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Musik von den Rändern der Ozeane

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32. Deutsches Jazzfestival Frankfurt erinnerte an Charles Mingus
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Zufrieden nuckelt er auf dem Plakat zum 32. Deutschen Jazzfestival Frankfurt an einem Zigarrenstummel, und auch der Sonnenhut signalisiert, dass es sich bei dem Mann, der den Kontrabass an die linke Schulter gelehnt hat, wohl um einen gemütlichen älteren Herren handeln muss, der keiner Fliege was zu Leide tun kann. Denkste. Charles Mingus hatte den Ruf eines Cholerikers, eines Berserkers weg – aber wenigstens führte die Aggression, die er auslebte, zu etwas Konstruktivem. Seine Mitmusiker hat er öfters ohne Rücksicht öffentlich beschimpft und gedemütigt, und die Musik brach er auf der Bühne schon mal radikal ab, wenn sie nicht so funktionierte, wie er es sich vorstellte.

Zufrieden nuckelt er auf dem Plakat zum 32. Deutschen Jazzfestival Frankfurt an einem Zigarrenstummel, und auch der Sonnenhut signalisiert, dass es sich bei dem Mann, der den Kontrabass an die linke Schulter gelehnt hat, wohl um einen gemütlichen älteren Herren handeln muss, der keiner Fliege was zu Leide tun kann. Denkste. Charles Mingus hatte den Ruf eines Cholerikers, eines Berserkers weg – aber wenigstens führte die Aggression, die er auslebte, zu etwas Konstruktivem. Seine Mitmusiker hat er öfters ohne Rücksicht öffentlich beschimpft und gedemütigt, und die Musik brach er auf der Bühne schon mal radikal ab, wenn sie nicht so funktionierte, wie er es sich vorstellte.Beim Auftakt-Konzert in Frankfurt hätte der 1979 verstorbene Mingus vermutlich nicht lange gewartet, bis er sein Veto in den Raum gebrüllt hätte. Der große Gunther Schuller dirigierte die sonst eigentlich tugendhafte HR-Big Band. Der aber hörte man die vier Probentage so gut wie nie an. Saft- und kraftlos hangelte sich der Rundfunk-Klangkörper durch das trickreich arrangierte Material. Von wegen: Erbarme! Die Hesse komme! Wenigstens der Tenorsaxophonist Ernie Watts, der kurzfristig für Joe Lovano als Solist eingestiegen war, überzeugte mit beseeltem Spiel. Auch der zweite Mingus-Programmpunkt musste leider als Flop abgebucht werden. Der Police-Gitarrist Andy Summers versucht sich am Jazz, seit er kein Geld mehr verdienen muss. Oft bleibt es beim Versuch. Während seine beiden Mitmusiker, Ex-Stones- und Miles-Bassist Darryl Jones und Trommelgranate Dennis Chambers meist agierten, als sei ihr Doughnutgeber gar nicht mit auf der Bühne, spielte der pensionierte Bulle bekannte Mingus-Nummern mit einer Mischung aus Ungeschick und freudloser Sperrigkeit. Der Saxophonist Heinz Sauer übernahm die Ehrenrettung. Er komponierte Material, das vom Geiste Mingus‘ inspiriert war. Und wie. Brillant spielte er mit der Form und deren kunstvoller Auflösung.

Mingus thronte zwar über dem Deutschen Jazzfestival Frankfurt – aber die Veranstaltung war eindeutig seine: Helge Schneiders. Wochen im voraus war sein Konzert bereits ausverkauft (auch für die beiden anderen Tage gab es schon lange vor der Veranstaltung keine Karten mehr).

Wer nun Katzeklo-Swing erwartete, wurde enttäuscht. Liebevoll und sehr zurückhaltend streute die diesmal stumme Herrentorte musikalische Gags. Unvergessen bleibt das Fake-Panflötensolo am Synthie oder die verjazzte Mondscheinsonate. Sonst aber hob sich der Fitze-Fatze-Philosoph seinen ziemlich eigenen Humor meist für die Ansagen auf und blieb musikalisch ernsthaft. Mit Drummer Charly Antolini und Bassist Rocky Knauer probte Helge den fliegenden, swingenden Wechsel zwischen Piano, Klarinette, Tenorsax, Trompete, Melodika, Xylophon oder Rasseln. Respekt! Ansonsten in Frankfurt: der sagenhafte italienische Alt- und Sopransaxophonist Stefano di Battista goss reichlich Herzblut ins Publikum, sein amerikanischer Kollege James Carter zeigte mit seinem Gypsy-Programm, dass er gelernt hat, seine Ausbrüche etwas zu zügeln. KrashArea mit Elliott Sharp (Gitarre, Tenorsax, Bassklarinette), David Krakauer (Klarinetten) und Rea Mochiach (Schlagzeug, Sampler) präsentierte ein aufwühlendes Schock-Programm, das Noise-, Klezmer- und Jungle-Elemente fusionierte. Der Norweger Trygve Seim bot ein fast meditatives Kontrast-Programm. Voller Würde, mit allen Tönungen der Melancholie floss sein „Different Rivers“ dahin. Ab und zu aber tauchten Stromschnellen auf. Vom Fluss zum Meer. An den Rändern der Ozeane klaubt der Posaunist Steve Turré seit Jahrzehnten Muscheln auf und wandelt sie in imposante Blasinstrumente um. Durch ein Latin- und Blues-gefärbtes Repertoire drangen die Muschelklänge direkt in die Seelen der Zuhörer vor.

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