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Preissturz

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Herausgeber Gerhard Rohde hatte sich schon in der Februar-Ausgabe der nmz kritisch zur Vergabe des diesjährigen Ernst von Siemens Musikpreises an Anne-Sophie Mutter geäußert. Es muss hier nicht die große künstlerische wie auch humane Leistung dieser Geigerin in Frage gestellt werden, sie ist einfache Tatsache, auch wenn man manche der hochfliegend euphorischen Würdigungen gerne mit etwas mehr kritischer Distanz betrachtet sehen würde. („Nicht nur Königin, sondern Himmelskönigin“, betitelte zum Beispiel die SZ den Abdruck von Joachim Kaisers Laudatio; da fragt man sich schon, ob solche Verklärung noch im Rahmen bleibt oder sich schon einem der Blasphemie nahen „Mutter-Komplex“ nähert.)

Der Verlauf der Preisverleihung ließ dann doch einiges Stirnrunzeln aufkommen, denn noch befinden wir uns beim Siemens-Preis nicht in den Regionen einer von den Medien akklamierten Gefallsüchtigkeit, wie sie vom Wiener Opernball bis zur Oskarverleihung bereits gang und gäbe ist. Es hatte schön begonnen, Joachim Kaiser war eine herzliche, ja berührende Würdigung gelungen, und die Tränen von Anne-Sophie Mutter, die mit Blick auf die im Publikum anwesende Sofia Gubaidulina fast bedauerte, erste weibliche Preisträgerin (nach 34 Männern!) zu sein, kamen tief aus dem Inneren. Richtig verstellen konnte sich Mutter noch nie.

Der Ernst von Siemens Musikpreis aber ist eine Auszeichnung, die ein besonderes Engagement für das zeitgenössische Musikschaffen würdigt. Nun verdient die Musik von Zeitgenossen keineswegs immer das Prädikat Neu, was Kühnheit, Schroffheit und Andersartigkeit betrifft. „Glaubt er, ich denke an seine elende Geige, wenn der Geist zu mir spricht?“ So hatte schon Beethoven einst das Gefällige zurückgewiesen. Und heute ist es nicht anders. Nur dass das sich Anbiedernde in massenmedialer Vermarktung vielleicht noch unheilvoller wuchert.

Die Musik aber, die Mutter zur Einrahmung des Festaktes ausgesucht hatte (oder hatte sie dabei Berater?), war eben von dieser Art: vom Datum her neu, in ihrer Haltung aber zutiefst einer schlechten Romantik verpflichtet. Der von ihr 1994 in Auftrag gegebene „Aftersong“ für Violine und Klavier des Amerikaners Sebastian Currier war dafür ein peinlich dürftiges Beispiel. Denn implizit wird in den Sehnsuchtswallungen mit Tzigane-Anwandlungen des ermüdend wiederkäuend, „geigerischen“ Stücks die Aussage getroffen, dass heutige Musik gar nicht so schlimm sein müsse, dass man von den Irrungen und Wirrungen zurück müsse in den Pfuhl des echten Gefühls. Aber es ist kein echtes, es ist ein abgestandenes und in der Mikrowelle aufgewärmtes.

Diese Tendenz wurde durch zwei Stücke Sir André Previns (er war mit Anne-Sophie Mutter zwischen 2002 und 2006 verheiratet) zwar etwas ins schlicht Häusliche abgemildert, aber gleichwohl unterstrichen. Waren diese glatten Stücke nur schlechte Wahl oder deuteten sie eine Richtung an? Wäre dies der Fall, dann verlöre der Ernst von Siemens Musikpreis viel von seinem Renommee, das nicht zuletzt auf der Würdigung des unbequem und widerständig Voranweisenden beruht.

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