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Europa als kritische Heimat: Igor Levit. Foto: Robbie Lawrence
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Musik muss zunächst einmal überhaupt nichts

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Der Pianist Igor Levit im Gespräch über die Freiheit des Interpreten und politisch-musikalische Diskurse
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Er zählt zu den profiliertesten Künstlern seiner Generation: Mit seinen Konzertprogrammen und Aufnahmen fordert Igor Levit sein Publikum zur intensiven Auseinandersetzung mit Musik heraus und bekennt mit klaren Äußerungen unter anderem auf seinem Twitter-Account politisch Farbe. Juan Martin Koch hat den Pianisten zum Gespräch getroffen.

neue musikzeitung: Sie spielen oft ungewöhnliche, wenig „eingängige“ Programme. Gibt es Widerstand von Veranstaltern oder können Sie machen, was Sie wollen?

Igor Levit: Ich mache keine Programme aus der Dunkelkammer heraus. Ich höre auch zu, Dinge entstehen gemeinsam. Da ist mittlerweile ein Vertrauen gewachsen zwischen Veranstaltern und mir, sodass mir da – Stand heute – niemand Steine in den Weg legt. Aber ich schlage auch nicht einfach nur ein einziges Programm vor, unabhängig davon, wo ich bin. Es interessiert mich schon, wohin ich fahre und warum. Darüber sprechen wir, aber Widerstand? Nein, Gott sei Dank!

nmz: Sie beziehen sich gerne auf Ferruccio Busonis Idee von der Freiheit der Musik. Er sieht die Noten als „ingeniösen Behelf“, aber eben auch als „Starrheit der Zeichen“, die vom Interpreten wieder „aufzulösen“ und „in Bewegung zu bringen“ sei. Arnold Schönberg widerspricht in seinen Anmerkungen: Ein zu individueller Interpret werde zum „Parasiten an der Außenseite“… Wo sehen Sie sich?

Levit: Sie haben es schon angedeutet: Mich zieht es eher zu Busoni. Ich finde es wahnsinnig traurig in dieser Diskussion, dass man nur von zwei Extremen spricht: Der eine Interpret sei toll, weil er – jetzt werde ich mal leicht flapsig und benutze einen Satz, den Journalisten gerne benutzen – sich „hinter das Werk“ stelle. Das ist eine Formulierung, die ich, verzeihen Sie mir den Ausdruck, wahnsinnig arm finde. Denn ich frage mich, wie das funktionieren soll. In den allermeisten Fällen kennen wir uns gar nicht persönlich. Wie soll das Publikum wissen, dass ich mich hinten dranstelle? Ich bin immer noch derjenige, der da am Instrument sitzt. Wie soll das gehen, dass ich mich selber quasi auslösche und nur das Werk bleibt? Das ist auf sehr vielen Ebenen intellektuell ganz schön dünn, auch wenn es klug klingt. Das ist die eine Rolle, die es zu geben scheint. Die andere ist die, dass es heißt: Der hat das Stück von links nach rechts gedreht. Ich halte beide Formulierungen für dünn, mittlerweile langweilen sie mich sogar. Worüber Busoni redet und was meiner Meinung nach sehr wichtig ist, ist Folgendes: Wenn ich versuche zu verstehen, was dieser Notentext mir sagt, dann liegt die Betonung darauf, dass ich es bin, der das versucht. Und da spielt alles eine Rolle: meine Herkunft, meine Sozialisation, meine Emotion, mein Jahr, mein Monat, meine Woche, mein Tag, was auch immer… Dann lese ich ein forte so und übermorgen lese ich es komplett anders. Dann spiele ich das heute in dem Tempo und morgen vielleicht in einem anderen. Es ist meine individuelle Freiheit, das zu tun. Und wenn ich es tue, stehe ich dazu und dann kann auch gerne jemand von der Seite ankommen und sagen: Das geht aber gar nicht! Ja bitte, das ist ja völlig okay! Aber die Vorstellung, ich lösche mich aus und es bleibt nur das Werk, hat mir noch niemand erklären können.

nmz: An anderer Stelle in der „Ästhetik der Tonkunst“ spricht Busoni von der Musik als einer noch jungen Kunst (im Vergleich zur Architektur, zur Plastik, zur Dichtung und zur Malerei): „eine jungfräuliche Kunst, die noch nichts erlebt und gelitten hat“. Was würde er 100 Jahre später sagen?

