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Bojan Budisavljevic. Foto: Netzwerk
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Neue Musik im Zentrum des Musiklebens

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Bojan Budisavljevic im Gespräch
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„Nur belastbare Projekte bekommen den Zuschlag“ – unter dieser Überschrift fand sich vor genau einem Jahr zum Start des Projekts Netzwerk Neue Musik ein Interview mit Hortensia Völckers, der Künstlerischen Direktorin der Kulturstiftung des Bundes, in der neuen musikzeitung. Das erste von insgesamt vier Jahren Belastungsernstfall ist vorüber.

Über einzelne Projekte in Passau, Kiel, Saarbrücken, Berlin, Köln (in dieser Ausgabe) hat die nmz berichtet. Chefredakteur Andreas Kolb traf sich jetzt mit Bojan Budisavljevic, dem künstlerischen Geschäftsführer des NNM, zum Gespräch über ein Jahr Vermittlung von Neuer Musik in Deutschland.

neue musikzeitung: Als das Förderprojekt Netzwerk Neue Musik (NNM) von der Kulturstiftung des Bundes gegründet wurde, wurde viel von einem Defizit der Neuen Musik gesprochen: sie würde zu wenig gespielt, gar nicht gehört, sie sei – salopp gesagt – in der Schmuddelecke der Gegenwartskünste gelandet. Das sollte das Netzwerk Neue Musik ändern. Ein Zitat von Karlheinz Stockhausen in einer der jüngsten Publikationen des NNM liest sich so, als hätte der Komponist damit die Grundidee des Netzwerkes ausgesprochen: „Ein Publikum muss dadurch geformt werden, dass man etwas Bestimmtes aufführt, regelmäßig, dann werden sich allmählich Geister um bestimmte Dinge herum sammeln.“
Bojan Budisavljevic: Eine Grund-idee des NNM ist ein erweiterter Begriff der Vermittlung und der musikalischen Bildung, wie er dem Zitat zu Grunde liegt. Wir verstehen so musikalische Bildung und Vermittlung als Gesamtheit der vorbereitenden, nachbereitenden und auch performativen Aktivitäten. Wissenschaftlich versteht man darunter die Primärvermittlung, also die Aktivitäten um die Aufführung herum, als auch die Sekundärvermittlung, wie etwa den Diskurs über den Gegenstand. Insofern ist dies natürlich ein in vielerlei Hinsicht programmatisches Zitat.

nmz: Der Kulturphilosoph Bazon Brock schreibt in der Zeitung des NNM (2’33’’, Seite 13): „Das Werk ist abgelegtes Werkzeug.“ Ist Neue Musik nicht dazu prädestiniert, sich selber zu vermitteln, wenn man den Materialbegriff, also den Werkzeugcharakter der Neuen Musik in den Mittelpunkt stellt?
Budisavljevic: Im Kern des Projektes Netzwerk Neue Musik geht es darum, dass die Neue Musik sich selber vermittelt und vernetzt und nicht zum Anhängsel von Konzepten, Zielen oder anderen Projekten gemacht wird. Claus Spahn hat einmal in einer Besprechung der Bastian-Studie, glaube ich, von der „Umwegrentabilität“ von Musik gesprochen. Das NNM ist mitnichten ein umwegrentables Projekt, sondern kommt aus der Neuen Musik selber heraus – und zwar aus deren Praxis. Brocks Überlegungen über den Zusammenhang von „Werk“ und „Werkzeug“ liegen da sicher näher, als Adornos Metaphysik des musikalischen Materials, auf die Sie anspielen.
So ist es als erster Vermittlungserfolg des Projektes zu bilanzieren, dass sich herausgestellt hat, dass das ganze Gerede von der „Schmuddelecke“, um diesen Begriff mal aufzugreifen, in der die Neue Musik angeblich stecken soll, gar nicht stimmen kann. Wenn 15 Projekte des NNM deutschlandweit in neuer Qualität und hoher Dichte Musik machen, so kann man nicht von einer Exklave, einem kleinen Bereich oder einer „Schmuddelecke“ sprechen. Vielmehr findet das im Zentrum des Musiklebens statt. Einem Zentrum, das vielleicht – wenn man von Defiziten spricht und mit Gerhard Schröders Worten – ein Kommunikationsproblem hat. Das NNM soll diesem großen Zweig des Musiklebens auch zu einer Darstellung verhelfen, die ihm auch angemessen ist. Mit den über 250 Projektpartnern, darunter Einzelpersonen genauso wie Initiativen, Ensembles, Schulen, Kulturämter und Orchester repräsentieren wir nicht zuletzt einen gewaltigen Querschnitt, wie ihn nicht einmal der Musikrat vorzuweisen hat.

