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Mehr als Design und Hintergrund

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Die Juniorprofessorin Melanie Fritsch beackert das junge Forschungsfeld Ludomusicology
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Musik aus Computerspielen war lange für die Forschung uninteressant. Das hat sich inzwischen geändert. Seit genau 15 Jahren gibt es sogar ein eigenes Wort für das Forschungsfeld „Computerspielmusik“: Ludomusicology nennt sich der junge Wissenschaftszweig. Zu den deutschlandweiten Expertinnen dieser sehr dynamischen Forschungsrichtung zählt Melanie Fritsch. Seit Oktober 2020 ist sie Juniorprofessorin für Medienkulturwissenschaft mit Schwerpunkt „Game Studies“ an der Uni Düsseldorf.

Nicht zuletzt aufgrund eigener Spiel­erfahrung begann Fritsch, sich intensiver mit dem Phänomen „Computerspielmusik“ zu beschäftigen. „Ich bin 1980 geboren, also mit Nintendo und dem Game Boy aufgewachsen“, erzählt die Medienkultur- und Theaterwissenschaftlerin. Ursprünglich hatte sie am Bayreuther Forschungsinstitut für Musiktheater über Stummfilmmusik promovieren wollen. Dann entdeckte sie, dass es Ähnlichkeiten zwischen Stummfilm- und Computerspielmusik gibt und promovierte über Musikperformances der Computerspielkultur. In beiden Fällen muss die Musik flexibel gehalten werden und sich an das Geschehen anpassen. Im Falle von Spielmusik ist das sogar noch viel stärker ausgeprägt als bei Filmmusik: Je nachdem, wie ein Spieler agiert, können Soundeffekte, Umgebungsgeräusche oder eben Musik ausgelöst werden. Diese Entdeckung fand Melanie Fritsch so spannend, dass es sie reizte, tiefer in die Ludomusicology einzutauchen.

Schon vor vielen Jahren begann ein Umdenken: Musik in Adventure- und Rollenspielen wurde nicht mehr als etwas Zweitrangiges angesehen. „Bereits 1984 gab es in Japan Schallplatten mit Computerspielmusik“, so Melanie Fritsch. Vor genau 35 Jahren fand in der Suntory Hall Tokio das weltweit erste orchestrale Konzert mit Computerspielmusik statt. Exakt 16 Jahre später, am 20. August 2003, war Spielemusik erstmals in Deutschland in einem Konzert mit dem Czech National Symphony Orchestra zu hören.

Vor elf Jahren wurde mit der „Ludomusicology Research Group“, der Melanie Fritsch seit 2016 angehört, die erste Forschungsgruppe gegründet, die sich mit Computerspielmusik befasst. „Die erste Jahrestagung hatten wir in Leipzig, also dort, wo das weltweit erste Konzert mit Spielemusik außerhalb Japans aufgeführt wurde“, berichtet die Forscherin. Bei der letzten Jahrestagung der Gruppe Ende April in London ging es unter der Überschrift „Music, Myth and Magic in Video Games“ unter anderem um Storytelling in Soundtracks. Das Forschungsfeld wurde und wird vor allem von Frauen beackert. Zu den Vorreiterinnen gehört Karen Collins mit ihrer 2008 veröffent­lichten Publikation „Game Sound“. Aber auch Melanie Fritsch trat früh mit Beiträgen zur Ludomusicology an die Öffentlichkeit. 2009 hielt sie auf der Berliner Musikmesse einen Vortrag mit dem Titel „Zurück in die Jugendkultur – die Rückkehr der Musik über Computerspiele“. Mit ihrer 2018 veröffentlichten Dissertation „Performing Bytes“ legte sie eine umfassende Studie zum Phänomen „Musik in digitalen Spielen“ vor.

Computerspielmusik kann laut Melanie Fritsch ein reines Design- und Hintergrundelement sein. Daneben gibt es aber auch explizite Musikcomputerspiele. Sie selbst interessieren vor allem spielerische Praktiken: „Es gibt zum Beispiel Leute, die Computerspielmusik nachspielen und auf YouTube stellen.“ Mehr und mehr verfes­tigte sich bei Melanie Fritsch der Gedanke, dass das Spielen eines digitalen Spiels als eine Form der Aufführung angesehen werden kann: „Ich als Spielerin bestimme ja, was passiert.“ Ähnlich wie bei einer Opernaufführung kann ein Computerspiel unendlich oft „aufgeführt“ werden: „Und es passiert nie das Gleiche.“

Qualitativ gibt es bei der Computerspielemusik alles, angefangen von wirklich schlechten Soundtracks über experimentelle Musik bis hin zu nachgerade virtuosen musikalischen Leistungen. Ein Beispiel dafür sind laut Melanie Fritsch die Kompositionen von Garry Shyman, die für das Spiel „Bioshock“ verwendet wurden. Dabei kam es zu einem Mix von Musique Concrète, der Zwölftontechnik und aleatorischer Musik: „Spielt man das klassischen Musik-Fans vor, sind sie ganz erstaunt, dass dies tatsächlich Computerspielmusik ist.“ Der Soundtrack ist nach ihren Worten immer dazu gedacht, die Spiel­erfahrung zu unterstützen. Dazu müsse man sich bewusst machen, dass es eine ausgeprägte emotionale und auch körperliche Erfahrung ist, zu spielen. Spieler, die ganz im Sog eines spannenden Spiels gefangen sind und alles andere um sich herum vergessen, agieren körperlich vor dem Bildschirm.

Computerspielmusik mag nicht jedem gefallen, so Fritsch. Ungeachtet dessen ist sie von einer Relevanz, die ihr heute niemand mehr absprechen kann: „Denn sie greift in andere Bereiche hinein.“ Elektronische Musik zum Beispiel hätte sich nie auf die geschehene Weise ohne die Computerspielmusik und ihre Tools entwickeln können. Fritsch erinnert an den jungen deutschen Hacker Karsten Obarski. Der kreierte vor 35 Jahren den ersten Soundtracker, der ein 4-Kanal-Echtzeit-Hardware-Mixing auf allen Computertypen von Amiga möglich machte. Hacker verbesserten diesen Tracker und verteilten ihn frei. In der Folge kamen weitere Tracker auf: „die dann auch in der elektronischen Musik zum Standard geworden sind.“ 

Musiker wie Jesse Saunders („On & On“, 1984), Buckner & Garcia („Pac-Man Fever“, 1981) oder Ambassadors of Funk („Super Mario Land“, 1992) integrierten Spielemusik japanischer Komponisten in ihre Arbeit oder bezogen sich darauf. Sie sampelten zum Beispiel Melodien, Klänge oder die 8-Bit-Klangästhetik früher Spielemusik. Computerspielmusik, so Melanie Fritsch, fand also schon sehr früh Eingang in die breitere Popkultur. Nicht vergessen werden dürfe schließlich, dass viele Musikerinnen und Musiker der Neuen Musik mit Computerspielmusik aufgewachsen und dadurch mindestens indirekt beeinflusst sind.

Aktuell plant Melanie Fritsch ein Forschungsprojekt, das sich mit der Frage befassen soll, wie Computerspiel­musik die elektronische Tanzmusikkultur in Deutschland und Großbritannien beeinflusst hat. Dabei interessiert sie vor allem die Frage, welchen Einstieg es in die elektronische Tanzmusik gab: „Also zum Beispiel über Stockhausen, über Computerspielmusik oder auch über die Hacker-Szene“. Dazu sollen Berichte von Zeitzeugen in Archiven herangezogen und Zeitzeugen befragt werden.

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