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Musik unter dem Stiefel

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Ein Kooperationsmodell zwischen Schule und Musikschule
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Die Zusammenarbeit von Schule und Musikschule vollzieht sich nicht immer unproblematisch. Oft verbirgt sich dahinter nicht mehr als blanke Kompensation: Damit an allgemein bildenden Schulen überhaupt noch unterrichtet wird, übernehmen Musikschulen jene Bereiche, die von der Schulmusik nicht mehr wahrgenommen werden können. Echte Kooperation jedoch bedeutet immer, dass beide Partner etwas realisieren, was einer alleine nicht bewerkstelligen könnte.

Von einem solchen Projekt soll hier die Rede sein. Ort des Geschehens ist Herrenberg, eine Kleinstadt südlich von Stuttgart. Was im Frühsommer 2002 von Volker Mall und Hans-Martin Werner (Musiklehrer an den beiden Gymnasien) sowie Doris Froese (Leiterin der hiesigen Musikschule) in Angriff genommen wird, geht weit über die gewohnte Arbeit der genannten Institutionen hinaus. Involviert werden sollen überdies Parteien (SPD und Grüne), die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), der Verein „Gegen Vergessen – Für Demokratie“ oder aber Jazzin` Herrenberg, eine lokale Jazz-Initiative. Es geht um nichts Geringeres als die Ausstellung „Entartete Musik“, einer kommentierten Rekonstruktion der Düsseldorfer Ausstellung von 1938.

Ehrenamtliches Engagement war Bedingung. Schüler der Jahrgangsstufe zwölf des Schickhardt-Gymnasiums realisierten nicht nur Auf- und Abbau der Ausstellung im neuen Konzertsaal der Musikschule, sie standen auch während der 14 Tage als sachkundige „Führer“ zur Verfügung. Über 1.000 Besucher, darunter viele Schulklassen, wurden während dieses Zeitraums durch die Ausstellung geleitet!

Zuvor hatten die Schüler im besten Sinne Anforderungen neuerer Pädagogik umgesetzt: Recherche, Dokumentation und Präsentation über die Situation der Musik in Herrenberg während der Zeit des Nationalsozialismus im Archiv der örtlichen Zeitung waren zu leisten, Durchsicht der Zeitdokumente bei Gesangsverein, Stadtkapelle und Kirche waren vorausgegangen. Immer wieder greifbar – die Trivialität des Bösen, auch im lokalen Bereich. Stellvertretend erwähnt sei ein Stadtpfarrer, der Hitler im Frühjahr 1933 als neuen Messias begrüßt.

Eindringlichster Moment der Ausstellung war wohl die Eröffnung. Zu- gegen hier der Komponist Jürg Baur (geboren 1938). Von nachhaltigem Eindruck zugleich seine Kompositionen für Akkordeon, die in der Interpretation durch Dieter Dörrenbacher den Rahmen der Eröffnung bildeten.

Die Zeitzeugenberichte wurden durch Musik des Saxophonisten Emil Mangelsdorff und seines Quartetts ergänzt, Kantorei und Collegium musicum (Leitung: KMD Ulrich Feige) musizierten in der vollbesetzten Stiftskirche Werke von Felix Mendelssohn-Bartholdy. Schüler der Gymnasien und der Musikschule traten mit Werken unterdrückter Komponisten auf und dann gab es da noch den Wettbewerb „Musik gegen Rechts“, unter Beteiligung von zehn Musikgruppen. Unangefochtener Sieger die Band „Thoughtless“ mit der kompromisslosen Grunge-Adaptation „Ne Glatze kriegt man früh genug!“

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