Levit: Das ist jetzt echt eine große Frage. Schon zu Busonis Zeit hat Musik erlebt und gelitten, zu unserer Zeit noch viel mehr. Sie wird natürlich auch missbraucht. Ich finde sehr vieles an politisch motivierten Konzerten sehr schwierig und sehr fragwürdig. Ich fand die Art und Weise, wie mit Beethovens Neunter beim G20-Gipfel umgegangen wurde, sehr fragwürdig. Und zwar nicht nur seitens der Verantwortlichen, sondern auch seitens unserer Leute – wie dann darüber gesprochen wurde: mindestens kritikwürdig, wenn nicht sogar zum Teil abstoßend.

Niemand hat die Deutungshoheit

nmz: Wie muss die Musik von heute klingen, um deutlich zu machen, dass sie etwas erlebt und durchlitten hat?

Levit: Ich mag es nicht, in Zitaten zu antworten, aber jetzt tue ich es doch einmal: Es gibt diesen wunderbaren Satz von Miles Davis – Musiker von heute hören ganz andere Geräusche als Musiker von früher, Musiker in der Zukunft werden ganz andere Geräusche hören… Automatisch spiele ich anders. Musik muss zunächst einmal überhaupt nichts. Sie klingt erstmal und dann sehen wir weiter, sie gehört keinem und allen, wie Busoni auch so wunderbar schreibt: Der Komponist, der aus seiner Vorstellungskraft, die grenzenlos ist, etwas aufs Papier bringt und sich dadurch selbst in Zeichen eingrenzt, übergibt das jetzt dem Interpreten. Wie kann jemand dann meinen, das sei das letzte Wort? Niemand hat die Deutungshoheit. Ich weiß nicht, wie Musik von heute klingen soll. Sie ist halt von heute, also klingt sie heutig.

nmz: Und wie muss sie klingen, damit sie Sie interessiert? Sie haben sich ja zum Beispiel durch Ihre Aufnahme und im Konzert sehr für Frederic Rzewskis Zyklus „The people united will never be defeated!“ eingesetzt…

Levit:  Der hat mich schon immer gepackt! Ich halte ihn einfach für eines der wichtigsten Variationswerke der Klavierliteratur. Ich weiß nicht, wie sie klingen muss. Ich muss sie hören und dann wird man sehen. Es ist grundverschieden. Sie kann klingen wie „The people united...“, wie ein Jobim-Lied, wie eine Fred Hersch-Improvisaion, wie Kendrick Lamar. Das ist mir zunächst einmal ein bisschen egal. Ich muss hören und dann werde ich mehr dazu sagen können. Im Moment interessieren mich zum Beispiel Stefan Wolpe oder Ronald Stevenson, aber auch Improvisationen…

nmz: Anfang des Jahres wurde bekannt, dass Sie den mit 300.000 US-Dollar dotierten Gilmore Award erhalten. Der Großteil davon ist für „Aktivitäten und Projekte zur Weiterentwicklung der Musikkarriere“ gedacht. Was haben Sie damit vor?

Levit: Fragen Sie mich nicht! Das ist mir noch zu anstrengend, mir darüber Gedanken zu machen. Das einzige, was ich weiß: Ich werde es nicht, auch nicht auf Umwegen, in die eigene Tasche stecken. Ich werde mir nicht zwei Flügel kaufen und mir von einer Stiftung sozusagen meine Altersvorsorge bezahlen lassen. Ich werde versuchen, es so zu nutzen, dass es meine Handschrift trägt, aber so viele wie möglich etwas davon haben.

Armer Künstler – böse Plattenfirma?

nmz: Sie sind „gut im Geschäft“, haben einen Plattenvertrag bei einem renommierten Label. Fühlen sich sich „vermarktet“?

Levit: Ganz persönlich gesagt: Ich habe ein Umfeld, das ich sehr gern habe, mit dem ich mich eng austausche. Ich habe ein sehr vertrautes Verhältnis zu meinen Partnern im Management und bei der Plattenfirma. Wir sind uns von Beginn an frei von Rollenspielen begegnet. Sie wussten, worauf sie sich einlassen, und ich interessiere mich für das, was sie machen. Wir hören einander zu. Ohne sie, dazu gehören auch mein Tonmeis­ter und mein Klavierstimmer, würde gar nichts passieren. Es gibt Vermarktung, selbstverständlich, aber – und jetzt kommt eine Allerweltswahrheit – die Unterschrift, die darunter steht, ist immer noch meine. Das Spiel vom armen Künstler und den bösen Plattenfirmen spiele ich nicht mit. In den meisten Fällen haben die Künstler dem wohlwollend zugestimmt, worüber unsereiner sich dann die Haare rauft.

nmz: Aber spüren Sie nicht auch Druck?

