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Sieht Bedarf für ein bundesweites Netzwerk: Tilmann Löser. Foto: Archiv
Sieht Bedarf für ein bundesweites Netzwerk: Tilmann Löser. Foto: Archiv
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Positive Bilder, menschliche Begegnungen

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Tilmann Löser über das Projekt „Klänge der Hoffnung“ der Stiftung Friedliche Revolution
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Das Projekt „Klänge der Hoffnung“ der Stiftung Friedliche Revolution bringt als Netzwerk Musiker*innen mit und ohne Fluchtbiografie in Kontakt und fördert gemeinsames Musizieren. Mit Hilfe von Institutionen, Veranstalter*innen und engagierten Bürger*innen organisiert die Stiftung Konzerte für Ensembles in Leipzig und Nordsachsen. Die nmz traf sich mit dem zuständigen Projektkoordinator Tilmann Löser zum Gespräch.

neue musikzeitung: In einem Interview habe ich über Sie gelesen: „Tilmann Löser ist ein interkultureller Musiker und Musikmanager“. Was kann man sich unter einem interkulturellen Musiker vorstellen?

Tilmann Löser: Ich bin 1983 in Leipzig geboren und habe klassischen Klavierunterricht an der Musikschule gehabt, aber auch schon früh Improvisationsunterricht. Außerdem bin ich im musikalischen Umfeld der Thomas-Kirchgemeinde groß geworden. Im weiteren Verlauf meines Lebens habe ich durch Auslandsaufenthalte in Israel, in den USA und in Brüssel viel Kontakt mit anderen Kulturen gehabt und das hat mich sehr inspiriert, auf diesem Weg auch andere Musik kennenzulernen und zu praktizieren. Eine Initialzündung war für mich die Synagoge B’nai Jeshurun in New York. Dort habe ich erstmals jüdische Musik im Rahmen eines Schabbat-Gottesdienstes gehört. Ich war sehr berührt davon und habe mich danach von 2011 bis 2016 intensiv der Klezmer-Musik verschrieben, also der Musik der osteuropäischen Juden, die mich musikalisch berührt aber auch aus geschichtlichen und gesellschaftlichen Gründen interessiert.

nmz: Musikalische Inspiriertheit und ein explizit gesellschaftliches Movens für Ihr Engagement ergänzen sich bei Ihnen ideal?

Löser: Meine persönliche Motivation für das gesellschaftliche Engagement kommt auch aus der Auseinandersetzung mit meiner eigenen Familiengeschichte. Mein Urgroßvater Max Löser (1872–1938) und mein Urgroßonkel Leopold Löser (1872–1944) waren beide Militärmusiker, Max beim Niederschlesischen Pionierbataillon Nr. 5 in Glogau und Leopold beim 1. Garde-Ulanen Regiment in Potsdam. Die Musik stand damals im Dienst des Nationalismus und der Abgrenzung von anderen Kulturen. Nachdem die zwei Weltkriege des 20. Jahrhunderts auch in unserer Familie viel Unheil angerichtet haben, ist es mir heute wichtig, Musik in den Dienst der Verständigung zu stellen. Als 2015/16 die vielen Geflüchteten kamen, hatten wir insbesondere hier in Sachsen, aber auch in ganz Deutschland, eine sehr polarisierte Situation. Viele Anschläge in Clausnitz, Heidenau oder Freital stehen dafür und das hat mich sehr schockiert. Es war mein persönlicher Wunsch, da etwas entgegenzusetzen und das traf zusammen mit den Wünschen der Stiftung Friedliche Revolution, für die ich jetzt arbeite.

nmz: Die Stiftung Friedliche Revolution ist eine Stiftung, die sich zunächst nicht mit Musik beschäftigt, sondern mit gesellschaftlicher Transformation. Sie sind nun der Musiker dieser Stiftung. Kann man das so sagen?

