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Neue Partituren 2021/05

Untertitel
Werke von Schlee, Müller, Kagel, Febel und Andreyev
Publikationsdatum
Body

Samuel Andreyev: Piano Pieces I–IV (2011-16) / V–VIII (2020) +++ Reinhard Febel: 24 Preludes (2017–18) für Klavier solo +++ Mauricio Kagel:Impromptu II (1998) für Klavier +++ Alfred Thomas Müller: Lebenslinien (2020) für Klavier +++ Thomas Daniel Schlee: Sursum chordis corda op. 81a (2013) für Klavier

Samuel Andreyev (*1981): Piano Pieces I–IV (2011-16) / V–VIII (2020)
Edition Impronta IE-SA-11-2017 / IE-SA-25-2020 (Spielpartituren)

Stilrichtung, allg. Charakter
Sensualistischer Stil, bei dem auch in polyphonen Texturen alle Gestaltungsmittel (wie Harmonik, Tonhöhenverlauf, Dynamik, Artikulation, Zeitgestaltung) auf hohe Fasslichkeit angelegt sind. Die grüblerische Grundhaltung wird nur selten durch energischere Gesten oder Episoden aufgebrochen.

Form, Struktur
Sammlung separat aufführbarer Stücke, deren Charakter sich von satztechnisch reduzierten Artikulationsstudien in Richtung immer anspruchsvollerer mehrstimmiger Inventionen verschiebt. Durch Verfahren wie Substitution oder Permutation sorgfältig disponierte harmonische Verläufe.

Notation, Dauer, Schwierigkeit
Traditionelle Partiturnotation
Dauern: 3,5+3,5+1,5+6 min. (I–IV) / 3+2,5+4,5+3 min. (V–VIII)
mittel (I–III, VI), schwer (V, VII), sehr schwer (IV, VIII)

Kommentar
Jeder einzelne Klang, jeder Impuls wird hier zum Ereignis. In der Verbindung harmonischer Strenge mit einem Verlauf voller überraschender Wendungen erfreulich eigenwilliger Zugriff des Kanadiers auf den „Klimperkasten“, wobei zum expressiven Gestus nach und nach auch Virtuoses hinzutritt.


Reinhard Febel (*1952): 24 Preludes (2017–18) für Klavier solo
G. Ricordi Berlin Sy. 4927 (Spielpartitur)

Stilrichtung, allg. Charakter
Expressiv reduzierter, sachlicher Stil, der sich auf explorative Weise stark an den Gegebenheiten des Instruments und der Physiognomie der Spieler orientiert. Streng, aber immer fasslich konstruierte, oft kurze Stücke mit Etüden-Charakter stehen neben stärker poetisch motivierten, längeren Stücken.

Form, Struktur
Mit abwechselndem Bezug zu Dur- und Moll-Dreiklängen wird wie bei Chopin der Quintenzirkel durchwandert, ohne dass sich die Musik auf tonale Harmonik einließe. Typisch sind die dynamisch, satztechnisch und durch häufigen Einsatz des Tonhaltepedals raffiniert gestaffelten Klangräume.

Notation, Dauer, Schwierigkeit
Herkömmliche Notation (drei Stücke „senza misura“) mit verbalen Spielanweisungen (v.a. zu Tempogestaltung, Pedal- und Resonanzeffekten).
Dauer: ca. 8 min.
schwer bis sehr schwer

Kommentar
Beeindruckende Fortschreibung der von Chopin initiierten Gattung zyklisch gesetzter Preludes. Ein wahres Füllhorn kompositorischer Einfälle eines der spannendsten Klavierkomponisten der letzten fünfzig Jahre. Jedem spieltechnisch wie ästhetisch anspruchsvollen Pianisten zu empfehlen!


Mauricio Kagel (1931–2008):Impromptu II (1998) für Klavier
Edition Peters Leipzig EP 12281 (Spielpartitur)

Stilrichtung, allg. Charakter
Kompositorische Dekonstruktion romantischer und impressionistischer Topoi der Klaviermusik, bei der einige wenige historisch vertraute Spielgesten und Satztechniken (etwa von Debussy) in einen atonalen Kontext verschoben und mit seltsamen Faktur- wie Ausdruckswechseln gekoppelt werden.