nmz: Ein Jahr läuft das Netzwerk inzwischen: Wie viele Konzerte von wie vielen Orchestern und Ensembles in wie vielen Städten gab es?
Budisavljevic: In dem Jahr seit letztem November haben NNM-weit über 470 Veranstaltungen stattgefunden, davon allein 325 Aufführungen aller Art. Der Rest, also gut ein Drittel, entfällt auf Workshops, Schulprojekte, Symposien und dergleichen – Formate, die auch viel mehr Zeit beanspruchen als ein einzelner Abend. Damit jedoch wäre auch der hin und wieder geäußerte Vorwurf widerlegt, das NNM sei kein künstlerisches und „nur“ ein Bildungsprojekt.

nmz: Haben sich alle Projekte als so belastbar bewiesen, wie die Künstlerische Direktorin der Kulturstiftung des Bundes, Hortensia Völckers, dies vor einem Jahr in dieser Zeitung angekündigt hat?
Budisavljevic: In einer Zeit, wo sich nicht einmal die Kreditwürdigkeit großer Banken als belastbar erweist, ist man einigermaßen froh, wenn sich die Belastungsfähigkeit der Netzwerkprojekte fast durchgängig positiv entwickelt hat, sowohl inhaltlich als auch finanziell.

nmz: Bei Projekten wie „Entdeckungen“ in Essen, „Chiffren“ in Kiel oder „Musik21“ in Niedersachsen gab es durchaus auch unerwartete Entwicklungen, um es mal salopp zu sagen. Ist man als Netzwerk-Chef eher Gestalter oder doch mehr Krisenmanager?
Budisavljevic: Weder noch. Man ist Berater und, gemeinsam mit unserem Kuratorium, auch Mitgestalter.
Wir sehen uns als Moderator von Prozessen und versuchen, eine Lotsenfunktion auszuüben. Wir wollen nicht das Kommando übernehmen, aber wir versuchen, die Projekte durch Untiefen und gefährliches Gewässer hindurchzuleiten.
Die drei Projekte zeigen etwas, was eigentlich zu erwarten ist bei einem mehrjährigen Förderprojekt wie dem NNM. Man beginnt mit einem Plan und bringt im ersten Jahr den Prototyp ans Laufen. Schon in dieser Prototyp-Phase fängt das Schrauben, das Modifizieren und das Adaptieren der Projekte an. Nicht zuletzt haben die Projekte durch ihr Tun etwas verändert, neue Angebote generiert, eine Nachfrage geschaffen. Es kommen neue Anforderungen auf sie zu. Insofern ist dieses mehrjährige Projekt von der Kulturstiftung des Bundes sehr gut angelegt worden, da es Modifikations- und Optimierungsmechanismen integriert.