Löser: Das ist richtig. Kultur ist die Grammatik der Gesellschaft, über Kultur werden Themen wie Zugehörigkeit und Identität verhandelt. Die Stiftung wurde 2009 gegründet, um das Andenken an die Friedliche Revolution wach zu halten und zu schauen, was können wir lernen von damals, von dem Engagement der Menschen hier in Leipzig und in Ostdeutschland. Die Rufe „Wir sind das Volk“ der Pegida-Demonstranten waren natürlich sehr schmerzlich für viele Bürgerrechtler*innen, die sich für ein weltoffenes Deutschland engagieren. Daher war es auch ein starker Wunsch der Stiftung Friedliche Revolution zu sagen: „Wir wollen hier was entgegensetzen“.

nmz: Es gibt seit fünf Jahren drei Projekte, die unter dem Namen „Klänge der Hoffnung“ stehen: eine Konzertreihe, ein Netzwerk und ein Ensemble, richtig?

Löser: 2015/16 kamen die vielen Geflüchteten ins Land und wir haben überlegt, was können wir machen? Wir haben zunächst einmal alle Akteure, von denen wir erfahren haben, dass sie in dem Bereich arbeiten, an einen Tisch gebeten. Das waren Leute von der Musikhochschule, freie Ensembles, Veranstalter und Musiker*innen. Wir haben uns ausgetauscht und es hat sich gezeigt, dass dieser Erfahrungs- und Austauschraum für alle ganz wichtig war. Das erste Konzert fand dann im September 2016 statt und war ein großer Erfolg: Es waren acht verschiedene Ensembles da, die vor 250–300 Zuhörer*innen im Grassi-Museum in Leipzig auftraten. Für alle wurde deutlich: Das ist etwas, das verlangt nach mehr. Wir haben dann einige Anträge gestellt und konnten 2017 vier Konzerte durchführen, die mit dem Netzwerk zusammenhingen. Das ist ein Geheimnis unseres Erfolgs, dieser Zusammenhang von Konzert und Netzwerk.

nmz: Was ist es für ein Netzwerk? Was für Menschen und was für Ideen stecken darin?

Löser: Das sind alles Akteure, die in dem Bereich Integration durch Musik in Leipzig aktiv sind. Das kann etwa das Referat für Migration der Stadt Leipzig sein, das Grassi-Museum für Völkerkunde oder die Leipziger Johanniter, die zum Beispiel ein Patenschaftsprogramm für Geflüchtete anbieten. Wir haben das Projekt aber auch ausgeweitet auf den Landkreis Nordsachsen und führen auch dort  Schulworkshops und Konzerte durch.

nmz: Die Musikschule ist da auch dabei?

Löser: Die Musikschule Leipzig „Johann Sebastian Bach“ ist da auf jeden Fall dabei, wir arbeiten auch mit der Leipziger Musikhochschule oder mit dem Gewandhaus Leipzig zusammen.

nmz: Es gibt auch ein Ensemble „Klänge der Hoffnung“...

Löser: Das Ensemble „Klänge der Hoffnung“ der Stiftung Friedliche Revolution besteht mittlerweile aus etwa acht Musiker*innen, die alle einen professionellen Hintergrund haben. Ganz wichtig sind dabei Ali Pirabi aus dem Iran an der Santur sowie Basel Alkatrib an der Oud und Ghandi Aljrf (Syrien), der singt und auch Percussion spielt. Das sind drei eingewanderte Profimusiker, die ein fundiertes Wissen haben über persische beziehungsweise arabische Kultur. Das hatten wir bisher kaum in Leipzig. Dass diese Musiker ihr musikalisches Wissen und ihr Repertoire zu uns gebracht haben, ist ein weiterer Schlüssel zum Erfolg. Der andere Teil des Ensembles besteht aus Musiker*innen, die schon länger hier leben, zum Beispiel Samuel Seifert (Violine), Friederike von Oppeln-Bro­nikowski (Klarinette) oder auch Karolina Trybala (Gesang). Wir entwickeln zusammen neue Stücke und neues Repertoire. Erst vor kurzem haben wir einen Projektantrag beim Freistaat Sachsen gestellt, um noch mehr Menschen für ein interkulturelles Orchesterprojekt zu erreichen.

nmz: Wollen Sie damit mehr die Musiker*innen oder eher die Zuhörer­*innen erreichen?

Löser: Beides, aber vor allem erstmal mehr Musiker*innen. Für die Laien hatten wir bisher kaum ein Format. Diese Musiker haben uns aber zurückgemeldet, dass sie sehr gerne mitmachen wollen. Derzeit arbeiten wir als Stiftung Friedliche Revolution an der Idee, ein Orchesterprojekt mit Laien ab März 2021 zu machen. Da sollen bis zu 36 Musikerinnen und Musiker mitmachen können. Die Profis, die mittlerweile schon gut integriert sind, übernehmen dann Multiplikatoren- und Leitungsfunktionen.

nmz: An welches Publikum wenden Sie sich mit den Klängen der Hoffnung?

