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Andrea Zietzschmann
20-jährige Erfahrung als Orchestermanagerin: Andrea Zietzschmann. Foto: Stefan Höderath
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Optimale Rahmenbedingungen schaffen

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Ein Gespräch mit der neuen Stiftungsintendantin der Berliner Philharmoniker, Andrea Zietzschmann
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Seit 1. September 2017 ist Andrea Zietzs­­chmann als Nachfolgerin von Martin Hoffmann Intendantin der Stiftung Berliner Philharmoniker. Georg Rudiger hat sie im Festspielhaus Baden-Baden bei den Osterfestspielen getroffen. Ein Gespräch über den Reiz der Eigenverantwortung, Verjüngung des Publikums und über die Stärken von Kirill Petrenko.

neue musikzeitung: Sie waren eben im Kammerkonzert im Kurhaus. Warum haben Sie sich das angehört?

Andrea Zietzschmann: Es hat mich interessiert, unseren Klarinettisten und Orchestervorstand Alexander Bader einmal in einem Kammerkonzert zu erleben. Es ist es für mich einerseits wichtig, unsere Orchestermitglieder solistisch zu hören und damit besser kennenzulernen. Andererseits möchte ich die Gegebenheiten und Auftrittsorte in Baden-Baden sehen, um zu überlegen, ob wir für 2020 in der ersten Saison von Kirill Petrenko auch Neuerungen einführen.

nmz: Ihren Vorgänger Martin Hoffmann habe ich in Kammerkonzerten in Baden-Baden nie gesehen.

Zietzschmann: Ich möchte nah am Orchester sein und interessiere mich für die Individuen und Künstlerpersönlichkeiten, die die Berliner Philharmoniker so besonders machen. Und Kammermusik höre ich immer gerne.

nmz: Gegenüber Salzburg sind die Osterfestspiele in Baden-Baden, wo sie seit dem Jahr 2013 stattfinden, also ein ganz anderes Festival geworden.

Zietzschmann: Das würde ich voll unterstreichen. Hier können wir wirklich „unser“ Festival kreieren und das Orchester in seiner ganzen Breite darstellen. In Salzburg war das Programm reduziert auf zweimal Oper und die Sinfoniekonzerte. Weil die Rahmenbedingungen für uns stimmen,  haben wir jetzt auch sehr gerne unseren Vertrag mit dem Festspielhaus Baden-Baden um fünf Jahre verlängert.

nmz: Sie treffen sich hier auch mit Sponsoren. Wie wichtig sind sie für den Gesamtetat? Und wie hoch ist die Eigenfinanzierung des Orchesters?

Zietzschmann: Die Eigenfinanzierung des Orchesters liegt bei 63 Prozent und ist damit enorm hoch. Subventionen bekommen wir vom Land Berlin und seit diesem Jahr auch vom Bund. Insgesamt sind es jährlich etwa 20 Millionen Euro für die Stiftung Berliner Philharmoniker. Darüber hinaus ist für uns die Zusammenarbeit mit der Deutschen Bank sehr wichtig. Durch das Engagement der Deutschen Bank konnten wir überhaupt erst unser Education-Programm aufbauen, das Vorbild für viele Institutionen geworden ist. Und auch zahlreiche Projekte wie die Digital Concert Hall wären ohne die Deutsche Bank undenkbar. Zukünftig werde ich mich sicher auch bemühen, für Sonderprojekte Gelder zu akquirieren, die wir nicht aus dem normalen Etat stemmen können. Das betrifft vor allem auch Veranstaltungen, die in der Philharmonie stattfinden wie Konzertreihen mit Gastensembles. Ich bin ja nicht nur Intendantin des Orchesters, sondern auch der Philharmonie mit rund 650 Veranstaltungen in der Saison.

nmz: Welchen Teil Ihrer Arbeit nimmt die Sponsorensuche ein?

Zietzschmann: Man würde sich ja wünschen, dass die künstlerische Arbeit den größten Teil einnimmt, aber dem ist nicht so. Dafür bleiben vielleicht zehn Prozent. Der Rest ist viel Netzwerkarbeit, Tagesgeschäft und Akquise. Ich muss natürlich dafür Sorge tragen, dass das philharmonische Leben des Orchesters und Konzerthauses gut funktioniert, das hält mich gut in Atem.

nmz: Sie waren vor Ihrer Aufgabe Leiterin der Klangkörper des Hessischen Rundfunks sowie des  Norddeutschen Rundfunks und haben den Umzug des NDR-Sinfonieorchesters in die Elbphilharmonie durchgeführt. Bei den öffentlich-rechtlichen Sendern wird seit Jahren gespart. Besonders die Klangkörper geraten dabei in den Fokus, was dazu geführt hat, dass der SWR seine beiden renommierten Orchester aus Stuttgart und Freiburg/Baden-Baden 2016 fusioniert hat. Wie ist die finanzielle Perspektive bei den Berliner Philharmonikern?