Levit: Von mir selbst ja, furchtbar! Lassen Sie uns nicht darüber reden. Ich bin häufig nicht sehr gut zu mir, sagen wir es mal so…

nmz: Am 14. Februar haben Sie zum Jahrestag der Verhaftung Dennis Yücels in der Türkei an einer Lesung und Protestveranstaltung mitgewirkt, zwei Tage später dürfte er das Gefängnis verlassen. Das war nun ein glücklicher Zufall, aber wünschen Sie sich manchmal die Macht, mit einem Konzert etwas ganz konkret verändern zu können?

Levit: Das wünschen wir uns alle, und alle, die mitgemacht haben, wünschen sich, dass jeder der Journalisten freikommt. Dennis Yücel ist frei – wir machen trotzdem weiter. Es denkt keiner ans Aufhören. Wir sind ja nicht zum Spaß hier! (lacht)

nmz: Sie sind auch auf Twitter sehr aktiv, äußern sich politisch. Wie sind die Reaktionen, wenn da der Pianist Levit Contra gibt?

Levit: Das kann ich Ihnen vorlesen, das ist sehr lustig. Wie hat der Poggenburg mich gestern genannt? Sekunde – (schaut in sein Smartphone)  – „linksdümmlich“! Das Klavier spielt da gar keine Rolle. Wenn mir irgendwelche anonymisierten User antworten, geht mir das zum einen Ohr rein und zum anderen wieder raus. Manche Diskussionen führe ich gar nicht.

Der verfassungsrechtliche Rahmen ist keine Filterblase

nmz: Gerne ist ja von der „Filterblase“ die Rede, in der sich Künstler und Intellektuelle unter Gleichgesinnten bewegen würden…

Levit: Das ist dummes Zeug, denn man wundert sich, wie viele Künstler hanebüchene Meinungen vertreten. Wir sind in keiner Blase. Ich weiß nicht mehr, welcher Politiker das gesagt hat: „Man kann sagen, was man denkt, solange man denkt.“ Freie Meinungsäußerung – dafür haben wir eine Verfassung, haben Gesetze – ist nicht unbegrenzt. Es ist nicht alles Filterblase, was sich im verfassungsrechtlichen Rahmen bewegt. Ich fühle mich nicht in einer Filterblase. Ich habe einfach das Gefühl, dass ich ich in bestimmten Dingen Recht habe und dafür streite ich.

nmz: Am 7. Februar haben Sie getwittert: „Horst Seehofer? Suche ab sofort eine neue Heimat.“ Sie stammen aus Russland, sind seit Ihrem achten Lebensjahr in Deutschland aufgewachsen und bezeichnen sich als Europäer. Was bedeutet Heimat für Sie?

Levit: Ich habe keinen ländlichen, räumlichen Heimatbegriff, ich habe eine menschlichen Heimatbegriff. Ich bin bei meiner Familie zuhause, wo immer sie ist, bei meinen Freunden, wo auch immer sie sind. Ich habe keinen Bezug zu Räumen, ich bin gerne zuhause, weil ich weiß, da bin ich nicht allein.

nmz: Und Europa ist dann die geistige, ideelle Heimat?

Levit: Selbstverständlich, und das ist eine sehr kritische Heimat. Ich bin wirklich kein Rosamaler, was europäische Realitäten angeht. Aber das, woran ich glaube, lasse ich mir nicht von irgendwelchen Brutalopportunisten, die gegen die „Eliten“ wettern (was immer das ist) und selber seit 25 Jahren im europäischen Parlament sitzen, kaputt reden. Da fühle ich mich persönlich angegriffen. Und in der kleinen Welt, die ich bediene und in der ich mich bewege, versuche ich etwas dagegen zu machen. Das wäre auch nicht anders, wenn ich etwas anderes geworden wäre als Pianist. Das habe ich nicht erst jetzt entdeckt.

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