Löser: In den letzten Jahren hat sich die Zahl der Menschen mit Migrationshintergrund in Leipzig stark erhöht. Eine unserer Zielgruppen sind Leute, die sich hier heimisch fühlen wollen und natürlich auch die Musik von Bach, von Beethoven und Mendelssohn hören, aber sich auch freuen, wenn sie Melodien aus ihrer Heimat hören. Eine andere Zielgruppe ist die Aufnahmegesellschaft, die quasi kaum Kontakt mit Menschen mit Mi­grationshintergrund oder mit Geflüchteten hat. Denen wollen wir positive Bilder zeigen und menschliche Begegnung ermöglichen.

nmz: Im Juni 2020 hat die Stiftung Friedliche Revolution gemeinsam mit der Bertelsmann Stiftung ein Netzwerktreffen veranstaltet, das coronabedingt nur per Zoom stattfinden konnte. Welche Ziele verfolgen Sie? Wird das Netzwerk vielleicht bundesweit ausgebaut?

Löser: In diesem Integrationsbereich gibt es bis jetzt auf Bundesebene keinen Akteur. Es gibt das Portal integration.miz.org des Deutschen Musik­rats, dort wird viel gesammelt und viele Projekte stellen sich dar. Aber es gibt keine aktive Vernetzung. Nach den positiven Erfahrungen mit der persönlichen Begegnung, die wir in Leipzig gemacht haben, haben wir das erste digitale Vernetzungstreffen „Vielfalt zum Klingen bringen – wie kann Musik den Zusammenhalt in der Einwanderungsgesellschaft stärken?“ zusammen mit der Bertelsmann Stiftung angeschoben. 38 Teilnehmer, darunter Vertreter von anderen Projekten wie zum Beispiel „Bridges – Musik verbindet“ aus Frankfurt oder „Banda Internationale“ aus Dresden oder „Brückenklang“ aus NRW (Düsseldorf) und auch der „Chor zur Welt Hamburg“ nahmen teil. Wir hatten nicht nur verschiedene Projekte dabei, sondern auch Verbände wie den Deutschen Musikrat und den Landesmusikrat Sachsen und andere Landesverbände und zivilgesellschaftliche Akteure wie Migrantenorganisationen und Vertreter*innen aus Wissenschaft und Medien. Wir haben uns am 25. Juni vier Stunden lang auf Zoom intensiv ausgetauscht. Das war ein Startschuss und der war aus unserer Sicht sehr erfolgreich und verlangt nach mehr.

nmz: Wie können verschiedene Akteure aus ganz Deutschland ihre Kräfte bündeln?

Löser: Für die Stiftung ist eher das gesellschaftliche Thema interessant. Wir Musiker*innen und Orga­nisator*innen aber stehen immer wieder vor ähnlichen Fragen: welches Repertoire ist sinnvoll, oder wie können Projekte sich besser finanzieren? Oft sind Projektförderungen ein wichtiger Baustein, aber es gibt bis jetzt bundesweit kein Förderprogramm. Ein Thema, das die nmz-Herausgeberin Barbara Haack in ihrem Leitartikel „Wer Musik macht, muss Farbe bekennen“ (nmz 11/2019) explizit dargestellt hat.

nmz: Wie ist denn Ihre Wirkung wieder zurück in die Stiftung?

Löser: Die Stiftung freut sich natürlich, dass sich das Projekt so gut entwickelt hat und es gibt auch Sy­nergien mit anderen Stiftungsprojekten, zum Beispiel im Oktober letzten Jahres die „Revolutionale“ zu 30 Jahren Friedliche Revolution. Da waren Bürgerrechtler*innen aus der ganzen Welt eingeladen und haben über Themen gesprochen, die sie betreffen: Pressefreiheit oder Umweltthemen waren da im Fokus. „Klänge der Hoffnung“ hatte dort ein gemeinsames Konzert mit der „Banda Internationale“ und dem Gewandhaus. Das war ein starkes Zeichen, das dann für die Stiftung auch einen Mehrwert bringt.

  • Interview: Andreas Kolb
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