Form, Struktur
Episodische Form mit achtmaligem Musik-, Tempo- und teils extremem Dynamikwechsel bis zur kurzen, finalen Reminiszenz an den aus einem Gestus (in der Tiefe stetig kreiselnde, mäandernde, wogende Triolen mit wenigen Tönen oder Akkorden als Haltepunkten) entwickelten Eingangsteil.

Notation, Dauer, Schwierigkeit
Herkömmliche Notation
Dauer: ca. 6 min.
schwer

Kommentar
Gewohnt schräge Musik eines Charakterkopfs mit eigenwilligem Humor, die sich als hintersinnig-absichtsvoll leicht morbiden Charme verströmendes Albumblatt, vielleicht aber auch als Dokument postmoderner Orientierungslosigkeit deuten lässt. Auch für fortgeschrittene Laien geeignetes Stück.


Alfred Thomas Müller (*1939): Lebenslinien (2020) für Klavier
Verlag Neue Musik Berlin NM 3116 (Spielpartitur, Ringbindung)

Stilrichtung, allg. Charakter
Satztechnisch stark verdichteter, hoch dissonanter Stil mit Phasen serieller, sonoristischer oder motorischer Anmutung, musikalisch angesiedelt zwischen expressiver Geste und motorischem, teils brüskem Spieltrieb der häufig zu weiten Sprüngen angehaltenen und über Kreuz geforderten Hände.

Form, Struktur
Sieben in freier Folge aufführbare, je mit satztechnisch charakteristischen Merkmalen (Kreuzkanon, Arpeggio-Varianten, Akkordtürme, im Tempo variierte Akkordwechsel beider Hände, Repetitionen kleiner Toncluster, Trillerfakturen, Halo-Klänge durch Sostenuto-Pedal) versehene Miniaturen.

Notation, Dauer, Schwierigkeit
Herkömmliche Notation auf zwei bis drei Systemen.
Dauer: ca. 9 min.
sehr schwer

Kommentar
Sich vielfältig begegnende, kreuzende Lebenslinien zwischen Deutschland Ost und West: Der Titel legt die konzentrierte Abhandlung eines langen, bewegten Komponisten-Daseins in Tönen nahe, das der Hallenser mit dem mittlerweile 91-jährigen Widmungsträger Werner Heider gemeinsam hat.


Thomas Daniel Schlee (*1957): Sursum chordis corda op. 81a (2013) für Klavier
Bärenreiter Kassel BA 11051 (Spielpartitur)

Stilrichtung, allg. Charakter
Schwer fasslicher, da barock überbordender, dissonanter Stil in freier Zwölftönigkeit. Ein kleines Repertoire charakteristischer Spielfiguren sorgt für ein Mindestmaß an Zusammenhang im konstant hoch verdichteten, verschiedenste Bewegungstypen bündelnden, im Verlauf extrem unsteten Satz.

Form, Struktur
Einsätzige Form nach dem Schema ABA’B’A’’CA’’’, wobei rekapitulierte Teile schleichend (A) oder sofort (B) dem Prinzip „entwickelnder Variation“ (Brahms) unterzogen werden. Toccata-typische Spielfiguren weichen im C-Teil (Largo solenne) zugunsten akkordisch angereicherter Polyphonie.

Notation, Dauer, Schwierigkeit
Fast durchweg auf drei Systemen notierte, traditionelle Partitur
Dauer: ca. 8 min.
sehr schwer

Kommentar
Das „Sursum Corda“ („Empor die Herzen“) katholischer Liturgie wird hier in die stahlbesaitete Domäne der Klaviermusik verlegt. Mit kraftvollem Aufschwung beginnt und endet diese pianistisch wenig dankbare, hypertrophe Musik, deren tieferen Sinn es mit großem Aufwand aufzuspüren gilt.

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