Perspektiven

Zietzschmann: Man hat hier sicherlich nicht den gleichen Rechtfertigungsdruck, weil die Berliner Philharmoniker an der Spitze der deutschen Orchesterlandschaft stehen und wichtige Kulturbotschafter sind. Wir müssen jedoch genauso darauf achten, dass wir mit unseren Subventionen klarkommen und was wir damit machen. Wir hatten wie alle anderen Orchester auch steigende Personal- und Sachkosten aufzufangen, die nicht ausgeglichen wurden. Das Orchester spielt viel Geld ein, aber für neue Projekte und Impulse braucht man schlichtweg eine finanzielle Ausstattung. Wenn wir eine Tournee nach Asien machen, dann kommen wir mit Geld nach Hause. Ich würde mir wünschen, dass wir etwas freier von finanziellen Zwängen unsere Gastspiele planen könnten, um beispielsweise nach Ljubljana oder Zagreb zu fahren, wo man auf ein Gastspiel von uns wartet. Auch für die Philharmonie würde ich mir wünschen, dass wir einen eigenen Programm-Etat haben, um ein Education-Programm für das Haus aufzubauen und unser Konzertangebot zu erweitern.

nmz: Ist es nicht problematisch, gleichzeitig Intendantin eines Orches­ters und eines Konzerthauses zu sein? Sie würden sich ja selbst Konkurrenz schaffen, wenn Sie anderen Veranstaltungen im Haus ein klares Profil und Attraktivität geben würden.

Zietzschmann: Die Philharmonie wurde für die Berliner Philharmoniker gebaut. Sie sind die Seele des Hauses. Das unterscheidet diesen Ort von vielen anderen Konzertsälen. Aus meiner Perspektive muss es zunächst dem Orchester gutgehen mit all seinen Aktivitäten, die wir in der Philharmonie realisieren. Wir haben ein Vorbuchungsrecht und per Stiftungsgesetz gibt es mehrere assoziierte Partner: das Deutsche Symphonieorchester Berlin (DSO), das Rundfunksinfonieorches­ter Berlin (RSB), die Staatskapelle und auch die Chorverbände. Die machen alle ein tolles Programm. Mein Ziel ist es, sich stärker zu vernetzen und gemeinsam Dinge zu entwickeln, aber auch die Philharmonie mit ihrem Gesamtangebot aufzufächern.

nmz: Festivals wie in der Elbphilharmonie?

Zietzschmann: Zum Beispiel. Bisher ist es so, dass jeder für sich plant und man sich vor Drucklegung der Saisonübersicht zusammensetzt, um zu viele Doubletten zu vermeiden.

nmz: Das Musikfest Berlin ist ja so eine Idee.

Zietzschmann: Das ist ein sehr gutes Format, das ich auf jeden Fall engagiert unterstützen möchte. Ähnliches kann ich mir auch mit kleineren Festivals vorstellen. Die Idee solcher Festivals wurde von der Philharmonie de Paris sehr erfolgreich eingeführt. Dort kann man über ein Wochenende, eingebettet in interessante Themen, eine breite Palette an Musikgenres erleben. So kommen auch viele neue Leute ins Haus.

nmz: Bei der Pressekonferenz mit dem designierten neuen Chefdirigenten Kirill Petrenko sagten Sie, dass Sie die Berliner Philharmoniker gut kennen würden, weil Sie das Orchester häufig gehört haben. Was hat Sie überrascht seit Ihrem Amtsantritt am 1. September 2017?

Zietzschmann: Sehr gut kennengelernt habe ich das Orchester zwischen 1996 und 2003, als ich in Berlin lebte und mir nahezu jedes Konzert anhörte. Damals war Claudio Abbado Chefdirigent, mit dem ich zusammen das Mahler Chamber Orchestra gründete. Sein damaliger Assistent Daniel Harding wurde unser erster Chefdirigent. Viele haben mir vor meinem Antritt gesagt, die Berliner Philharmoniker seien schwierig und man hätte wenig Gestaltungsraum. Das kann ich überhaupt nicht bestätigen. Vielleicht mag das daran liegen, dass ich so viel mit Orchestern gearbeitet habe und mir die Arbeit mit Gremien sehr vertraut ist. Außerdem arbeite ich sehr gerne im Team. Ich freue mich darüber, wenn viel Expertise aus dem Orchester und der Institution kommt. Dass Berlin kein einfaches Pflaster ist, war mir vorher schon klar. Die Konkurrenz ist enorm – es bedarf vieler Absprachen. Jüngst ist noch der Pierre-Boulez-Saal als Veranstalter dazugekommen. Ein Alleinstellungsmerkmal zu entwickeln, war an meinen früheren Stationen in Frankfurt und Hamburg schon einfacher.

Selbstbewusst gleich ermüdend?

nmz: Die Mitglieder des Orchesters dürfen bei wichtigen Entscheidungen viel mehr mitreden als bei anderen Klangkörpern. Sie gelten als sehr selbstbewusst. Kann das nicht auch ermüdend sein?

