutter sie in eine Vorklasse zur Staatlichen Ballettschule der DDR in Berlin. In der DDR war musikalische Bildung häufig eng mit Professionalisierung verbunden und so wird der Leistungswille tief in das Mädchen eingepflanzt. Die Fünfjährige wird wöchentlich gewogen und weiß früh, was Drill heißt. Schon immer will sie Gesangsunterricht und als sie im Alter von 11 endlich in den Kinderchor der Komischen Oper darf, da hat sie Blut geleckt: „Opernproduktionen mitmachen im Kostüm, mit Rolf Reuter vor dem Eisernen Vorhang verbeugen – das war toll!“

Auch nach der Wende bleibt Musik Alltag: Die junge Krüger geht jetzt aufs Georg-Friedrich-Händel-Musikgymnasium in Berlin und erhält Unterricht an der Musikschule, studienvorbereitende Abteilung: Das heißt eine Stunde Pflichtfach Klavier, zwei Stunden Hauptfach Gesang. Sie erinnert sich, viel Bartoli gehört zu haben. Sie ist beeindruckt von Cecilia Bartolis Virtuosität, aber auch vom Repertoire der Italienerin, die damals Dinge ausgrub, die man sonst nicht so hörte. An ihre ers­ten Lehrerinnen erinnert sie sich dagegen weniger gern. „Man hätte glücklicher starten können, was das Studium angeht. Man legte eine Schablone auf mich drauf, ich war Projektionsfläche für meine Dozentinnen.“ Zu sehr, fast naiv vertraut sie ihren Lehrern. Heute weiß sie, Schüler sind oft die unerfüllten Träume der Lehrer. Als sie endlich „ihrem“ Gesangslehrer Rudolf Piernay begegnet, muss sie fast von vorne angefangen.

Krügers Interesse an der Gegenwartsmusik läuft immer konträr zum Gesangsunterricht: „Ich musste mich durchsetzen gegen meine Lehrerinnen und deren Vorurteile, wie ‚das schadet der Stimme, das ist nicht schön‘. Sie konnten mit Neuer Musik nichts anfangen. Dann kam die Musikhochschule Karlsruhe, da besserte sich das durch Nähe zu Kompositionsklassen.“

Sie wird Assistentin von Gérard Buquet, der an der Karlsruher Hochschule das Ensemble für Neue Musik leitet, und singt viel für die Klasse von Wolfgang Rihm. Gleichzeitig wird sie in die Karlsruher Opernschule aufgenommen, deren Leiterin Alicja Mounk einen starken Bezug zur Neuen Musik hatte.

Der Tüchtigen gehört das Glück: Krüger geht als eine der ersten Stipendiatinnen an das von Klaus Zehelein gegründete Forum Neues Musiktheater der Staatsoper Stuttgart. „In den drei Monaten, die ich auf dieser experimentellen Bühne verbringen durfte, habe ich viele Menschen kennengelernt, mit denen mich die Musik – vor allem die Neue – seither immer wieder zusammengebracht hat. An der Musik der Gegenwart schätzt Krüger, dass das Schubladendenken weitaus weniger stark ausgeprägt ist als in der sogenannten „Mainstream“-Klassik. Stücke werden oft zusammen mit den Komponist*innen entwickelt, und die Sänger*innen müssen ihre eigenen Vorbilder sein. Ein Role Model, das zu Anne-May Krüger passt.

„Ich bin keine Dienstleisterin!“ Die Mezzospranistin Anne-May Krüger liefert auf der Bühne nicht nur arbeitsteilig die Noten ab, die in der Partitur stehen. Sie will mehr: Schon zu Studienzeiten an der Jungen Oper in Mannheim war ihr Spitzname „Die Dramaturgin“ – ein erster Hinweis auf ihren Willen, als exzellente Sängerin auch über ihre Rolle hinaus am schöpferischen Prozess Musiktheater mitzudenken und mitzukreieren. Heute ist Anne-May Krüger eine international tätige Interpretin insbesondere Neuer Musik, die auch Libretti verfasst und ihren durch Corona erzwungenen Hausarrest im vergangenen Jahr dazu nutzte, an der Universität Basel im Fach Musikwissenschaft ihre Doktorarbeit über Sänger*innen Neuer Musik zu verteidigen.