nmz: Noch einmal konkret zu den drei genannten Projekten in Essen, Kiel und Niedersachsen.
Budisavljevic: In Essen ist es so, dass durch eine rein innerstädtische kulturpolitische Entscheidung der Initiator und künstlerische Leiter des Netzwerksprozesses, der Intendant der Philharmonie, Michael Kaufmann, entlassen wurde.
Es stellt sich die Frage, ob das Projekt von Seiten der Stadt fortgeführt werden wird, auch angesichts der aufgelaufenen Defizite, von denen im Bereich der Theater und Philharmonie GmbH die Rede ist. Wir werden jetzt bald Gespräche mit der Stadt und der gegenwärtigen Philharmonieleitung führen, um die zahlreichen mündlichen Versicherungen nachzuprüfen, denen gemäß die Stadt Essen und Philharmonie dieses Projekt im von Herrn Kaufmann beantragten und konzipierten Rahmen über vier Jahre durchführen werden.
Was in Kiel passiert ist, rührt daher, dass es sich als nicht praktikabel herausgestellt hat, dass die Antrag stellende Staatskanzlei Schleswig-Holstein auch tatsächlich der Veranstalter des Projektes „Chiffren“ ist. Andererseits wäre ohne das ursprüngliche Engagement der Kulturabteilung in der Kieler Staatskanzlei das dortige Netzwerkprojekt niemals in der Art und Weise angelaufen. Von daher ist es eine Optimierung des Ganzen, wenn jetzt ab Ende dieses Jahres „Chiffren“ vom Forum Zeitgenössische Musik Kiel mit den Netzwerkpartnern Landesmusikrat, Theater Kiel, Musikhochschule Lübeck, Universität Kiel und anderen durchgeführt werden wird. Drittens: Mit Musik 21 Niedersachsen haben wir ein nahezu die ganze Fläche des Landes Niedersachsen umfassendes Projekt, in das immer mehr Partner nachträglich mit ins Netzwerk hineinwollen. Das ist einigermaßen einmalig. Ich sehe hier kein Problem, sondern einen positiven Effekt des Netzwerkens als solches. Dass aufgrund des in seinem Budget verbindlichen Gesamtprojektes da nicht mehr Geld zu holen ist, ist allen Beteiligten klar. Es kann aber auch nicht darum gehen, den Kuchen noch weiter klein zu schneiden. Genau an dem Punkt wird es jedoch spannend. Man kann etwa ausprobieren und lernen, wie man weitermacht, wenn es die Förderung durch die Kulturstiftung des Bundes nicht mehr gibt. Diese Frage, die nach vier Jahren alle Projekte betreffen wird, wird man in Niedersachsen noch vor Projektablauf diskutieren können.

nmz: Kann man neue Förderungen beantragen?
Budisavljevic: Beim NNM kann man keine neuen Förderungen beantragen. Und auch bei den Netzwerkpartnern kann man nicht einfach neue Förderungen beantragen. Auch die machen keine Einzelprojektförderung, sondern haben längerfristige Konzepte entwickelt.

nmz: Wurden die Gelder bisher zügig ausbezahlt? Läuft alles nach Plan?
Budisavljevic: Es läuft alles nach Plan im Rahmen der Projekte beziehungsweise nach dem Takt, den sie uns vorgeben. Da versuchen wir, flexibel zu sein in der Gestaltung des Mittelflusses. Wir können auf Bedarfslagen reagieren, wenn Projekte mal mehr oder mal weniger als geplant machen, also selbst flexibel sein wollen.

nmz: Das NNM hat sich als Ziel auch die Herstellung von mehr Öffentlichkeit gesteckt. So wurde ein Netzwerk fürs eigene Marketing und für PR entwickelt. Wie sind Sie vorgegangen?
Budisavljevic: Für die Projekte vor Ort sind wir ein Partner, der ihre eigenen Maßnahmen zur Herstellung von Öffentlichkeit und Wahrnehmung begleitet und stützt. Aus unserer Überbaufunktion fürs gesamte NNM leiten sich umfassende Medienpartnerschaften ab wie mit beiden Programmen von Deutschlandradio, also DeutschlandRadio Kultur und Deutschlandfunk; ebenso mit nmz und nmzmedia sowie der Neuen Zeitschrift für Musik und dem Schott-Verlag. Die Partnerschaften werden im Wesentlichen im Verlaufe des nächsten Frühjahrs implementiert und in Formate gegossen werden und dann das gesamte NNM bis zu seinem vorläufigen Förderschluss begleiten und womöglich als Allianzen und Netzwerke sui generis weiterbestehen können. Andere Medien sind die Netzwerk-Zeitung #’33’’ und die Website mit einem Veranstaltungskalender, der auch in den Kulturkurier eingespeist wird. Darüber hinaus wurde ein eigenes Bild- oder Markenzeichen entwickelt, das bundesweit jede Veranstaltung im NNM als eine zum Netzwerk gehörige kennzeichnet. Damit wollen wir auch die Bewegung, die in der Szene entstanden ist, deutlich machen.