Zietzschmann: Ich empfinde es im Vergleich zu meinen vorherigen beruflichen Stationen als Vorteil und große Chance, dass das Orchester mitdenkt, mitgestaltet und der Grad an Selbstverantwortung insgesamt viel höher ist. In unserem Stiftungsvorstand, dem Kerngremium, sind neben mir und dem Chefdirigenten auch zwei Orchestermitglieder. Dann gibt es weitere Gremien, in denen Orchestermitglieder Verantwortung übernehmen. Das bringt eine Dynamik mit sich, die viel für sich hat. Mitgestalten ist immer besser, als sich in eine passive Haltung zu begeben, in der man sich recht komfortabel über Zustände beschweren kann. Auch wenn eine Sache einmal nicht so gut läuft, hat man es gemeinsam durchdacht und verantwortet. Die Orchesterversammlungen empfinde ich als sehr konstruktiv. Das Orchester besitzt ein hohes Maß an Reflexionsvermögen und intuitiver Intelligenz, die richtigen Entscheidungen zu treffen.

Klares Profil

nmz: Ihr Vorgänger Martin Hoffmann war ein Quereinsteiger, der vom Fernsehen kam. Sie verfügen nun über eine 20-jährige Erfahrung als Orchestermanagerin und Musikchefin zweier Rundfunkanstalten. Warum wollten die Berliner Philharmoniker solch ein klares musikalisches Profil?

Zietzschmann: Das müssen Sie natürlich die Orchestervorstände fragen. Ich weiß, dass sich Kirill Petrenko an seiner Seite jemanden gewünscht hat, der auch inhaltlich viel Expertise zu bieten hat, weil er sich selbst hauptsächlich auf seine eigenen Projekte konzentrieren möchte. Auch die Orchestervorstände sind natürlich primär für ihr Instrument und ihre künstlerische Arbeit ins Orchester gekommen. Vielleicht wollte man eine Person haben, die Erfahrung und auch neue Ideen mitbringt – und die sie auch in manchen Themen stärker entlastet.

nmz: Kirill Petrenko ist ein völlig anderer Typ als Simon Rattle und eher zurückhaltend, gerade hinsichtlich öffentlicher Auftritte. Interviews wird er nach wie vor keine geben. Sind Sie sozusagen sein Mund?

Zietzschmann: In der Kommunikation werde ich sicherlich stärker gefordert sein als mein Vorgänger bei Simon Rattle, wobei Simon auch nicht jeden Tag Interviews gegeben hat. Kirill Petrenko wird bei Pressekonferenzen gerne Fragen beantworten und auch in der Digital Concert Hall als Gesprächspartner zu erleben sein. Er hat einen unglaublichen Fokus auf seine musikalische Arbeit – das habe ich noch bei keinem anderen Dirigenten in dieser Form so kennengelernt. Er möchte sich in einer Probenwoche nicht mit anderen Themen beschäftigen als den Werken, die er gerade dirigiert. Das merkt man seinen Interpretationen auch an, die bemerkenswert durchdrungen sind.

nmz: Welche Veränderungen möchten Sie bei den Berliner Philharmonikern vorantreiben?

Zietzschmann: Das Orchester ist künstlerisch sehr gut aufgestellt. Da muss man nichts grundlegend verändern. In näherer Zukunft muss vor allem der Chefdirigentenwechsel gut vorbereitet und begleitet werden. Grundsätzlich möchte ich für das Orchester und den Chefdirigenten die optimalen Rahmenbedingungen schaffen, damit viele musikalische Sternstunden möglich sind. Was die internationale Präsenz angeht, möchten wir gerne unser Portfolio erweitern. Wir waren lange nicht mehr in Südamerika, auch seit 2008 nicht mehr in Moskau und Sankt Petersburg. In Afrika hat das Orchester bis auf ein Gastspiel in Ägypten noch nie gespielt. Wir haben große Lust, mit Petrenko auch neues Repertoire zu erarbeiten. Education ist ein großes Thema – gerade auch im digitalen Bereich. Das diesbezügliche Angebot in der Digital Concert Hall möchten wir für ein breites Publikum erweitern.

nmz: Geht es dabei auch um eine Verjüngung des Publikums?

Zietzschmann: Das beschäftigt mich seit vielen Jahren täglich – ist also kein neues Thema. Natürlich besteht da auch bei uns Entwicklungsbedarf. Ich sehe, dass ambitioniertere Programme bei unserem Publikum schwergängiger sind als konventionelle. Man muss das Publikum auch fordern. In der Philharmonie werde ich versuchen, mehr für die Jüngeren und die Altersgruppe zwischen 30 und 50 anzubieten, die wir hier weniger sehen.

nmz: Durch neue Formate?

Zietzschmann: Ja. Die kostenlosen Lunchkonzerte funktionieren schon hervorragend. Man kann sicherlich auch Formate am späteren Abend anbieten, gerade in Berlin funktionieren Sonderevents in die Nacht hinein oder Wochenend-Festivals gut. Auch die Musikfarben sollten noch unterschiedlicher sein – wir haben fast keine U-Musik im Haus, kaum Weltmusik, wenig Jazz. Damit holen wir auch ein anderes Publikum in die Philharmonie.

Interview: Georg Rudiger

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