Vom Medium zur Akteurin

Die Einstudierung und Aufführung von Peter Maxwell Davies’ „Eight Songs for a Mad King“ (1969) und „Miss Donnithorne’s Maggot“ (1974) war Teil ihres Doktoratsprojekts „Musik über Stimmen“, das anhand von drei beispielhaften Künstlern – Cathy Berberian, Carla Henius und Roy Hart – den Einfluss von Sängerpersönlichkeiten auf solistisches Vokalrepertoire der 1950er/1960er Jahre im Umfeld der Darmstädter Ferienkurse für Neue Musik untersucht.

Dem Usus entsprechend hatte auch Anne-May Krüger lange Zeit wissenschaftliche Arbeit und Musikpraxis fein säuberlich voneinander getrennt. Ein Wendepunkt kam bei der Arbeit an ihrer Rolle in „The Medium“ (1983) von Peter Maxwell Davies am Landestheater Tübingen im Oktober 2009. Das fünfzigminütige Monodram ist eine echte Tour de Force für jede Sängerin: eine großartige Wahnsinnsarie ohne Oper drumherum. Lang, superanstrengend, nur eine Protagonistin ist auf der Bühne – was macht man daraus? „Nach 18 utopischen Wochen Zeit für die künstlerische Recherche habe ich aus der Musik den Schlüssel für meine Dramaturgie genommen. Der Prozess sich ‚The Medium‘ zu erarbeiten, war auch Teil meiner Masterarbeit.“ Die wiederum war der Einstieg der Künstlerin in die wissenschaftliche Arbeit. Wesentlich ist für Krüger, dass musikalische Praxis in diesem Kontext nicht primär Ergebnisse musikwissenschaftlicher Forschung verdeutlicht, sondern selbst als epistemische Technik zu verstehen ist.

Trotz Corona mangelt es Anne-May Krüger auch in diesen Tagen nicht an Arbeit: Seit 2011 betreut sie den Forschungsschwerpunkt „Aufführungspraxis der Neuen Musik“ an der Hochschule für Musik in Basel, einen weiteren Lehrauftrag hat sie am musikwissenschaftlichen Seminar der Universität Basel. Noch im November 2020 hatten sie und ihr Mann Mike Svoboda eine kleine Konzertreihe begonnen, die Pop-up Concerts im Musikerwohnhaus Basel, ehe das Veranstaltungsverbot kam. „Da haben wir quasi Hauskonzerte für maximal 15 Personen angeboten, was sehr gut angenommen wurde. Das gab zumindest für kurze Zeit das Gefühl, nicht völlig ausgeliefert zu sein.“ Zu ihren Kursen, einem Forschungsprojekt zu Fluxus und weiterer Projekte an der Basler Musikhochschule kommt die Vorbereitung neuer künstlerischer Projekte für die Post-Corona-Zeit. Aktuell arbeitet sie mit dem Komponisten und Sound Performer Andreas Eduardo Frank an einem neuen Duo-Programm „what you see – is what you get – is what you hear“. Das Programm umfasst Kompositionen für Stimme, Video und Elektronik von Paul Clift und Andreas Eduardo Frank selbst sowie Luc Ferraris „Monologus I“ für Stimme und Bandmaschinen und soll im April 2021 erstmals in Basel gezeigt werden. Franks kompositorischer Beitrag, „Restore Factory Defaults“, ist für Anne-May Krüger ein „wesentlicher Schritt zu meiner wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit der ‚Fabbrica illuminata‘ von Luigi Nono“. Frank behandelt Problemstellungen aus der Entstehungsgeschichte der Fabbrica, nämlich die Einheit von Live-Stimme und der Stimme auf dem Tonband, aber auch die Frage nach der Verbindung von Musik und politischem Engagement.

Bei der Uraufführung von Paul Clifts „Turn me on, dead man“ geht es um das Phänomen der Pareidolia. Es ist ein liebevoll sardonischer Blick auf das Phänomen, dass Menschen immer aus allem „Sinn“ destillieren können, vielleicht sogar müssen. „Monologus I“ von Luc Ferrari, ein Auftragswerk von Carla Henius für eine Sängerin, die sich selbst begleitet und 2 REVOX Tonband-Maschinen, vervollständigt das neue Programm des Duos Krüger/Frank. Im Mai 2021 wird Anne-May Krügers erstes Libretto, „Die Katze, die ihre eigenen Wege ging“, nach Motiven von Rudyard Kipling in der Vertonung von Mike Svoboda am Landestheater Linz zur Uraufführung kommen. Aktuell entsteht das Libretto zu Mike Svobodas „Adam und Eva“ nach Peter Hacks’ gleichnamiger Komödie. Das Musiktheater ist ein Auftragswerk der Schwetzinger Festspiele und wird dort 2024 uraufgeführt.

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