nmz: Warum haben Sie sich an die beiden Kulturradios gewandt und nicht an die ARD als Ganzes? Ich denke jetzt ans Jazzfest Berlin, wo alle ARD-Jazzredaktionen Mitveranstalter sind.
Budisavljevic: Man müsste mit neun Landesfunkanstalten reden. Es gibt zwar eine Konferenz der Kulturradios der ARD, die aber nicht für die ARD sprechen kann. Ich habe frühzeitig versucht, gemeinsam mit dem Kulturradio einer großen ARD-Anstalt, die 42 Prozent der ARD ausmacht, eine Partnerschaft zu initiieren mit allen Kulturradios der ARD. Das hat sich aber nicht realisieren lassen. Es gab auch Befürchtungen in den Musik-redaktionen, dass hier von oben eingegriffen wird und Selbstständigkeit verloren geht. Ich hoffe aber auf die Länderebene und dass dort Kooperationen mit einzelnen Projekten entstehen werden.

nmz: Die schwere Vermittelbarkeit der Neuen Musik kommt ja auch daher, dass sie gar nicht leicht vermittelbar sein will. Sie hat sich der Kulturindustrie stets verweigert und dem Kommerz. Am 3. Dezember 2008 wurde dem medialen Auftritt des NNM der red dot award verliehen. Was hat man plötzlich mit den Designern am Hut?
Budisavljevic: Das ein schmaler Grat, der da begangen wird – das ist aber auch der Bildenden Kunst, dem Rap, dem HipHop inhärent – der Grat zwischen gesellschaftlicher Widerständigkeit und aufgemotzter Anmache. Da hängt es davon ab, wie redlich man diesen Grat beschreitet. Sie hatten eingangs von der „Schmuddelecke“ gesprochen – um dieses Begriffsfeld neu zu bestellen: Es steht nirgends geschrieben, dass die Neue Musik in Sack und Asche oder Ganzkörperschwarz gehen muss, genauso wie es der Alten Musik niemand vorschreibt, dass sie sich in Birkenstock-Latschen und selbstgestrickte Pullover zu kleiden hat.
Formate wie yellow lounge kriegen das hin: modische Vermarktung von Sperrigem. Mode nun verstanden als Kommunikation, und auch da gibt es gelungene und nicht gelungene Arten.

nmz: Der Komponist Bernhard Lang spricht in 2’33’’ davon, dass der „Spalt zwischen Rezeption und Produktion“ überbrückt werden muss, sonst ist Neue Musik in 20 bis 30 Jahren verschwunden. Stimmen Sie ihm zu?
Budisavljevic: Ich würde das sogar auf die gesamte Kunstmusik, einschließlich Jazz und improvisierter Musik ausdehnen. Vergleichsweise gering ist auch das Vermittlungsproblem von beispielsweise Ligeti zu dem von Orlando di Lasso, und der kleine kulturhistorische Urknall von Haydns späten Messen ist fürs Gros des Publikums hörend nicht zu erschließen. Ich glaube aber, dass die Neue Musik allein schon durch ihre historische Nähe für die Kunstmusik insgesamt neue Modelle des Verstehens und Erlebens bieten kann, indem sie aufs Neue zum hörenden Begreifen animiert. Und das ist doch eine Schlüsselkompetenz, ohne die auszubilden dann aber zurecht die Frage kommt: Wozu das Ganze?

nmz: Wo hört für Sie audience development auf, wo fängt Vermittlung an?
Budisavljevic: Wie bitte …? Na, das eine macht bestenfalls Kasse, und das andere ist bestenfalls klasse … 

Filme über die Netzwerkprojekte „Chiffren“ und „MenschMaschine, Klangmaschine“ unter
www.nmz.de/media

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